Bruno Stefanini: Genialer Schweizer Sammler oder Europas grösster Messie?
Der Winterthurer Immobilienunternehmer Bruno Stefanini baute eine der grössten privaten Sammlungen Europas auf. Bei seinem Tod hinterliess er ein Chaos. Was geschieht nun mit seinem Vermächtnis?
2018 starb Bruno Stefanini. Der Schweizer war Immobilienhändler und Sammler – und hinterliess neben 200 Liegenschaften und einer Sammlung von Schweizer Kunst ein gigantisches Sammelsurium von 100’000 Kunst- und Kulturobjekten.
Lange wusste niemand, was diese Sammlung genau umfasste. Stefanini hatte seine Kunst- und Kulturgüter jahrzehntelang vernachlässigt.
Die Objekte lagerte er in Kisten in seinen leerstehenden Altbauten und Schlössern, in denen er zeitweise auch schlief. Er besass weder einen Überblick über seine Sammlung noch konservierte er die Objekte fachgerecht, was ihm die Bezeichnung als «grösster Messie nördlich der Alpen» einbrachte.
2020 lancierte die Stiftung für Kunst, Kultur und Geschichte (SKKG), die aus seinem Erbe entstand, ein grosses Projekt, um die Sammlung zu reinigen, zu inventarisieren und für eine fachmännische Lagerung vorzubereiten. Insgesamt waren 81 Personen damit beschäftigt, das Chaos aufzuräumen, das der Unternehmer und Sammler bei seinem Tod hinterlassen hatte.
Nach und nach zeigte sich, dass zwischen wertlosen Alltagsgegenständen auch Schätze verborgen waren wie etwa eine Zeichnung von Saint-Exupéry zu dessen weltberühmtem Buch «Le Petit Prince» oder die Kronjuwelen von Charlotte von Belgien, die 1864 zur mexikanischen Kaiserin gekrönt wurde.
Ein besonderes Fundstück war die Uniform, die Charlie Chaplin in seinem Film «Der grosse Diktator» trug.
Wie kam es, dass ein Liebhaber von Kunst, Geschichte und Literatur sich eine der grössten Privatsammlungen Europas aufbaute und sich nicht darum kümmerte?
Ein Kind der Geistigen Landesverteidigung
1924 als Kind eines italienischen Einwanderers und einer Schweizerin geboren, besuchte Bruno Stefanini zur Zeit des Zweiten Weltkriegs das Gymnasium. Als Reaktion auf die Bedrohung durch das faschistische Italien und das nationalsozialistische Deutschland versuchte die Schweiz das Nationalgefühl und den «Wehrwillen» in der Bevölkerung mit der «Geistigen Landesverteidigung» zu fördern.
Dazu gehörte auch das Bewahren von traditionellen Kulturgütern und Bauwerken durch den «Heimatschutz». Das Alte bekam Wert, das Sammeln wurde zum Erhalt der Heimat – das prägte Stefanini als Sammler grundlegend.
Nach dem Zweiten Weltkrieg begann Stefanini ein naturwissenschaftliches Studium an der ETH Zürich, das er jedoch abbrach, um im Bauboom der Nachkriegszeit als Immobilienunternehmer reich zu werden. Mit Geschäftspartnern erstellte er in der ganzen Schweiz grosse Neubausiedlungen für die rasant wachsende Bevölkerung.
Ausserdem kaufte er systematisch Altbauten in der Winterthurer Innenstadt, wo sein Vater als Wirt das Restaurant einer italienischen Konsumgenossenschaft leitete und über gute Kontakte verfügte. Mit seinen Liegenschaften verdiente der Selfmademan ein Vermögen.
Zu seiner Geschäftsstrategie gehörte, günstig zu bauen und möglichst wenig in die Immobilien zu investieren. Dies führte dazu, dass um die Jahrtausendwende viele der Liegenschaften baufällig wurden und sich der Begriff «Stefanini-Haus» in der Winterthurer Bevölkerung zum geflügelten Wort für marode Gebäude etablierte.
