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Schweizer Textilmaschinen-Hersteller im China-Dilemma

Textilmaschine
Die meisten der grossen Schweizer Textilmaschinenhersteller haben eine lokale Produktion in China, zusätzlich exportieren sie die High-End-Komponenten aus der Schweiz. © Keystone / Gaetan Bally

Angesichts von Vorwürfen über Zwangsarbeit und Internierungslager, die Uiguren und andere Minderheiten in der Bekleidungsindustrie betreffen, sieht sich die Schweizer Textilmaschinenbranche mit heiklen Fragen über ihre Beziehungen zu China konfrontiert.

Im Jahr 2014, als das Freihandelsabkommen zwischen der Schweiz und China in Kraft trat, besuchte eine GruppeExterner Link von Industriellen, darunter ein Vertreter der Schweizer Firma Uster Technologies, Baumwollentkörnungsmaschinen und Spinnereien in der uigurischen Provinz Xinjiang. Die Reise beinhaltete auch einen Besuch beim damaligen stellvertretenden Kommandanten des Xinjiang Construction and Production Corps, auch bekannt als XPCC.

In den folgenden Jahren sollte die Schweizer Textilmaschinen-Industrie von der Ausweitung der Textilproduktion in Xinjiang profitieren. Im Jahr 2017 war die Schweiz laut Zolldaten der grösste Exporteur von Strickzubehör wie Spindeln und Ersatzteilen nach Xinjiang.

Das war zwei Jahre vor der Veröffentlichung der sogenannten China CablesExterner Link: Das waren geleakte Dokumente der Kommunistischen Partei Chinas, die Details über eine angeblich staatlich geförderte Unterdrückungskampagne gegen Uiguren und andere ethnische Minderheiten in der Region enthüllten – einschliesslich Zwangsarbeit in der Textillindustrie.

Schweizer Firmen wie Rieter und Uster, die Textilmaschinen nach China (einschliesslich Xinjiang) verkaufen, werden in der Regel von der Öffentlichkeit kaum wahrgenommen. Nun sehen sich mit schwierigen Fragen über die starke Abhängigkeit der Branche von China konfrontiert. 

Ein Nischenmarkt

Es ist schwer zu sagen, wie viele Schweizer Textilmaschinen in Xinjiang landen. ZolldatenExterner Link vom Observatory of Economic Complexity (OEC) zeigen, dass Xinjiang die meisten seiner Maschinen aus drei Ländern importiert: Deutschland (26,8 Mio. US-Dollar, 46,5%), Japan ($23,4 Mio., 40,6%) und Italien ($7,4 Mio., 12,8%).

Die Schweiz ist jedoch ein wichtiger Exporteur von Zubehör wie Spindeln, Klöppeln und automatischen Abstellvorrichtungen, die in grossen Spinn-, Web- oder Strickmaschinen verwendet werden. Und die Zolldaten zeigen, dass Strickzubehör im Jahr 2019 nach Industriedruckern der zweitgrösste Schweizer Export nach Xinjiang war.

In diesem Jahr lieferte Deutschland den grössten Teil der Exporte von Strickmaschinenzubehör nach Xinjiang (fast 91%, mit einem Wert von 39,7 Mio. $). Einige Jahre zuvor, auf dem Höhepunkt des Ausbaus der Textilindustrie in Xinjiang, spielte jedoch die Schweiz eine besonders grosse Rolle: Im Jahr 2017 etwa lag die Schweiz mit rund der Hälfte der Strickwarenexporte nach Xinjiang noch vor Deutschland.

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Tochtergesellschaften, Fusionen und Übernahmen

Doch die Exportdaten zeigen nur einen Teil des Bildes. Ernesto Maurer, Präsident des Schweizerischen Textilmaschinen-Verbandes, stellte in der BroschüreExterner Link zum 75-jährigen Bestehen des Verbandes fest, dass «die Schweizer Textilmaschinenhersteller durch ihre zahlreichen internationalen Tochtergesellschaften weit mehr [Marktanteil] kontrollieren, als die nationale Zollstatistik ausweist».

