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Der Ölpreis fällt, aber das Benzin bleibt teuer

Volle Tanks und leerer Markt: Die Coronavirus-Krise hat der Ölindustrie einen beispiellosen Schlag versetzt. Keystone / Alessandro Della Bella

Innerhalb weniger Wochen stürzte der Wert des Rohöls auf historische Werte ab und fiel in den Vereinigten Staaten sogar unter null. Welche Auswirkungen wird der schwindelerregende Rückgang der Ölpreise auf den internationalen Märkten haben und wird er auch zu einem Rückgang der Benzinpreise für die Konsumenten und Konsumentinnen in der Schweiz führen?

Der Ölpreis hat in den letzten Jahrzehnten stets ein gewaltiges Auf und Ab erlebt, aber der im April verzeichnete Einbruch wird sicherlich in die Annalen der Geschichte eingehen. In den Vereinigten Staaten sind vor wenigen Tagen die Verträge mit Lieferung im Mai von West Texas Intermediate (WTI) – dem Rohöl, das als Referenzwert für den amerikanischen Markt dient – sogar in den negativen Bereich gefallen. Die Verkäufer waren bereit, die Käufer dafür zu bezahlen, dass sie ihnen das Öl abnehmen.

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Dieser Sturz dauerte zwar nur wenige Stunden und beschränkte sich auf den komplexen amerikanischen Terminmarkt, er symbolisierte aber die beispiellose Krise, in die das «schwarze Gold» gestürzt war. Während Ölkrisen bisher, wie in den 1970er-Jahren, im Allgemeinen auf Produktionskürzungen und Preiserhöhungen zurückgingen, sind diesmal die Märkte gesättigt, und Produzenten und Händler wissen nicht mehr, wie sie überschüssiges Rohöl lagern sollen.

Die Preise für WTI und Brent – die als Referenz für Europa, Afrika und den Nahen Osten dienen – liegen derzeit zwischen 15 und 25 Dollar pro Barrel. Wir sind also weit von den in den letzten Jahren verzeichneten Ölpreisen entfernt.

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Die Nachfrage nach Rohöl nimmt weltweit weiter zu, aber die Preise wurden in den letzten fünf Jahren bereits auf eher mittlerem Niveau festgesetzt, unter anderem wegen des starken Produktionsanstiegs von Schieferöl in den Vereinigten Staaten, die seit 2017 zu den weltweit führenden Produzenten geworden sind. Die Coronavirus-Pandemie hat die Nachfrage seit Mitte März extrem schnell eingefroren und die Märkte zur Sättigung gebracht.

Die in vielen Ländern eingeführten Massnahmen zur Eindämmung der Ausbreitung des Virus haben in den letzten Wochen den Flugverkehr lahmgelegt, den Strassenverkehr eingedämmt und die Industrieproduktion verlangsamt.

Nach Angaben der Internationalen Energieagentur sank der Ölverbrauch damit im April im Vergleich zum Jahresanfang um fast ein Drittel. Die Rohöllagertanks sind nun an ihre Grenzen gestossen, was Produzenten und Händler dazu gezwungen hat, Rohöl in Tankern, Pipelines und Containern aller Art zu lagern.

Was die Situation noch verschlimmerte, war der Preiskrieg, der in der ersten Märzhälfte zwischen Russland und Saudi-Arabien ausbrach. Der Streit zwischen diesen beiden grossen Produzenten über die Fördermengen löste heftige Kettenreaktionen auf den Märkten aus, was die Preise nach unten drückte.

Die Anfang April unter amerikanischem Druck erzielte Vereinbarung kam zustande, als riesige Mengen von Rohöl die Märkte fluteten, die nicht mehr in der Lage waren, es aufzunehmen. Um die Preise in die Höhe zu treiben, haben sich die Hauptproduktionsländer darauf geeinigt, die Produktion seit Mai um fast 10 Millionen Barrel pro Tag zu kürzen, aber sie jagen sich weiterhin mit Rabattschlachten Marktanteile ab.

