Chinesische Investitionen in der Schweiz: Zeichen der Schwäche?
Das Kaufangebot von ChemChina für Syngenta ist sinnbildlich für die chinesische Strategie, Know-how und westliche Technologien zu erwerben. Die Expansion ausserhalb der nationalen Grenzen, namentlich in der Schweiz, erklärt sich durch eine Verlangsamung des chinesischen Wirtschaftswachstums und die Schwierigkeit, zuhause neue Möglichkeiten zur Erhöhung der Wertschöpfung zu finden.
Hotels (Palace Luzern), Luftfahrt (Swissport), Sportmarketing (Infront), Handel (Mercuria, Addax), Uhrenindustrie (Eterna, Corum), Metallindustrie (Swissmetal): Der Appetit der Chinesen auf Schweizer Unternehmen ist gross. Am Donnerstag ist bekannt geworden, dass die chinesische Haers für 16 Millionen Franken den Thurgauer Trinkflaschen-Hersteller Sigg aus Frauenfeld übernommen hat.
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Für Schlagzeilen über die Landesgrenzen hinaus hat diese Woche aber die bisher grösste chinesische Übernahme eines ausländischen Unternehmens gesorgt: ChemChina will 43 Milliarden Dollar für den Kauf des Schweizer Agrochemiekonzerns Syngenta bezahlen. Während der Verwaltungsrat des Basler Unternehmens das Angebot begrüsste, zeigten sich die Aktionäre skeptischer.
Die mit öffentlichem Geld finanzierte ChemChina, deren Führung direkt von der Zentralregierung abhängig ist, versteckt ihre internationalen Ambitionen nicht. 2015 hat sie den italienischen Reifenfabrikanten Pirelli für 7,4 Mrd. Euro einverleibt. Kürzlich gab sie die geplante Übernahme des deutschen Werkzeug-Herstellers KraussMaffei für 925 Mio. Euro bekannt. Auf der Suche nach Diversifikation hat sich ChemChina Mitte Januar auch mit 12% an der in Genf domizilierten Rohstoffhandelsfirma Mercuria beteiligt.
«Seit zehn Jahren verfolgt die chinesische Regierung eine Politik der Internationalisierung, um ausserhalt des Landes Wachstum zu generieren. Die chinesischen Investoren nehmen entweder Firmen ins Visier, deren Geschäftsgang schwächelt und die leichte Beute zu sein scheinen, zum Beispiel der schwedische Autobauer Volvo, oder Firmen, die ihnen Know-how, Technologie, eine Marke oder ein Patent bieten können», sagt China-Experte Marc Laperrouza, der an der Eidgenössischen Technischen Hochschule Lausanne (ETHL) unterrichtet.
«Die Strategie kann als Eroberung der Welt betrachtet werden, aber man kann sie auch als Zeichen der Schwäche interpretieren. Es ist der Beweis dafür, dass sich die erforderlichen Ressourcen in China nicht finden lassen, um die Stagnation zu verhindern, welche die Behörden so fürchten.»
Modernisierung der Landwirtschaft
Trotz jahrelanger enormer Anstrengungen zur Modernisierung der Wirtschaft hat China Mühe, die Wertschöpfung der nationalen Industrie zu steigern. Das gilt auch für den Agrarsektor. Nach dem Kauf von fruchtbaren Flächen in Afrika und Australien strebt China nun die Modernisierung seiner Produktionsmittel an, um die Versorgung einer Bevölkerung von mehr als 1,3 Milliarden Menschen sicherzustellen.
«Die Landwirtschaft beschäftigt 30% der Arbeitskräfte in China aber trägt nur 9% zum Bruttoinlandprodukt bei. Die landwirtschaftliche Nutzfläche schwindet kontinuierlich», sagt der Schweizer Unternehmensberater Joachim Rudolf, der bis vor kurzem Finanzdirektor der chinesischen Firma Cathay Industrial Biotech war. «Um die von der Regierung angestrebte 95-prozentige Selbstversorgung zu erreichen, sind eine Erhöhung der Produktion und eine Unterstützung durch neue Biotechnologien unerlässlich. Aus diesem Grund ist der Kauf von Syngenta aus der Sicht Pekings von strategischer Bedeutung.»
Die chinesischen Unternehmen leiden allerdings nicht an Geldmangel, um den Rückstand in allen Wirtschaftsbereichen wettzumachen. 2015 haben sie 61 Mrd. Dollar für Fusionen und Übernahmen im Ausland ausgegeben. Das sind sechs Mal mehr als vor 10 Jahren. Die Schweiz ist dabei eine bevorzugte Destination: Im letzten Jahr belegte sie den 9. Platz auf der Liste der europäischen Länder mit der höchsten Anzahl Unternehmen, die von chinesischen Investoren übernommen wurden oder Gegenstand von Beteiligungen waren.
