No Billag befeuert Debatte um Stimmrecht für Auslandschweizer
Da ist sie wieder, nach 40 Jahren: die Diskussion um das Stimmrecht für Auslandschweizer. An die Oberfläche gespült wird sie gerade durch den Streit um die No-Billag-Initiative. Das ist kein Zufall. Wortführer kommen aus demselben Lager. Zudem: Auslandschweizer und die Gebühren – da war doch mal was.
An diesem Sonntag hatte das Schweizer Stimmvolk entschieden, dass zukünftig alle Haushalte eine Radio- und TV-Gebühr bezahlen müssen – unabhängig davon, ob sie Radio und TV konsumieren. Der Entscheid war äusserst knapp, und die Auslandschweizer spielten das Zünglein an der Waage. Sie stimmten für die Gebühr, obwohl sie diese Abgabe selbst nicht bezahlen müssen.
Es war der 14. Juni 2015. An diesem Sonntagabend schrieb Florian Schwab auf TwitterExterner Link:
Offen war der Weg nach dieser Abstimmung für zwei Entwicklungen:
- Die Diskussion über Radio- und Fernsehgebühren war von nun an verknüpft mit einer Debatte darüber, ob und welches Stimmrecht Auslandschweizer haben sollten.
- Das Stimmrecht für Auslandschweizer wurde erstmals seit 40 Jahren überhaupt wieder in einer gewissen Breite debattiert.
Die thematische Gebundenheit zwischen Radio- und TV-Gebühr und dem Recht auf Mitbestimmung für Auslandschweizer wird jetzt wieder offensichtlich. Florian Schwab, von Beruf Journalist, ist heute Mitglied des Initiativkomitees der No Billag-Initiative. Im Abstimmungskampf schreibt er:
Vertrete seit langem die Auffassung, dass Auslandschweizer bei fiskalischen Abstimmungsvorlagen nicht stimmberechtigt sein sollten.
— Florian Schwab (@FlorianSchwab) 7. Januar 2018Externer Link
Die Diskussion über Fristen
Im Juni 2017 hat sich bei der Debatte um das Stimmrecht für die Fünfte Schweiz auch auf Bundesebene etwas bewegt. Der Ausserrhoder Ständerat Andrea Caroni (FDP) trug die Diskussion nach Bern.
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Soll das Stimmrecht der Auslandschweizer beschnitten werden?
Der Appenzeller Ständerat stellte dem Bundesrat unter dem Titel «Auslandschweizer-Stimmrecht für potenziell Betroffene»Externer Link drei Fragen. Im Kern wollte er wissen, was die Landesregierung von der Idee halte, das Stimmrecht der Auslandschweizer an Fristen zu knüpfen, also an die Dauer der Landesabwesenheit eines Stimmbürgers.
Der Bundesrat schrieb in seiner Antwort:
«Die Möglichkeit, die politischen Rechte (weiterhin) auszuüben, stösst bei den Auslandschweizerinnen und -schweizern auf Interesse. Es haben sich gegenwärtig rund 160’000 Auslandschweizerinnen und -schweizer angemeldet. Die Anzahl Auslandschweizer Stimmberechtigte nahm in den letzten zehn Jahren durchschnittlich um 4 Prozent pro Jahr zu. Im Vergleich dazu wuchs die Inlandschweizer Stimmbürgerschaft jährlich bloss um 0,8 Prozent. (…) Insgesamt sieht der Bundesrat keinen Bedarf für Änderungen beim Stimmrecht der Auslandschweizer. (…)»
Die Landesregierung lieferte auch Zahlen: Es gibt 76’000 Stimmberechtigte, die seit 15 Jahren im Ausland leben. 52’000 Stimmberechtigte leben seit 20 Jahren ausserhalb des Landes – 36’000 seit 25 Jahren.
Die Diskussion um Ausschluss je nach Thema
swissinfo.ch hat im September 2017 über Caronis Vorstösse berichtet. Das Geschäft – und damit die Frage nach den Fristen – gilt seit August 2017 als erledigt.
Für die Mitbestimmung der Auslandschweizer an der Schweizer Politik wird nun aber auch ein anderes Kriterium ins Feld geführt: die Art der Abstimmungsvorlage. Im Windschatten der No-Billag-Diskussion ist eine Debatte über den partiellen Entzug des Stimmrechts für Auslandschweizer entstanden – je nach Thema. Die Wortführer dieser Debatte reden von «fiskalischen Vorlagen», bei denen Auslandschweizer nicht mehr mitbestimmen sollen, weil sie in der Schweiz keine Steuern bezahlen. Sie reden auch von «rein inland-orientierten Gebühren/Abgaben» oder schlicht von «gewissen Geschäften».