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Der Kursabfall des Rohölpreises wird sich in den kommenden Wochen auch auf die Preise für Benzin, Diesel, Kerosin und andere Derivate auswirken. Dies wird einen positiven Effekt für die Importländer haben, insbesondere im Hinblick auf die Linderung der Auswirkungen der Wirtschaftskrise und die Ankurbelung des Wachstums. Die Preise für Kraft- und Brennstoffe haben einen Einfluss auf das Budget vieler Haushalte und auf die Rentabilität vieler Industriesektoren sowie den Strassen-, Schiffs- und Luftverkehr.

Es gibt jedoch auch mehrere Gründe zur Besorgnis. Der Wert des Rohöls spiegelt fast immer den Zustand der Wirtschaft wider, aber auch den Grad des Vertrauens in die wirtschaftliche Entwicklung. Die aktuellen Preise verstärken die Angst vor einer tiefen Rezession, die nicht von kurzer Dauer sein wird.

Der Kollaps des Rohölpreises wird auch schwerwiegende Auswirkungen auf eine Reihe von Förderländern – wie Venezuela, Mexiko oder Algerien – haben, die sich bereits in einer eher prekären wirtschaftlichen Lage befinden. Sie zwingt auch die US-amerikanischen Schieferölproduzenten in die Knie, die bereits bei Preisen unter 50 USD pro Barrel ums Überleben kämpfen.

Öl zu Tiefstpreisen wird wahrscheinlich auch den Wechsel zu sauberer Energie verlangsamen. In den letzten Jahren sind die erneuerbaren Energiequellen in mehreren europäischen Ländern bei einem Preis von 50 bis 60 Dollar pro Barrel gegenüber Erdöl wettbewerbsfähig geworden. Die derzeitigen Rohölpreise und die hohen öffentlichen Ausgaben für die wirtschaftliche Erholung könnten Staaten und Unternehmen dazu veranlassen, Investitionen in erneuerbare Energien zumindest kurzfristig einzufrieren.

Andererseits zeigt dieser neue Schock auf den Ölmärkten einmal mehr die Volatilität und Verwundbarkeit der fossilen Brennstoffe, was das Bewusstsein für die Bedeutung einer Energietransformation in Ländern mit ausreichenden finanziellen Ressourcen schärfen könnte.

Die Benzin- und Dieselpreise sind bereits seit Anfang des Jahres gesunken, was die Krise ein wenig vorweggenommen hat, aber auch in den letzten beiden Monaten hat es keine drastischen Einschnitte gegeben. Der Rückgang der Ölpreise schlägt sich nicht schnell in niedrigeren Preisen nieder, da Tankstellen Kraftstoffe verkaufen, die Wochen oder Monate zuvor zu höheren Werten gekauft wurden.

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Aber auch für die nächsten Tage sind in der Schweiz keine grösseren Rückgänge zu erwarten. Der Benzinpreis liegt derzeit bei durchschnittlich 1,42 Franken pro Liter. Mehr als die Hälfte dieses Betrags wird durch verschiedene – meist fixe – Steuern bestimmt, die dem Staat jährliche Einnahmen von 5-6 Milliarden Franken pro Jahr bescheren. Mehr als ein Drittel der Kosten entfallen auf Raffinations-, Transport- und Vertriebskosten. Die Rohstoffe machen nur 15 bis 20% des Endpreises aus.

Unter Berücksichtigung dieser Komponenten gibt es daher nicht viel Spielraum für Anpassungen nach unten, während sich der Benzinpreis vor allem nach oben entwickeln kann – allenfalls gebremst durch einen Nachfragerückgang. In den letzten 10 Jahren schwankte der Benzinpreis an den Tankstellen zwischen 1,40 und 1,80 Franken.

Eher hohe Steuern und der fehlende Zugang zum Meer machen die Schweiz zu einem der europäischen Länder, in denen Benzin am teuersten ist: Derzeit sind nur in Italien, Grossbritannien, den Niederlanden, Norwegen und Griechenland die Preise höher.

(Übertragung aus dem Italienischen: Sibilla Bondolfi)

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