Arbeitsplatz-Garantie
Obwohl sie von der Bevölkerung und den Angestellten der betroffenen Unternehmen mit Misstrauen wahrgenommen werden, geben die Investoren aus Fernost laut Joachim Rudolf eine gewisse Garantie für den Erhalt der Arbeitsplätze in der Schweiz. «Die meisten Unternehmen, die in Deutschland von chinesischen Investoren erworben wurden, sind keiner Restrukturierung unterzogen worden. Im Unterschied zu amerikanischen Firmen oder Investitionsfonds, die nur finanzielle Ziele verfolgen, sind chinesische Investoren auch hier, um zu lernen, ihr Wissen und Know-how zu erweitern.»
Die Übernahme von Alstom Schweiz durch den amerikanischen Mischkonzern GE Electric muss mit einer tiefgreifenden Restrukturierung und dem Abbau zahlreicher Arbeitsplätze bezahlt werden. Das ist mit ein Grund dafür, weshalb sich Syngenta lieber mit ChemChina als mit der amerikanischen Monsanto zusammenschloss, die immerhin 4 Milliarden Dollar mehr als die chinesische Konkurrenz geboten hatte.
«Syngenta wird in Basel seine Unabhängigkeit behalten, das Management wird in der Schweiz nicht ersetzt, und es werden keine Stellen abgebaut. Das wäre mit Monsanto nicht der Fall gewesen», sagt ein Insider, die bei den Verhandlungen teilgenommen hat. «Und weil dies bestimmt nicht die letzte grosse Übernahme ist, welche die Direktion von ChemChina vorsieht, ist es sehr wichtig für sie, dass sie wohlwollend beurteilt werden», sagt Joachim Rudolf.
Schwierig auszulagern
Aber muss man nicht befürchten, dass die Chinesen nur an der Technologie interessiert sind und die Produktion und Forschung repatriieren werden, sobald sie die Gelegenheit dazu haben? «Die Stärke eines Unternehmens wie Syngenta sind die Patente, die Eliten, die Forschungslabors und all die dazugehörigen Ökosysteme. Selbst mit viel Geld und dem besten Willen der Welt wäre es nicht einfach, all dies nach Shanghai, Shenzhen oder Chengdu auszulagern», sagt Marc Laperrouza.
Das Gleiche gelte für die Luxus-Uhrenindustrie, die durch das Label «Swiss Made» geschützt werde, sagt Francisco Pires von der Gewerkschaft Unia, der die Übernahme der Marke Corum in La Chaux-de-Fonds durch die chinesische Gruppe Haidian im Jahr 2013 aus der Nähe verfolgt hat. «Grössere Sorgen muss man sich hingegen in den anderen Industriesektoren machen, wie zum Beispiel in der Werkzeug-Maschinen-Branche. Es ist ziemlich einfach, Ingenieure zur Ausbildung in die Schweiz zu schicken, bevor man das Know-how nach China oder in andere Schwellenländer auslagert», sagt Pires.
Wie den Kulturschock verhindern?
Übernahmen schweizerischer Unternehmen durch chinesische Konzerne führen nicht immer zu positiven Erfahrungen. Oft kommen Zweifel auf, wenn es um die Vereinbarkeit mit Führungsansätzen geht, die oft radikal anders sind.
Das war namentlich der Fall bei der Übernahme der Uhrenfirma Eterna durch die chinesische Haidian-Gruppe. «Zu Beginn konzentrierten wir uns auf die finanzielle Situation und haben dadurch die spezielle Kultur der Uhrenindustrie etwas vernachlässigt. Dazu kamen die unterschiedlichen Philosophien der westlichen und der östlichen Kultur, was zu Kommunikationsproblemen zwischen den Managern führte», sagte Gaosheng Yan, Vertreter der Haidian-Gruppe bei Eterna, kürzlich gegenüber swissinfo.ch.
Bei Corum in La Chaux-de-Fonds, ebenfalls vom Haidian-Konzern übernommen, wo es im Februar 2014 zu sechs Entlassungen kam, mussten Francisco Pires und seine Gewerkschaftskollegen grundsätzliche Fragen über die Besonderheiten des Schweizer Arbeitsrechts erörtern.
«Das ist aber nicht eine Besonderheit von chinesischen Investoren, die wir auch nie direkt getroffen haben. Die Direktionen, die in der Schweiz eingesetzt werden, ob sie nun aus Frankreich, Italien oder von anderswo stammten, benahmen sich manchmal ein wenig wie im Wilden Westen. Sie dachten, der Arbeitsfriede, wie ihn unser Land kennt, gebe ihnen alle Rechte dazu», sagt Pires.
(Übertragung aus dem Französischen: Peter Siegenthaler)
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