Credit Suisse: Der «Dampfmaschine des Kredits» ist die Puste ausgegangen
Die Geschichte der Credit Suisse steht für den Wandel des Selbstverständnisses auf dem Schweizer Finanzplatz: Angefangen mit diskreten Banquiers, die durch das Bankgeheimnis von der Kapitalflucht profitierten, hin zu Investmentbankern, die das Risiko nicht scheuten.
Noch in den 1980ern hätte man glauben können, die Schweiz gehöre der Schweizerischen Kreditanstalt (SKA), wie die Credit Suisse damals noch hiess. Abertausende Schweizer Kinder trugen eine Mütze der SKA, glacérot und blau wie der Himmel, mit einem stilisierten Kreuz drauf.
Böse Stimmen gaben der SKA sogar die Schuld an einer landesweiten Lausplage in den Schulen, weil die Kinder die Mützen immer verwechselten. Nur schon 1977 waren 800’000 verteilt worden, das beliebte Give-away wurde bis 1993 produziert. Was in Deutschland die Generation Golf war, ist in der Schweiz die Generation SKA.
Machen Sie mit an unserer Debatte zum Thema:
Mehr
Im Herbst 2022 wurde gefrotzelt,Externer Link diese Kult-Mützen, die man im Netz heute noch auftreiben kann – für schon mal über 200 Franken –, seien bei weitem ein besseres Investment als eine CS-Aktie selbst. Die Spötter:innen sollten recht behalten, die UBS hat sich die Reste der CS einverleibt.
Nostalgie für die Gründerjahre
Die Nostalgie wird den Preis der Mützen wohl noch weiter antreiben. Denn die Ursprünge der Credit Suisse reichen zurück in die mythisch überhöhten Anfänge des «Unternehmen ‹Schweiz'» (Friedrich Dürrenmatt) in der Gründerzeit des 19. Jahrhunderts, als die Schweiz von einem Armenhaus zum wirtschaftlichen Player aufstieg.
Gegründet hat die Schweizerische Kreditanstalt ein starker Mann, ein Macher, der von vielen noch immer bewundert wird: Alfred Escher.
Mehr
Alfred Escher, Oligarch der Schweizer Industrialisierung
Unter seiner Statue vor dem Zürcher Hauptbahnhof erinnern noch heute angekettete, wasserspeiende Drachen daran, dass er Flüsse begradigen liess, und eine weitere Allegorie, dass er selbst hinter der Durchbohrung des Gotthardmassivs steckte. Eschers Nordostbahn lieferte mit Hunderten von Kilometern die Grundlage für die Schweizerischen Bahnbetriebe.
Die Finanzkraft hinter allem besorgte die Schweizerische Kreditanstalt, die Escher 1856 mit anderen Industriellen gegründet hatte. Seine «Dampfmaschine des Kredits» besorgte ihm das Kapital, das Escher für den Ausbau seines Eisenbahnnetzes benötigte. Als eine der ersten Schweizerischen Grossbanken vermochte sie grössere Kredite zu vergeben, welche die Industrialisierung des Landes benötigte.
1870 expandierte die SKA und eröffnete eine Filiale in New York und in Wien. In der Schweiz konzentrierte man sich auf Zürich: Seit 1876 stand die Hauptfiliale am Zürcher Paradeplatz, der heute sprichwörtlich für die Macht der Banken in der Schweiz steht.
1897 siedelte dort auch der Schweizerische Bankverein an, der später in der UBS aufging. Hier begann ein Wettkampf, der durch die Übernahme durch die UBS endgültig zu Ende ging.
Nach dem ersten Weltkrieg liess die Kapitalflucht den Schweizer Bankensektor kometenhaft aufsteigen – die Schweizerische Kreditanstalt erklärte ihren Aufstieg im Auslandsgeschäft vor 1928 mit «besonders geschultem Personal».
Im Zweiten Weltkrieg geschäftete die SKA, wie andere Schweizer Banken, mit den Nationalsozialisten, nahm wissentlich Raubgold entgegen. (Das Geschäfts-Bulletin der CS verbreitete später, in den 1960ern als erstes die bizarre Vorstellung, das Bankgeheimnis sei 1934 zum SchutzExterner Link jüdischer Konten vor den Nazis eingerichtet worden.)
Das skandalträchtige Stehaufmännchen
Nach dem Zweiten Weltkrieg geht der Aufstieg nahtlos weiter: Verwaltete die SKA 1945 noch 3,9 Milliarden Franken an Wertschriften, waren es 1970 47 Milliarden. Man handelt mit Devisen und hat sogar eine eigene Gold-Raffinerie im Tessin. Und auch wenn man dank des Bankgeheimnisses Geld aus allen Ländern der Welt annahm: Expansionsabenteuer im Ausland vermied die CS eher.
Die Bank blieb so lange im Windschatten des Bankvereins und der Schweizerischen Bankgesellschaft, die 1998 ebenfalls in der UBS aufgehen sollte. Das lag auch am Ruf als seriöse, wenig innovative Bank.
Die berühmten Mützen, mit denen jeder Text über die CS beginnt, waren Teil einer Imagekorrektur-Kampagne, mit der man Kleinsparer und die Herzen der Schweizer Bevölkerung gewinnen wollte. Man kommunizierte offener und buhlte auch um Kleinsparer:innen, ab 1970 gab es auch ein Sparkonto für Jugendliche.
Doch 1977 erschütterte der «Chiasso-Skandal» die Bank. Die SKA hatte über Jahre undeklariert Gelder vermögender Italiener:innen über verschleierte Finanzvehikel in Liechtenstein aufgenommen – insgesamt über zwei Milliarden Schweizer Franken – und dazu auch noch schlecht investiert. Nicht nur warf man der SKA Geldwäscherei, sondern auch Inkompetenz vor.
