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Corona-Leaks: Was Kommunikationschefs mit Informationslecks bezwecken

Indiskretionen gehören bei den Kommunikationschefs im Bundeshaus zum Repertoire – und dienen einem politischen Ziel.

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Es gibt sie, die Whistleblower:innen, die schlicht einen Missstand aufdecken wollen. Doch wenn Informationen aus dem Bundesrat an die Öffentlichkeit gelangen, steht dahinter meist eine Person mit einer klaren Absicht. Oft sind Informationslecks gar Teil einer Kommunikationsstrategie. «Die gezielte Indiskretion ist ein Werkzeug, das jeder Kommunikationschef in seinem Repertoire hat», so der Kommunikationsberater Patrick Senn in der SRF-Sendung Club.

Alain Berset und Peter Lauener
Bundesrat Alain Berset, rechts, und Peter Lauener, Kommunikation EDI, schreiten zu einer Medienkonferenz über Covid-19 Massnahmen, am 11. August 2021 in Bern. Keystone / Peter Schneider

Gerade im Bundeshaus suchten Journalisten wie Politikerinnen eine gewisse Nähe: Die Journalistinnen hoffen auf eine brisante Geschichte, die Politiker auf Öffentlichkeit. «Wenn ich bei einem Medium mit einer gewissen Reichweite arbeite, kommen die Politiker automatisch auf mich zu», sagt der ehemalige Journalist Patrick Senn. So lassen die Kommunikationschefinnen die Anträge aus dem eigenen Departement öfters Journalisten ihrer Wahl zukommen.

Den Bundesrat unter Druck setzen

Auffällig oft geschah dies während der Hochphase der Pandemie. Laut FDP-Ständerat Andrea Caroni kann dies verschiedene Gründe haben. «Wenn ein Bundesrat befürchtet, bei einem Entscheid mit seinen Ideen zu unterliegen, kann er mit einem Leak durchschimmern lassen, dass er anderer Meinung war», so Caroni. «Oder man kann die öffentliche Meinung schon auf seine Mühle lenken und den Bundesrat mit dieser unter Druck setzen.»

Wenn die Medien in eine bestimmte Richtung Stimmung machten, steige der Druck, ebenso zu entscheiden. «Man nimmt die Kollegen quasi in Geiselhaft: Befürwortet, was ich beantrage, ansonsten leidet unsere Glaubwürdigkeit als Gremium.»

Dies sei in der Coronakrise «systematisch» betrieben worden, befindet Mitte-Ständerat Benedikt Würth. «Man will mit solchen Leaks im Vorfeld den Entscheid des Bundesrates beeinflussen.» Die öffentliche Meinung sei in der Corona-Zeit oft vorgängig eingespurt worden.

«Am Montag berichteten die Medien über einen neuen Vorschlag aus dem Innendepartement, am Dienstag gaben noch die Experten der Taskforce ihre Meinung dazu. Wenn der Bundesrat am Mittwoch zusammen trat, war der Druck gross, der bereits gefestigten öffentlichen Meinung zu folgen. Ansonsten hätte man den Gesundheitsminister desavouiert.» Dies wäre mitten in einer Gesundheitskrise schwierig gewesen. «Die Schlagzeile am Donnerstag wäre gewesen: Der Bundesrat lässt den Gesundheitsminister auflaufen.»

Den eigenen Chef profilieren – oder Versuchsballons starten

In der Corona-Zeit seien Indiskretionen aber auch verwendet worden, um «Versuchsballons» zu starten, also die Akzeptanz gewisser Massnahmen in der Öffentlichkeit zu testen. «Da war etwa die Idee einer Prämie für alle, die sich impfen lassen», sagt Kommunikationsberater Patrick Senn. «Ich erachte es als durchaus wahrscheinlich, dass man diese Idee erst mal an einen Journalisten durchsickern liess. Der darauf folgende Aufschrei in der Öffentlichkeit führte dazu, dass man von der Idee abliess.»

Den Bundesrat lähmen Datenlecks. «Sie vergiften das Verhandlungsklima in einer Regierung», sagt Mitte-Ständerat Benedikt Würth. «Ein Kollegium funktioniert nicht mehr, wenn man nicht mehr offen alle Ideen auf den Tisch legen kann und ständig fürchten muss, dass jedes Papier und jede Äusserung bei den Medien landet.» Eine freie Meinungsbildung sei für die Bundesräte kaum mehr möglich. «Unser System mit einer Kollegialregierung funktioniert so nicht mehr richtig, das führt zu einer institutionellen Krise.»

Vergeblich forderte Würth 2021 verschärfte Massnahmen gegen Indiskretionen – der Ständerat stimmte noch zu, der Nationalrat verwarf seinen Vorstoss. Ohnehin würden die Urheber von Leaks selten gefunden und wegen Amtsgeheimnisverletzung bestraft. «Schlussendlich profitieren beide Seiten – Medien wie Politiker», sagt Kommunikationsberater Patrick Senn. Für Journalisten und die Öffentlichkeit seien Whistleblower wichtig und der Quellenschutz unantastbar. «Deshalb ist es unwahrscheinlich, dass in Zukunft schärfer gegen Indiskretionen vorgegangen wird.»

Verwerflicher, als die Ideen aus dem eigenen Departement zu leaken, sei es, die Anträge und Geschäfte von anderen Departementen vorzeitig den Medien zuzuspielen. «Gerade in einem Wahljahr kann man damit andere Bundesräte schlecht aussehen lassen und die eigene Macht damit festigen», so Patrick Senn. Auch im Falle der Corona-Leaks um Alain Berset und dessen ehemaligen Kommunikationsberater stelle sich die Frage, wer davon profitierte.

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