Nach der Weltwirtschaftskrise der 1970er-Jahre zog sich Stefanini weitgehend aus dem aktiven Immobiliengeschäft zurück und widmete sich dem Aufbau seiner Sammlung, für die er 1980 die Stiftung für Kunst, Kultur und Geschichte (SKKG) gründete.
Armbrüste und Granaten
Als Sammler interessierte sich Stefanini, der selber rund 1500 Diensttage in der Schweizer Armee absolvierte, auch für Militaria. So ist die Stiftung heute im Besitz einer der grössten Armbrustsammlungen weltweit.
Viele Objekte stammen aus der Zeit des Zweiten Weltkriegs, die Stefanini als Jugendlicher erlebte. Dazu zählten auch Granaten, die 2021 durch Sprengstoffexperten entsorgt werden mussten.
Die Ideologie der Geistigen Landesverteidigung prägte die Schweiz wie auch Stefaninis Sammlung bis zum Ende des Kalten Kriegs. Neben der Uniform von Henri Guisan kaufte Stefanini das gesamte Inventar der sogenannten «Diamant»-Ausstellung von 1989.
Die Wanderausstellung fand anlässlich des 50. Jahrestags der Generalmobilmachung 1939 statt und erntete als «Jubiläum zum Kriegsausbruch» internationale Kritik.
Als Dank für seine Unterstützung erhielt Stefanini vom eidgenössischen Militärdepartement einen ausgemusterten Leopard-Panzer geschenkt.
Die Weltkriegsbestände umfassen auch Gegenstände aus dem Dritten Reich. Dazu zählen Objekte von Widerstandsbewegungen, Uniformen aus den Nürnberger Prozessen, aber auch Gegenstände aus der Welt der Täter.
Das Interesse Stefaninis für das Dritte Reich erklärt sich Sammlungsleiter Severin Rüegg biografisch. «Er wuchs zu dieser Zeit auf und leistete selber während des Zweiten Weltkriegs Militärdienst. Diese Objekte zu erwerben, bestätigte ihm vielleicht auch die definitive Niederlage des einstigen Gegners.»
Zu den NS-Devotionalien gehört ebenfalls ein – angebliches – Fieberthermometer von Adolf Hitler, das oft in Zeitungsberichten erwähnt wird. «Die Authentizität solcher Gegenstände ist oft schwierig zu belegen», warnt Sammlungsleiter Rüegg. «Die Verkürzung auf einzelne aufsehenerregende Kuriositäten wird zudem der Sammlung und dem Sammler nicht gerecht.»
Für den Historiker zeugen die Objekte auch vom Mut Einzelner gegen das Dritte Reich oder von kollektiven Anstrengungen für Gerechtigkeit nach dem Krieg.
Stefaninis Geschichtsverständnis war insgesamt allerdings eher traditionell und orientierte sich an grossen Persönlichkeiten Europas und Amerikas sowie militärischen Konflikten, die er als Kern der Menschheitsgeschichte betrachtete. Eine Spezialität der Sammlung bilden demnach sogenannte «Kontakt-Ikonen», also Gegenstände aus dem Besitz von historischen Berühmtheiten.
Dazu zählen Strümpfe von Marie Antoinette oder das Reitkostüm der österreichischen Kaiserin Sisi, eine Schrotflinte von Charles Dickens, ein Spazierstock Friedrich Nietzsches mit eingebautem Opium-Behälter, eine Feldbadewanne mit Dusche des deutschen Kaisers Wilhelm II., sowie die Uniform des Golfkrieg-Generals Norman Schwarzkopf.
Gescheiterte Museumspläne
Ziel Stefaninis war es, Kunst- und Kulturobjekte aus der westlichen Geschichte vor der Zerstörung zu bewahren. In der Stiftungsurkunde wird ausdrücklich die Pflege «abendländischer Werte» angegeben.