Das liegt daran, dass die meisten der grossen Schweizer Textilmaschinenfirmen Vertriebsagenten und Tochtergesellschaften mit lokaler Produktion in China haben und nur High-End-Komponenten aus der Schweiz exportieren.

Einige Unternehmen wurden komplett von chinesischen Investoren aufgekauft und unterhalten nur noch Büros oder Forschungszweige in der Schweiz. Die chinesische Firma Ningbo Cixing kaufte 2010 die Schweizer Firma Steiger, die darauf zu einem der grössten Flachstrick-Unternehmen der Welt wurde.

Eine weitere chinesische Firma, Jinsheng, kaufte 2012 die 150 Jahre alte Marke Saurer von der Oerlikon-Gruppe. In seinem Jahresbericht 2017 gab Saurer an, dass 37% seiner 4400 Mitarbeiter in China beschäftigt sind, während nur 3% in der Schweiz arbeiten. Im selben Jahr gründete Saurer eine hundertprozentige Tochtergesellschaft, Saurer Xinjiang.

Verbindungen zu Lieferanten

Maschinen mit Schweizer Bezug – wo auch immer sie letztlich produziert werden – kommen in Fabriken zum Einsatz, die wegen Vorwürfen der Zwangsarbeit mit US-Sanktionen belegt wurden. Im Mai 2019 berichtete die US-Zeitung Wall Street Journal, dass Bewohner von Xinjiang zu «Ausbildungsprogrammen» gezwungen wurden und in Fabriken Garn weben oder Textilien für grosse Marken spinnen mussten.

Die chinesische Regierung hat die Vorwürfe dementiert und das Programm als eine Trainingskampagne verteidigt, die darauf abzielt, die ethnische Gruppe aus der Armut zu holen und den Terrorismus zu bekämpfen.

Laut der Westschweizer Zeitung Le Temps hat der Schweizer Konzern Rieter im Jahr 2019 66 Ringspinnmaschinen, die zum Weben von Baumwolle verwendet werden, an das chinesische Unternehmen Huafu Top Dyed Melange Yarn verkauft. Die Zeitung berichtet, dass auch die Firma Uster Ausrüstung an das gleiche Unternehmen verkaufte, das 2020 auf der schwarzen Liste der USA landete.

Ein weiteres Unternehmen auf der schwarzen Liste der USA – die in Hongkong ansässige Esquel Group – hat Baumwollspinnereien in Xinjiang, die Anlagen von Uster verwenden. Zwei der Fabriken in der Region erhielten 2019 ein Qualitätssiegel von Uster.

Esquel, das seit 1995 in Xinjiang tätig ist, hat Vorwürfe von Zwangsarbeit zurückgewiesen und darauf hingewiesen, dass ein Audit durch Dritte keine Beweise dafür gefunden hat. Das Unternehmen gibt auf seiner Website an, dass seine Spinnerei in Changji eine «hochmoderne, hochautomatisierte Fabrik» ist, die nur 45 Techniker benötigt, im Vergleich zu einer traditionellen Spinnerei, die 150 Mitarbeiter für den Betrieb benötigt. Einige der hochautomatisierten Maschinen stammen von der Schweizer Firma Rieter, wie in einem VideoExterner Link des Unternehmens zu sehen ist.

Im Jahresbericht von 2019 gab Rieter an, dass seine Fabrik in Xinjiang an einem Programm der lokalen Regierung zur Beschäftigung teilnahm und 95 Mitarbeiter aus ethnischen Minderheiten in seinem neuen Werk einstellte. Auf Anfrage teilte das Unternehmen mit, dass «die Mitarbeiter aus ethnischen Minderheiten im Werk des Unternehmens in Urumqi in einer Vielzahl von Positionen beschäftigt sind und von Arbeitern in der Werkstatt bis hin zu Hochschulabsolventen reichen und in allen Industriebereichen arbeiten.»