Nach welchen konkreten Kriterien eine Abstimmungsvorlage den Stimmbürgern im Ausland vorgelegt werden soll oder nicht, müsste indessen noch definiert werden.
– Der Einfluss der Auslandschweizer ist zu gross. Bei gewissen Geschäften sollte das Stimmrecht entzogen werden. @NoBillagExterner Link
— Keith D. Wyss (@Keith_Wyss) 28. Januar 2017Externer Link
Keith D. Wyss, ein junger Lokalpolitiker der SVP, der sich auf Twitter in die Debatte eingeschaltet hat, sagt auf Anfrage von swissinfo.ch: «Ich bin unter Umständen durchaus
dafür, das Stimmrecht der Auslandschweizer einzuschränken. Es würde aber tatsächlich
schwierig, festzulegen, bei welchen Themen Auslandschweizer als Betroffene mitbestimmen sollen und bei welchen nicht.» Wyss, der selbst drei Jahre in Japan gelebt hat, betont auch: «Grundsätzlich ist es mir zwar wichtig, dass die Rechte der Auslandschweizer möglichst gewahrt bleiben.»
– Sobald die Auslandschweizer für die verursachten Kosten mitaufkommen können Sie abstimmen.
— Keith D. Wyss (@Keith_Wyss) 28. Januar 2017Externer Link
Schwab war dahingehend von Anfang an klar. Er schrieb:
@thomas_leyExterner Link Um des lieben Friedens Willen würde ich nur bei Vorlagen mit überwiegend fiskalischem Charakter einschränken. @cloudistaExterner Link
— Florian Schwab (@FlorianSchwab) 14. Juni 2015Externer Link
Das Prinzip «One man, one vote»
Eine Art Urvater der Diskussion ist der Schaffhauser Politberater und Demokratie-Blogger Claudio Kuster. Bereits 2013 schrieb er:
Stimmrecht Auslandschweizer? Bitte abschaffen: widerspricht Singularität («one man, one vote») & Territorialität (dort stimmen, wo man lebt)
— Claudio Kuster (@cloudista) 24. Juni 2013Externer Link
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«Aber das Stimmrecht auf ewig? Bitte nicht mehr»
Singularität? Territorialität? Kuster erklärt auf Anfrage von swissinfo: «Wenn man sich demokratie-theoretisch damit auseinandersetzt, kommt man automatisch zur Frage: ‹Wer gehört eigentlich zur Stimmbürgerschaft, und wer nicht.'»
Singularität bedeutet: Jeder Mensch verfügt nur über ein Bürgerrecht. Kuster erwähnt die Libertären, die diese Theorien propagieren. Bei deren ultraliberalem Gedankengut gehe es, so Kuster, unter anderem auch um den Leitsatz «No taxation without representation», also darum, dass nur partizipieren soll, wer auch Steuern bezahle – mit dem Umkehrschluss, dass alle, die keine oder zu wenig Steuern zahlen, nicht mitbestimmen sollen. Kuster sieht sich als Theoretiker und verortet sich nicht im libertären Lager (s. Interview).
Libertäre – das kannte die Schweiz bisher kaum. Es ist die politische Ecke, aus der die verlässlichsten Angriffe aufs Stimmrecht für Auslandschweizer kommen. Unter sich gut vernetzt und weltanschaulich fest vertäut, machen junge Politiker, die sich so bezeichnen, gerade von sich reden.
«Die Grundlage für eine Initiative sehe ich nirgends. Bis jemand diesen Aufwand auf sich nimmt, muss ein gröberes Problem vorliegen, und dieses besteht nicht.» Claudio Kuster
Für sie ist «nur ein Minimalstaat tolerierbar», schrieb kürzlich die «NZZ am Sonntag» über diese junge Bewegung, der die etablierten Institutionen wie staatliche Schulen, staatliche Vorsorge oder öffentlicher Verkehr ein Graus ist («Die Staatsfeinde»Externer Link).