Doch die CS gibt Konter: Es rollen einige Köpfe in der Führungsriege. Vor allem aber überzeugt sie die Öffentlichkeit in einer PR-Offensive von ihrer Vertrauenswürdigkeit, indem sie den Mützenmarkt floatet und als Sport-Sponsor omnipräsent wird. «SKA für alle da» wird der neue Slogan.
Wie ambivalent dieser Slogan war, zeigten 2022 die Veröffentlichung der Swiss Secrets, in denen ans Licht kam, wie eng verwickelt die Bank weiterhin ins weltweite Geschäft der Vermögensverschleierung war. Zu den Kund:innen der Bank sollen auch Mafiosi gehört haben.
Doch der Umgang mit der Krise von 1977 wird, wie die NZZ damals schrieb «zum Symbol für die Stärke des Instituts» umgedeutet – dieser Ruf als Stehaufmännchen, das jede Krise übersteht, begleitete die CS bis an ihr Ende.
Aufstieg der Banker
Doch die Krise von 1977 führte auch zu einem schmerzhaften Verlust von 1,4 Milliarden Franken, der mit dem Verteilen von Merchandise-Goodies und Kleinsparereinlagen nicht wettzumachen war. 1978 steigt die SKA ins Investmentbanking ein und die CS Holding wird als Schwestergesellschaft der SKA gegründet, um Beteiligungen an Industrieunternehmen zu halten.
1988 übernahm diese Holding die First Boston, das sich als Finanzinstitut durch ein besonders aggressives Verhalten im boomenden Investment Banking der 1980er-Jahre einen Namen gemacht hatte. Die Übernahme kostete über 20 Milliarden Franken: eine bis dahin nie erreichte Grössenordnung für ein Schweizer Unternehmen.
1997 wird aus der CS Holding die Credit Suisse Group. Diesmal kommt sie den Nachbarn am Paradeplatz zuvor: Dort fusionieren die Schweizerische Bankgesellschaft und Bankverein 1998 zur UBS. Beide Grossbanken streben nach Vergrösserung.
In den 1990ern setzte eine Konsolidierung der Branche ein: Gab es 1990 noch 495 Banken in der Schweiz, waren es 2020 noch 243.Externer Link CS Holding Group beginnt eine Einkaufstour mit dem Kauf der Schweizer Bank Leu, später folgen die Volksbank und die Neue Aargauer Bank.
Ende 2000 beschäftige die Universalbank Credit Suisse weltweit rund 80’000 Mitarbeitende, 28’000 davon in der Schweiz. Der Aktienkurs lag Ende Jahr bei rund 100 Franken, der Gewinn betrug 5,7 Milliarden Franken.
Showdown am Paradeplatz
Im Zug der Umstrukturierung in den 1990ern verschwindet der Name «Schweizerische Kreditanstalt». Und mit der zunehmend internationalen Ausrichtung setzt ein schleichender Kulturwandel ein – der traditionelle Banquier, der diskret allerlei Geld aus aller Herren Länder verwaltet, wird ersetzt durch den risikobereiteren Typus des «Bankers».
Mehr
«Das Bild des unverdächtigen Bankers – das ist dahin»
Das zeigt sich auch in der Entlöhnung. Anfang der 2000er kommt es zu einer kurzen, aber heftigen Rezesssion – 20’000 Stellen gehen verloren und der Aktienkurs fällt unter 20 Franken. Dennoch sprudelten die Boni weiter. 2006 zahlte die Bank einem entlassenen Mitarbeiter in den USA sage und schreibe 120 Millionen Dollar Entschädigung für seine Mühen.
Im Crash 2008 kann sich die Bank mit Hilfe von Investoren in Katar halten – Staatshilfe lehnt sie ab, während die UBS per Bundesratsbeschluss gerettet werden muss. Man hat den Eindruck, das Rennen am Paradeplatz sei gewonnen, die CS kriegt Bestnoten. Doch die dunklen Wolken über der Grossbank sollten sich in den kommenden Jahren nicht verziehen.
Die CS fährt einen riskanteren Kurs und senkt ihren Eigenkapitalanteil – zeitgleich gerät sie in die Schlagzeilen für horrend hohe Lohn- und Bonizahlungen. 2014 stehen CS-Banker in den USA wegen Steuerhinterziehung vor Gericht – die Bank bezahlt eine empfindlich hohe Busse.
2020 wird der CS vorgeworfen, einen Star-Banker beschattet zu haben, aus Angst, er laufe zur Konkurrentin UBS über – der Verwaltungsrat gerät in die Kritik.
2021 explodierten die beiden Anlagefonds Greensill und Archegos und rissen eine milliardenschwere, klaffende Wunde in die CS-Bilanz.
Mehr
Was ist bei der Credit Suisse schiefgelaufen?
Ende vergangenen Jahres stieg die Saudi National Bank als Grossaktionärin bei der CS ein. Doch diesmal wurde aus dem Befreiungsschlag mit Geld aus dem Nahen Osten nichts. Wer künftig am Zürcher Paradeplatz nach oben blickt, wird merken: Da prangt nur noch ein Bankenname.
In Übereinstimmung mit den JTI-Standards
Einen Überblick über die laufenden Debatten mit unseren Journalisten finden Sie hier. Machen Sie mit!
Wenn Sie eine Debatte über ein in diesem Artikel angesprochenes Thema beginnen oder sachliche Fehler melden möchten, senden Sie uns bitte eine E-Mail an german@swissinfo.ch