Claude Longchamp: «Die Nationalbank muss mit der Zeit gehen»
Frauenförderung, Anlagepolitik und Gewinnausschüttungen: Die Schweizerische Nationalbank (SNB) ist unter Druck. "Das kann sehr schnell brenzlig werden", sagt Claude Longchamp, Politikwissenschaftler beim Forschungsinstitut gfs.bern. Er ist zu Gast im swissinfo.ch Geldpolitik-Podcast "Geldcast".
«Wir waren eine bisschen eine Gang», erzählt Claude Longchamp. Die «Gang», das waren Longchamps Studienfreunde in Bern in den frühen 1980er-Jahren.
Ebenfalls Teil dieser Gruppe war Fritz Zurbrügg, der heutige Vizepräsident der Schweizerischen Nationalbank. Regelmässig hätten sie sich zum Picknick im Berner Freibad Marzili getroffen, «hie und da» zusammen ein Glas Wein getrunken, und natürlich seien sie miteinander in der Aare schwimmen gegangen.
Was haben die beiden voneinander gelernt? Longchamp lacht und winkt ab: «So tiefgreifende Gespräche führten wir damals nicht», höchstens über Eisenbahnpolitik habe man sich vielleicht einmal unterhalten, sagt er und schmunzelt.
Heute ist Longchamp der bekannteste Polit-Kommentator der Schweiz. Und die Politik macht mächtig Druck auf die Nationalbank: Grüner investieren soll sie, die Frauenfrage ernst nehmen und mehr Gewinn ausschütten.
Autor Fabio CanetgExterner Link hat an der Universität Bern und an der Toulouse School of Economics zum Thema Geldpolitik doktoriert. Heute ist er Dozent MAS an der Universität Bern.
Als Journalist arbeitet er für die SRF Arena, das Republik Magazin und swissinfo.ch. Er moderiert den Geldpolitik-Podcast «GeldcastExterner Link«.
Die eingeweihten Kreise kritisieren die SNB
«Auch die eingeweihten Kreise rund um die SNB stellen die Strategie der Nationalbank zunehmend infrage», so Longchamp. Ein Beispiel: Im Januar forderte der FDP-Nationalrat Christian Lüscher in der französischsprachigen Tagesschau mehr Geld von SNB-Präsident Thomas Jordan – ein Novum in der Schweizer Politik. «Wenn sogar die FDP höhere Gewinnausschüttungen verlangt, ist das schon ein Zeichen, dass ein Politikwechsel stattfindet.»
Aktuell überweist die Nationalbank sechs Milliarden Franken pro Jahr an Bund und Kantone. Das ist ungefähr die Hälfte ihres durchschnittlichen Jahresgewinns. Der Rest bleibt in ihren Tresoren als Puffer für mögliche Verluste.
Die Nationalbank wird aber nicht nur kritisiert wegen ihrer Knausrigkeit, sondern auch wegen ihrer Anlagepolitik. Vertreter:innen des Klimasteiks fordern von der SNB schon lange eine grüne Anlagestrategie: Das Geld der Nationalbank soll in Solarkraftwerke fliessen und nicht in Ölfirmen.
Hier gehts zum Geldcast mit Claude Longchamp in voller Länge. Das Gespräch finden Sie auch auf SpotifyExterner Link, Apple PodcastsExterner Link und ebenfalls in der Geldcast-Sammlung von swissinfo.ch:
Neue Akteure gewinnen an Einfluss
«Die Einflussnahme ist pluralistischer geworden», so Longchamp, «und das spürt die Nationalbank.» Mittlerweile finden die Forderungen des Klimastreiks nämlich auch im Parlament eine Mehrheit. Der Nationalrat hat mit Unterstützung des Bundesrats einen Bericht in Auftrag gegeben zum Thema «Nachhaltigkeitsziele für die SNB». Für Longchamp ist das neu: «Das so etwas eine Mehrheit findet, halte ich für ein starkes Zeichen», sagt der Verwaltungsrat des gfs.bern.
Doch was bringen solche politischen Vorstösse angesichts der Unabhängigkeit der SNB? Für Longchamp ist klar: «Die Nationalbank bestimmt selbst über ihre Investitionen». Allerdings sagt er auch: «Wenn Bewegung in die Debatte kommt, hat das Auswirkungen auf die Entscheide der SNB.» Die öffentliche Diskussion schränke zwar die Unabhängigkeit der Nationalbank ein – «aber das ist nicht dramatisch».
Frauen möchten zur Nationalbank
Neben den Gewinnausschüttungen und der Anlagepolitik ist die Genderdebatte eine dritte offene Flanke der SNB. Im letzten Jahr berichtete swissinfo.ch über die deutliche Übervertretung von Männern bei der Nationalbank: In der oberen Führungsstufe sind über 80 Prozent der Stellen von Männern besetzt. Genderziele kennt die Nationalbank trotz dieses Missverhältnisses nicht – im Gegensatz beispielsweise zur Europäischen Zentralbank, die auf jeden beförderten Mann auch eine Frau befördern möchten.
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«Die vorherrschende Argumentation gegen eine explizite Frauenförderung bei der SNB ist eine klassisch männliche», sagt Longchamp: Die Nationalbank argumentiere, dass eine ausgeglichene Genderbalance nicht zu einer besseren Geldpolitik führe. Das zeuge von wenig Verständnis für die Genderthematik bei der SNB, sagt Longchamp. Dazu komme ein weiterer Grund, weshalb die SNB noch keine Genderziele habe: «Der Druck auf die Nationalbank ist zu gering», so der Politikwissenschaftler.
Wie geht es weiter für die SNB? Für Longchamp ist klar: Lange werde sich die Nationalbank nicht gegen die öffentliche Meinung stemmen können. «Eine Möglichkeit für eine Neuausrichtung wäre ein Personalwechsel», glaubt Longchamp. Ein solcher ist allerdings nicht absehbar. Trotzdem ist er überzeugt: «Die Nationalbank ist in einer Zeit des Umbruchs.»
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