Dazu zählten auch historische Bauten wie das Schloss Grandson, das seine Stiftung 1983 mitsamt einer Oldtimer-Sammlung kaufte, um den Verkauf an einen ausländischen Interessenten zu verhindern. 1993 erlebte Grandson eine Sternstunde, als Michail Gorbatschow im Rahmen einer Schweiz-Reise das Schloss besuchte.
Kulminationspunkt von Stefaninis Ambitionen war sein Plan, ein Antikriegsmuseum zu gründen. Dazu liess er für 20 Millionen einen Bunker in den Hang unter ein Schloss im Kanton Aargau bauen, wo auch sein Leopard-Panzer deponiert wurde. Der Betonbunker sollte seine Sammlung im Falle eines Atomkriegs schützen.
Zum Höhepunkt der geplanten Ausstellung erwählte er den 1996 ersteigerte Schreibtisch John F. Kennedys, auf dem der US-Präsident nach der Kuba-Krise den Atomwaffensperrvertrag unterschrieb. In ihm sah Stefanini ein «Symbol der Vernunft und der Hoffnung der Menschheit, weitere Kriege oder gar die Vernichtung allen Lebens zu vermeiden», wie er in einem Brief schrieb.
Kuriositäten und Kunst
Aus dem Museum wurde allerdings nichts. Stefanini gelang es nie, seine Pläne in die Tat umzusetzen. Seine Visionen scheiterten an äusserem Widerstand und an seiner Sammelleidenschaft. Stefanini kaufte wie ein Getriebener. Ein schlüssiges Sammelkonzept ist kaum erkennbar – im Schnitt erwarb er rund 50 Objekt pro Woche.
Neben kostbaren Gegenständen lässt sich in der Sammlung auch Banalitäten finden, die der eigenwillige Sammler teilweise am Flohmarkt kaufte – wie etwa ein Set von Gartenwerkzeugen, die in der Ausstellung «Garden Future» des Vitra Design Museums, zurzeit in Helsinki, gezeigt wird. So zeichnet sich die Sammlung durch eine ausserordentliche thematische und qualitative Bandbreite aus.
Im Katalog zur ersten grossen Ausstellung in Bern im Jahr 2014 ist von insgesamt zwölf Sammlungsgebieten die Rede. Dazu gehört auch eine Mineraliensammlung mit einem der grössten Bergkristalle der Schweiz, der kürzlich als Dauerleihgabe ins bündnerische Bergdorf Lumbrein kam, wo er einst gefunden wurde.
Ein weiterer Schwerpunkt stellt Schweizer Kunst dar. Insbesondere «Nationalmaler» wie Albert Anker und Ferdinand Hodler haben es ihm angetan. In den 1980er- und 1990er-Jahren bauten einige reiche Schweizer Unternehmer wie der SVP-Doyen Christoph Blocher stattliche Privatsammlungen mit Gemälden der beiden Künstler auf.
Pionierarbeit bei Raubkunst
Nach dem Tod Stefaninis und einem Rechtsstreit um die Führung der Stiftung übernahm seine Tochter Bettina Stefanini 2018 das Ruder. Damit gingen eine Neuausrichtung und Professionalisierung einher. Die SKKG möchte sich als Akteurin im Museums- und Stiftungswesen etablieren, indem sie andere Institutionen unterstützt und die Teilhabe am Kulturerbe fördert.
Anfang Jahr machte die SKKG international Schlagzeilen mit ihrem Provenienzforschungsprojekt. Unter anderem berichteten Medien wie die New York Times und El País darüber. Um die Herkunft von rund 1200 Kunstwerken zu untersuchen, berief die SKKG eine Kommission mit Fachleuten ein.
Beachtenswert dabei ist, dass diese – im Gegensatz etwa zur Bührle-Stiftung – unabhängig vom Stiftungsrat agiert und abschliessend und für die Stiftung bindend entscheiden kann.
Damit will die Stiftung in der internationalen Debatte um Restitutionen von Raub- und Fluchtgut aus der Zeit des Dritten Reichs eine Pionierrolle einnehmen.
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