Burkhalter Sumi: Die Kraft des modernen Holzbaus
Klar, ausdrucksstark und immer wieder mit Korallenrot: Das Schweizer Architektenpaar Marianne Burkhalter und Christian Sumi hat den modernen Holzbau in der Schweiz mit einer ganz eigenen Form- und Farbsprache geprägt.
Im Jahr 2021 bestätigte eine ungewöhnliche Instanz, wie wegweisend die Architektur von Marianne Burkhalter und Christian Sumi war: Das Schweizerische Bundesgericht. Die Richter:innen mussten entscheiden, ob ein 1986 von Burkhalter Sumi entworfenes EinfamilienhausExterner Link mit Atelier in Langnau abgerissen werden durfte.
Bereits damals verwendeten die Architekten vorfabrizierte Holzteile, die Aussenfassade verläuft gekrümmt und erinnert an einen Schiffsbug. Für seine Zeit war das Haus aussen wie innen aussergewöhnlich.
So sah es auch das Gericht und untersagte den bis vor die höchste Instanz gezogenen Eigentümern, das Gebäude aus energietechnischen Gründen durch einen Neubau zu ersetzen. Es sei schützenwert als «hochstehender Zeuge der architektonischen Entwicklung im HolzbauExterner Link«.
Heute erscheinen moderne Gebäude aus Holz als Selbstverständlichkeit, vor vier Jahrzehnten waren sie noch eine Rarität. Als Marianne Burkhalter 1984 ihr erstes Projekt, einen Ausbau auf einer Doppelgarage – schweizerdeutsch: «ein Stöckli» – in Eglisau, plante, war das kreative Bauen mit Holz aus der Mode, wird sie in einem Porträt in der Sonntagszeitung zitiert. Selbst die Zimmerleute seien bei der Umsetzung der ungewöhnlichen Pläne an ihre Grenzen gestossen.
Zu der Zeit hatte das Bauen mit Holz seinen Charakter verloren, war beliebig geworden, erinnert sich Christian Sumi in einem Vortrag an der Hochschule LuzernExterner Link 2021. Für ihn und seine Lebens- und Arbeitspartnerin Marianne Burkhalter habe sich daraus eine Vision ergeben: «Wir haben versucht, den Holzbau zu aktualisieren, zu modernisieren und ihm eine architektonische Kraft zu geben.“ Für die Konstruktionen bedeutete dies Möglichkeiten ausloten, Grenzen testen, Risiken eingehen.
Mehr als Le Corbusier
Unsere Sommerserie porträtiert einflussreiche und verquere Schweizer Architekt:innen der letzten hundert Jahre. Wie haben sie prägend über den Raum nachgedacht? Wo auf der Welt haben sie Spuren hinterlassen? Und: Welche Bauten beeindrucken uns noch heute?
Ein kongeniales Paar
Die beiden lernten sich 1980 in Zürich kennen, 1984 gründeten sie ihr gemeinsames Büro und wurden ein kongeniales Paar: Gemeinsam gaben sie dem Holzbau ab Mitte der 1980er-Jahre ein neues, ausdrucksstarkes Gesicht, das sie auch international bekannt machte.
Die meisten ihrer Bauten stehen in der Schweiz, ihr Ruf geht jedoch über ihre Heimat hinaus, auch als Stimme in der internationalen Architekturdebatte. Burkhalter Sumi publizierenExterner Link regelmässig, sind im In- und Ausland auf Konferenzen, in Jurys, auf AusstellungenExterner Link und Podiumsdebatten vertreten, haben als Gastprofessoren in den USA, England, Schottland unterrichtetExterner Link. Von 2008 bis 2018 hatten sie eine gemeinsame Professur an der Accademia di Architettura in Mendrisio inne.
Was können Holzkonstruktionen leisten? Und welchen Kräften halten sie Stand? Das Austesten von Grenzen beschäftigte Burkhalter Sumi auch abseits des Bauens im künstlerischen Kontext.
In Biel platzierten sie zusammen mit Christoph Haerle und Matthias Schaedler 1986 auf der Schweizerischen Skulpturenausstellungen zwei grossformatige BretterwändeExterner Link in Strassenbahnschienen und hängten sie in über Kreuz verlegten Stahlkabeln so ein, dass sie aufrecht standen. Es war ein Spiel mit den Kräften der Physik und der Eleganz, ein Austarieren der Möglichkeiten, die bis heute ihre Entwürfe prägt.
Beim ersten Versuch brach die Konstruktion zusammen. Nach Veränderungen im Aufbau blieb sie beim zweiten Mal stehen. Man habe aus dieser Konstruktion auch einiges für künftige Entwürfe gelernt, erzählte Christian Sumi an der Hochschule LuzernExterner Link.
Ihnen kam zupass, dass Holz als Baustoff immer flexibler einsetzbar war und neue Möglichkeiten für Architekt:innen eröffnete. «Die Holzbau-Industrie hatte einen grossen Sprung gemacht. Man konnte Holz als Platte einsetzen, horizontal, wie Beton», erinnert sich Marianne Burkhalter auf einer Veranstaltung der ETH-ZürichExterner Link an die Materialentwicklungen der frühen 1990er-Jahre.
1994 nutzte ihr Büro diese Neuerungen unter anderen bei dem Bau der ForstwerkhöfeExterner Link: ein mit viel Anerkennung bedachtes modulares System bestehend aus einer Garage, einem Verwaltungsraum und einer offenen Halle für Gerätschaften.
Auch hier findet sich bereits das Korallenrot, das zu ihrem Erkennungszeichen geworden ist. Es taucht auch in ihrem ellipsenförmigen Ergänzungsbau des Hotels ZürichbergExterner Link aus dem Jahr 1995, der sich in den Boden zu schrauben scheint, wieder auf. Unter den Wohnetagen befinden sich Parkdecks. Auch im Innenraum dient Rot als strukturierendes Element.