Shelly Han von der Fair Labour Association (FLA), einer amerikanischen Nichtregierungsorganisation, die gegründet wurde, um den Schutz der Arbeitsrechte nach den Sweatshop-Skandalen in den 1990er-Jahren voranzutreiben, sagte gegenüber swissinfo.ch, dass sie nicht glaubt, dass jede Fabrik in Xinjiang Zwangsarbeit einsetzt. Sie fügt jedoch hinzu, dass es keine Möglichkeit gibt, das Gegenteil zu beweisen.

«Wir glauben, dass Unternehmen aufgrund der extremen Überwachung [durch die chinesische Regierung] in Xinjiang überhaupt keine effektive Sorgfaltsprüfung durchführen können. Das bedeutet, dass die Prüfer keine Bewegungsfreiheit haben und die Arbeiter nicht offen sprechen können», sagte Han.

Im Dezember stoppte die FLA die Beschaffung aus Xinjiang, weil die Situation «konventionellen Sorgfaltspflichtnormen widerspricht» und sie daher Zwangsarbeit nicht ausschliessen konnte.

In diesem Zusammenhang sehen sich Unternehmen zunehmend mit Reputationsrisiken konfrontiert, wenn sie geschäftliche Verbindungen nach Xinjiang haben. Und es ist unwahrscheinlich, dass sich das schnell ändern wird: BerichteExterner Link weisen darauf hin, dass Arbeiter aus Xinjiang in andere Provinzen zwangsversetzt werden.

Rote Linien

Aber kann eine Industrie, die eine Maschine verkauft, die dann jahrelang in einer Fabrik steht, in gleichem Masse zur Verantwortung gezogen werden wie eine Marke, die laufend Stoffe oder Baumwoll-T-Shirts bezieht, die angeblich in Zwangsarbeit hergestellt wurden?

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Dazu Dorothée Baumann-Pauly vom Genfer Zentrum für Wirtschaft und Menschenrechte: «Wer Maschinen in diese Region verkauft, steht vor den gleichen Fragen wie diejenigen, die Technologie verkaufen, die zur Überwachung eingesetzt werden könnte», sagte sie. «Sie müssen herausfinden, an wen sie verkaufen und wofür sie verwendet werden.»

Han argumentiert, dass Maschinenfirmen wissen sollten, mit wem sie Geschäfte machen. «Sie tragen vielleicht nicht unbedingt direkt zu Menschenrechtsverletzungen bei, aber sie tragen zu einem System bei, das diese Menschenrechtsverletzungen hervorbringt. Und im Fall von Xinjiang ist es ein System», sagte Han.

Und Angela Mattli von der Schweizer NGO Gesellschaft für bedrohte Völker fragt, wie ernst die Unternehmen die Situation nehmen: «Man muss als Unternehmen eine rote Linie haben. Man muss bestimmte Informationen von Geschäftspartnern in China erwarten. Und man muss Ausstiegsklauseln in den Verträgen haben.» Die NGO hat einen Dialog mit dem Verband der Schweizer Maschinenindustrie (Swissmem) über die Situation in Xinjiang begonnen.

Was die Unternehmen sagen

Die Schweizer Textilmaschinenfirmen, die swissinfo.ch kontaktiert hat, haben in ihren Antworten alle eine ähnliche Botschaft von null Toleranz für Diskriminierung oder Menschenrechtsverletzungen ausgedrückt.

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Rieter schrieb in einer E-Mail, dass das Unternehmen «Zwangsarbeit ablehnt. Dieses Prinzip ist im Rieter-Verhaltenskodex verankert», und dass man sich in allen Geschäftsbeziehungen «zur Einhaltung aller relevanten Gesetze und Vorschriften verpflichtet».

Bei Saurer hiess es, man sei «sehr stolz darauf, dass wir die persönliche Würde, die Privatsphäre und die Persönlichkeitsrechte unserer Mitarbeitenden respektieren».

