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Carla Del Ponte: «Wir haben nichts erreicht, ich bin wütend»

Carla Del Ponte in einer öffentlichen Diskussion
Gegen Steuerbetrug, gegen die Mafia, gegen Kriegsverbrecher: Carla Del Ponte kämpft unermüdlich für Gerechtigkeit. Keystone


Gerechtigkeitssinn, Kampfkraft, internationales Renommee: Daran hat es der Schweizer Strafverfolgerin Carla Del Ponte nie gemangelt. Aber mit ihrem Engagement zur Aufklärung von Menschenrechtsverletzungen und Kriegsverbrechen in Syrien sei sie klar gescheitert. Das sagte die 71-Jährige im Gespräch mit Roger de Weck.

Die Premiere von «An der BarExterner Link» ist gelungen: Carla Del Ponte war erster Gast des ehemaligen Generaldirektors der SRG in dessen neuer Talkserie. De Weck macht das Video-Format für das Online-Magazin Republik.

Die illustre Tessinerin war Mafia-Jägerin, Schweizer Bundesanwältin und erfolgreiche Ermittlerin am internationalen Strafgerichtshof für die Kriegsverbrechen in Ex-Jugoslawien. Und zuletzt Mitglied der UNO-Untersuchungskommission für die Verletzung der Menschenrechte und die Aufklärung von Kriegsverbrechen in Syrien.

Und hier lernte die resolute, durchsetzungsstarke Südschweizerin die Niederlage kennen. Das schmerzt und verletzt sie bis heute. Ihren Frust hat sie sich im Buch «Im Namen der Opfer» von der Seele geschrieben, das sie aktuell präsentiert und das momentan auf Platz fünf der Schweizer Bestsellerlisten liegt (Kategorie Sachbücher).

Im Gespräch mit Roger de Weck spricht Del Ponte über ihre bittere, letzte Erfahrung Klartext. So, wie man es von ihr gewohnt ist.

Sechs Jahre statt sechs Monate

Sechs bis sieben Monate würde die Arbeit in der Untersuchungskommission der UNO zu Syrien dauern, habe man ihr beim Bund gesagt. Es seien dann sechs Jahre geworden, von 2011 bis 2017. Dann hatte sie, die über einen sehr langen Atem verfügt, genug.

«Es war eine grosse Enttäuschung für mich als ehemalige Chefanklägerin des UNO-Sondertribunals für Kriegsverbrechen in Ex-Jugoslawien. Wir haben für die Gerechtigkeit und die Opfer in Syrien nichts erreicht. Das hat mich enttäuscht», sagte sie.

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Dieser Inhalt wurde am veröffentlicht In ihrem neuen Buch klagt Carla del Ponte an: Allerdings nicht die Kriegsverbrecher in Syrien, sondern die internationale Politik und die UNO.

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Auf die Frage von de Weck antwortete Carla Del Ponte: «Ja, ich bin gescheitert, das muss ich leider eingestehen. Ich habe nur eine Entschuldigung: Ich war nur Mitglied der Kommission. Wäre ich deren Präsidentin gewesen, hätte ich versucht, etwas zu verändern.»

Und weiter: «Die Mitarbeit in dieser Kommission ist meine grosse Niederlage, obwohl ich objektiv nichts anderes tun konnte. Als Chefanklägerin habe ich etwas erreicht, indem wir Gerechtigkeit schaffen konnten. Aber für Syrien haben wir nichts erreicht. Obwohl wir so getan haben, als hätten wir etwas erreicht.»

«Kein politischer Wille zur Beendigung des Krieges

Sie hätten versuchten, dass der UNO-Sicherheitsrat einen internationalen Strafgerichtshof für Syrien schaffe. «Aber der Sicherheitsrat hat dies nicht gemacht. Die Mitglieder schickten die dritte Garde. Es war und ist kein politischer Wille da, den Krieg zu beenden.»

In Ex-Jugoslawien und in Ruanda habe das internationale Tribunal für die Opfer Gerechtigkeit herstellen können, weil der politische Wille vorhanden gewesen sei. «Für Syrien wollen die Staaten keinen Frieden. Aber sagen tut dies niemand. Es sind nicht nur die USA und Russland, sondern alle Staaten, auch Deutschland. Also geht der Krieg und das Töten weiter, der Staat Syrien wird total zerstört.»

Beim Thema Giftgaseinsätze gegen die Zivilbevölkerung zeigt sie sich besonders betroffen. «In Khan Sheikhun deuteten alle Indizien auf einen Einsatz durch die syrischen Regierungstruppen. Wenn ich sehe, dass Schweizer Firmen chemische Stoffe nach Syrien geliefert haben, die auch für die Herstellung von Sarin verwendet werden können, macht mich das wütend.» 

Und weiter: «Das Schweizerische Wirtschaftsdepartement, das grünes Licht dazu gab, sollte sich schämen! Dual-Use-Güter, die für friedliche und kriegerischer Zwecke eingesetzt werden können, darf man in so einem Fall nicht exportieren! Aber das ist Politik!»

Unabhägige Strafgerichte

Del Ponte zeigte sich nach wie vor überzeugt vom Nutzen internationaler Strafgerichtshöfe. Diese seien nach wie vor die beste Möglichkeit, Gerechtigkeit zu schaffen, wie sie es im Falle von Ex-Jugoslawien und Ruanda bewiesen hätten. 

«Wir brauchen eine permanente internationale Justiz, die vom politischen Willen der Länder völlig unabhängig sein muss.» Die von ihr angesprochene UNO und der Sicherheitsrat benötigen laut der Anklägerin dringende Reformen. «Die UNO ist noch nie so schwach gewesen wie jetzt», sagte sie.

Aufgrund der internationalen Untätigkeit plädiert Del Ponte dafür, Flüchtlinge aus Syrien aufzunehmen. «Aber ich sehe grosse Probleme. Von der Seite der Opfer aus Syrien gesehen, sollten die Schweiz und die EU-Länder alle Flüchtlinge aufnehmen. Denn bei einem Frieden würden sie alle zurückgehen», sagte sie. «Ich habe niemanden gehört, der nicht zurückkehren möchte.»

Als ihren grössten Wunsch nannte sie Frieden für Syrien. Ob sie mitmache, würde sie nochmals für eine Untersuchungskommission angefragt? Del Ponte zeigte ihren Kampfwillen. «Ich würde wieder mitmachen, aber unter der Bedingung, dass wir morgen gleich mit der Arbeit beginnen müssten, denn ich werde langsam alt.»

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