Verfremdende Farbe
Farbe schmückt nicht, sie lenkt den Blick und strukturiert Räume. Und sie verfremdet durchaus gewollt das Material. Oft ist das Holz als solches nicht mehr zu erkennen. Es ist Teil der Konstruktion, nicht des Gesichts. Farbe verleiht Holz eine zusätzliche Dimension, sagt Marianne Burkhalter in einem Interview.Externer Link «Wir verzichten ganz bewusst darauf, es in seiner Natürlichkeit zu zeigen und seine spezifische Materialität zu betonen.» Farben erzeugen wie Material und Räume Stimmungen, verleihen ihren Häusern die «sinnliche Dichte», die sie sich wünschen.
Wichtiger als die Farbe war den beiden der modulare Charakter der Forstwerkhöfe.
Diese Baukasten-Bauweise, mit der sich gleiche Teile zu einem immer wieder neuen Ganzen zusammenfügen lassen, faszinierte die beiden vom Beginn an. Die Forstwerkhöfe sind ihr wohl augenfälligstes Beispiel für die Möglichkeiten dieser Bauart. An verschiedenen Standorten können die Bestandteile je nach Begebenheiten vor Ort kombiniert werden.
Als Anregung für das Prinzip der modularen Konstruktion verweisen die beiden immer wieder auf die Schriften des deutschen Architekten Konrad WachsmannExterner Link, der 1941 in die USA emigriert war. Wachsmanns Ziel war eine Art Baukasten mit vielseitig verwendbaren industriell gefertigten Holz-Modulen. In den USA entwickelte er mit dem Bauhaus-Architekten Walter Gropius ein Fertighaussystem in Holzbauweise. Der Erfolg blieb ihm zu seiner Zeit versagt, seine Arbeiten blieben zumeist theoretisch.
Holz lässt sich nicht verflüssigen und in Form giessen wie Stahl oder Beton. Man kann es zuschneiden und wieder zusammenfügen, ihm einen Anstrich geben, es als Stütze oder Zierde nutzen, neue Konstruktionen und Kombinationen erdenken. Aber es bleibt Holz, ein Material, dessen Einsatz nicht nur die Meisterschaft von Architekt:innen, sondern auch der Ingenieur:innen und Handwerker:innen erfordert.
In den vergangenen Jahrzehnten haben Burkhalter Sumi an zahlreichen Umbauten und Aufstockungen gezeigt, welche Dienste Holz auch im dichten urbanen Kontext leisten kann. Der Holzbau ist in der Stadt angekommen, auch, weil sich Holz wegen seines geringen Gewichts perfekt für Nachverdichtungen eignet.
Durch Aufstockungen von Gebäuden lässt sich in den eng bebauten Schweizer Städten dringend notwendiger neuer Wohnraum schaffen. Möglich wurde dies auch durch eine Erneuerung der Schweizer Brandschutzvorschriften. Weil die Dämm- und Brandschutzeigenschaften von Holz sich über die Jahre stetig verbessert haben, ist dessen Verwendung seither in grösserem Stil erlaubt als zuvor.
Auf dem Areal des Bahnhof GiesshübelExterner Link in Zürich hat das Büro Burkhalter Sumi unter Beweis gestellt, wie kreativ und ansprechend eine solche Nachverdichtung realisiert werden kann. Das Projekt wurde Anfang 2013 fertiggestellt.
Sie stockten das zweistöckige Bahnbetriebs- und Lagergebäude aus den 1960er-Jahren um vier Holzgeschosse auf. In den Untergeschossen arbeitet die Verwaltung der Sihltal Zürich Uetliberg Bahn (SZU), in den oberen Etagen wurden 24 neue Wohnungen geschaffen.
Innerhalb von fünf Wochen konnte der Rohbau dank der vorfabrizierten Elemente hochgezogen werden. Die Dämmschicht ist in diese Holzplatten bereits integriert und verbraucht so weniger Fläche, als wenn diese Dämmung vor Betonwände gesetzt werden müsste.
Burkhalter Sumis Holzbauten waren ästhetisch von Beginn an zukunftsweisend, heute im Kontext der Umwelt- und Klimadebatte sind sie auch vom Baustoff her moderner denn je. Holz ist ein nachhaltiger Rohstoff und bindet CO2. Es lässt sich leicht recyceln und kann regional produziert werden. Die beiden Zürcher haben ihr Büro 2020 an ihre Nachfolger:innen übergeben, die es unter dem Namen Oxid weiterführen. Der innovative Holzbau bleibt Teil des architektonischen Programms.
Biographisches
Marianne Burkhalter arbeitete nach ihrer Ausbildung zur Hochbauzeichnerin bei Superstudio in Florenz, bei Studio Works in New York und Los Angeles und studierte dann an der Princeton University. Zurück in Zürich war sie an der ETHZ Assistentin bei Klaus Vogt und Mario Campi. Es folgen Gastprofessuren an der Sci-Arc in LA und an der EPF in Lausanne.
Christian Sumi studierte an der ETH in Zürich, um dann in Rom beim Deutschen Archäologischen Institut, am Institut für Geschichte und Theorie GTA in Zürich und als Assistent bei Bruno Reichlin in Genf zu arbeiten. Auch er war an der ETHZ Assistent bei Mario Campi. Es folgen Gastprofessuren an der Universität von Genf, in Harvard, in Glasgow und an der EPF in Lausanne.
1984 gründeten die beiden das Büro Burkhalter Sumi, das sie 2020 an ihre Nachfolger von Oxid übergaben.
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