Es ist ein loser Verbund von Mitgliedern der Jungen SVP, der Jungen FDP und der bisher kaum bekannten «Unabhängigkeitspartei Up!»Externer Link, der wegen der im Zuge der No-Billag-Debatte ins Rampenlicht geraten war. Junge Schweizer aus diesem Netzwerk – viele von ihnen ohne politische Mandate – sind die Urheber der Initiative und propagieren sie nun, mit wechselnden Exponenten.
Als «libertär» bezeichnet sich auch Lukas Reimann, Nationalrat der SVP und Mitglied des Initiativkomitees der No-Billag-Initiative. Er ist einer der wenigen gewählten Politiker, der den Gedanken der Singularität beim Stimmrecht bisher laut geäussert hat.
In einer «Arena»-SendungExterner Link des Schweizer Fernsehens sagte er am 16. Juni 2016: «Wir haben heute faktisch eine Diskriminierung jener Leute, die nur einen Pass haben gegenüber jenen, die zwei oder drei oder mehrere Pässe haben.» Das Problem dabei sei, «man kann in zwei Ländern an der Politik teilnehmen.» Nach diesem Votum darauf aufmerksam gemacht, dass davon auch – ja vor allem – die Auslandschweizer betroffen wären, verliess ihn der Mut. Er schob einen Satz nach, der bis heute als Widerspruch so stehenblieb: «Kein einziger Auslandschweizer soll den Pass abgeben.»
Antworten auf die gestellten Fragen
Die Abschaffung der Doppelbürgerschaften wäre eine Massnahme, die 570’000 der 775’000 Schweizer Bürger mit Wohnsitz im Ausland betreffen würde, so viele sind Doppelbürger (Zahlen: 2016Externer Link).
Seit 1975 besitzt die Fünfte Schweiz das Stimm- und Wahlrecht auf nationaler Ebene, davor war für die Stimmabgabe die Präsenz im Land notwendig, es galt das «Aufenthalter-Stimmrecht». Über 40 Jahre später stellt sich die Frage wieder. Könnte man dieses Bürgerrecht nicht einschränken? Je nach Frist? Je nach Thema? Oder abschaffen – je nach Lebensmittelpunkt?
Politberater Claudio Kuster, der am Anfang der Diskussion steht, glaubt nicht, dass die Politik oder das Volk in absehbarer Zeit, sich ernsthaft damit auseinandersetzen wird. Er sagt; «Die Grundlage für eine Initiative sehe ich nirgends. Bis jemand diesen Aufwand auf sich nimmt, muss ein gröberes Problem vorliegen, und dieses besteht nicht.»
Auch Ständerat Andrea Caroni bekundet auf Anfrage von swissinfo.ch nicht die Absicht, die Sache weiter zu verfolgen. «Ich finde aber, dass diese Debatte geführt werden muss. Die Frage könnte zum Beispiel bei der nächsten Revision des Bundesgesetzes über die politischen Rechte der Auslandschweizer diskutiert werden.» Caroni erwähnt, dass es für einen Politiker wenig attraktiv sei, das Stimmrecht eines Teils seiner Bürger in Frage zu stellen. Schon deshalb sind aus dem Parlament oder von den Parteien kaum grosse Bewegungen zu erwarten.
«Leute, die länger im Ausland sind und eine andere Staatsbürgerschaft angenommen haben, müssten sich dann entscheiden.»
Benjamin Fischer
Und die Libertären? Deren radikalste Fraktion stellt die Unabhängigkeitspartei «up!» dar. Vorstandsleiter Simon Scherrer sagt: «In Sachen Stimmrechtsbeschneidung für Auslandschweizer haben wir nichts angedacht, nichts geplant und noch nicht einmal eine Position dazu.»
Die Pläne für ein Ende der Doppelbürgerschaften
Anders klingt es bei der Jungen SVP SchweizExterner Link. Deren Präsident Benjamin Fischer sagt zu swissinfo: «Das Auslandschweizer-Stimmrecht abzuschaffen oder zu beschränken ist unrealistisch. Unser Thema ist, wenn schon, die Doppelbürgerschaft.»
Diese abzuschaffen, dafür habe es bei der Jungen SVP immer wieder Anstösse gegeben. Mögliche Konsequenz: «Leute, die länger im Ausland sind und eine andere Staatsbürgerschaft angenommen haben, müssten sich dann entscheiden.» Fischer weiss, dass dies heftigen Widerstand der Auslandschweizer wecken würde und verweist auf die SVP InternationalExterner Link, die «daran überhaupt keine Freude hätte.»
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