Uster Technologies schrieb, dass sie «nur mit Partnern zusammenarbeiten, die ihre Mitarbeiter fair behandeln und das geltende Recht einhalten», was auch den Verzicht auf Zwangsarbeit einschliesst, und dass «wir bisher nie direkt Umstände erlebt haben, die darauf hindeuten, dass einer unserer Kunden gegen unseren Verhaltenskodex handelt».

Die Unternehmen äusserten sich jedoch nicht zu den konkreten Vorwürfen in Bezug auf Xinjiang und machten auch keine Angaben dazu, wie sie sicherstellen, dass ihre Lieferanten oder Kunden ihre Standards einhalten.

Florian Wettstein, Professor für Wirtschaftsethik an der Universität St. Gallen, der zu stillen Komplizenschaften forscht, sagte gegenüber SWI swissinfo.ch, die überragende Bedeutung des chinesischen Marktes führt dazu, dass «Unternehmen extrem vorsichtig sind, was sie sagen».

Eine heikle Position

Die Situation für Schweizer Unternehmen ist besonders heikel. China ist der drittgrösste Handelspartner der Schweiz, und die Schweiz war das erste westliche Land, das ein Freihandelsabkommen mit der Supermacht unterzeichnete.

Die Branche sieht sich einem harten Wettbewerb aus China selbst gegenüber. Die Gesamtexporte von Schweizer Textilmaschinen sind in den letzten Jahren zurückgegangen, da Chinas eigener Maschinensektor immer kompetitiver wird und Schweizer Unternehmen mehr lokale Produktion in China aufbauen. Die meisten Textilmaschinen werden heute in China und von chinesischen Unternehmen hergestellt.

«Die ausländische Konkurrenz schläft nicht. Sie holen technologisch auf», sagt Stefan Brupbacher, Direktor von Swissmem, dem Dachverband der Maschinenindustrie. «Wenn man Schweizer Firmen den Markt China verwehrt, hätten chinesische und ausländische Firmen einen grossen Vorteil gegenüber uns in einem florierenden Markt.» Denn die chinesische Produktion bedient nicht nur den lokalen Markt, sondern auch viele andere Länder.

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Politische Druckmittel

Angesichts der heiklen Gratwanderung der Branche mit China ist es unwahrscheinlich, dass Unternehmen sich zu Wort melden oder ihre Praktiken ohne politischen Druck ändern werden. Dies gilt insbesondere, nachdem man gesehen hat, wie die chinesische Regierung und die Verbraucher gegen H&M und Nike vorgegangen sind, als diese ihre Besorgnis über die Situation in Xinjiang zum Ausdruck gebracht haben.

Rieter schrieb, dass man sich auf die politischen Institutionen verlasse, die sich mit dieser Angelegenheit befassen. Ein Sprecher von Uster sagte, dass «es nicht an uns liegt, diese Regelungen festzulegen oder zu ändern oder in irgendeinem Diskurs der Regierungen Partei zu ergreifen».

Die Schweizer Regierung hat ihrerseits keine harte Linie gegenüber China eingenommen. Sowohl das Parlament als auch die Regierung lehnten kürzlich einen Vorschlag für ein Importverbot für Waren, die mit Zwangsarbeit hergestellt wurden, ab. Diese Regelung hätte sich am US Tariff Act orientiert. Auch die Europäische Union hat gegen einige Personen Sanktionen verhängt.

Brupbacher von Swissmem stellt die Wirksamkeit von Boykotten und einseitigen Sanktionen in Frage. «Handel hilft, eine Mittelklasse zu fördern. Wir haben das in China gesehen, wo der Handel geholfen hat, Millionen aus der Armut zu befreien.»

Das Schweizer Wirtschaftsministerium bestätigte gegenüber swissinfo.ch, dass es «einen Austausch mit verschiedenen Firmen aus der Textilmaschinen-Industrie über die Menschenrechtssituation in Xinjiang plant». Ein Termin stehe aber noch nicht fest.

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