«Der beste Weg ist der eigene Weg»
Der Kampf gegen Kinderarbeit sei ein sehr langer Weg, sagt Jürgen Steinemann, Chef von Barry Callebaut. Der grösste Schokoladenhersteller der Welt mit Sitz in Zürich setzt dabei unter anderem auf sein eigenes Programm.
Auch mit dem eigenen «Quality Partner Program» (QPP, siehe Kasten), das Barry Callebaut mit Kakaobauern durchführt, könne er Kinderarbeit nicht gänzlich ausschliessen, sagt Steinemann mit entwaffnender Offenheit.
Die tägliche Präsenz der eigenen Mitarbeitenden auf den Kakaofarmen biete aber die grösstmögliche Gewähr, dass dort keine Kinder gegen ihren Willen beschäftigt werden, sagt der 52-jährige Deutsche im Gespräch mit swissinfo.ch.
swissinfo.ch: Schweizer und Schweizerinnen sind Weltmeister im Essen von Schokolade, 2009 verzehrten sie fast 12 Kilogramm Schoggi. Wie viel essen Sie?
J.S.: Ich liege darüber (lacht). Sie können ja nicht einem Unternehmen vorstehen, das Schokolade produziert, ohne ständig am Produkt interessiert zu sein. Bei mir ist der Genuss-Anteil gegenüber demjenigen der Degustation aber noch zu hoch.
swissinfo.ch: Welches ist Ihre Lieblingsschokolade?
J.S.: Das hängt von der Tagesform ab und ist übers Jahr hinweg unterschiedlich. Es gibt Zeiten, in denen ich lieber Rotwein trinke, und solche, in denen es Weisswein ist. Genauso esse ich manchmal lieber Milchschokolade, ein anderes Mal dunkle Schokolade.
swissinfo.ch: Der Genuss feiner Schokolade besitzt eine bittere Note. Auf den Kakaoplantagen in Westafrika werden zehn Jahre nach Unterzeichnung des Harkin-Engel-Protokolls immer noch Kindersklaven eingesetzt. Weshalb zeigt die freiwillige Verpflichtung der Hersteller wenig nachhaltige Wirkung?
J.S.: Der Ansatz ist richtig, man muss ihn unterstützen. Kinderarbeit darf nicht als Kavaliersdelikt gelten, der Kampf dagegen gehört ganz oben auf die Agenda.
Zwar beteiligen wir uns an den Aktivitäten internationaler Organisation wie der World Cocoa Foundation, der International Cocoa Initiative und anderen. Teilweise agieren diese jedoch aus der Ferne, und das ist nicht immer effizient.
Der beste Weg ist der eigene Weg. Mit unserem «Quality Partner Program» (QPP, siehe Kasten) arbeiten wir direkt mit Kooperativen zusammen. So können wir mit Überzeugung sagen, was zu tun ist, um etwas zu verändern.
Die Verträge, die wir mit den Kooperativen abschliessen, umfassen einen Kodex, der Kinderarbeit ausschliesst. Jedoch: Das Unterschreiben eines Papiers ist noch keine vollständige Garantie.
Ich weiss, dass auf Kakaofarmen Kinderarbeit existiert. Wir können dies auch mit unserem Programm nicht ausschliessen, denn wir sind nicht sieben Tage 24 Stunden vor Ort. Was etwa nachts zwischen 22 und 2 Uhr passiert, können wir nicht kontrollieren.
Aber indem unsere Mitarbeitenden täglich in den Kooperativen sind und mit eigenen Augen hinsehen, tun wir das maximal mögliche, um Kinderarbeit bestmöglich auszuschliessen.
Wir versuchen nach bestem Wissen und Gewissen, dem Thema auf den Grund zu gehen und aus unserer ethischen Überzeugung dagegen anzukämpfen. Wir können dies nur, indem wir es selbst vorleben und tun. Das ist der effizienteste Weg.
Ich selbst war im letzten Jahr sechs Mal in Westafrika. Nicht in einem klimatisierten Hotelzimmer in der Hauptstadt, sondern wir fuhren mit dem Auto zu den Kakaobauern ‹in den Busch›. Das ist die einzige Art, sich des Themas anzunehmen. Alles andere ist Rufen hinter dem Baum hervor. Der Kampf gegen Kinderarbeit ist ein langer, steiniger Weg. Aber wir gehen ihn kontinuierlich weiter.
swissinfo.ch: Was tun Sie, wenn Sie auf einem Betrieb Kinder an der Arbeit sehen?
J.S.: Ich komme selbst aus einem landwirtschaftlichen Betrieb und habe als Kind im Sommer Heu und Stroh geerntet. Ist das Kinderarbeit? Schon die Abgrenzung ist schwierig.
Die Forderung beispielsweise, Kinder dürfen keine Machete in die Hand nehmen, kommt aus dem modernen Bürohaus in einer weit entfernten Grossstadt. Kinder brauchen im Busch Macheten, um sich ihren Weg in die Schule zu bahnen.
Man muss das Thema praktisch angehen und zwischen gut gemeinter Arbeit und forcierter Kinderarbeit unterscheiden. Bin ich auf einer Kakaofarm, sehe ich viele Kinder. Solche aber, die gegen ihren Willen auf Kakaofarmen beschäftigt werden, sind nicht unbedingt sichtbar, wenn Weisse anwesend sind.
swissinfo.ch: Ein wichtiger Punkt sind Schulen, wo Kinder Lernen und unter Ihresgleichen sein können. Was unternimmt BC auf diesem Gebiet?
J.S.: Wir haben ein grosses, natürliches Interesse, die Kakaobauern und ihr Umfeld zu unterstützen. Wir setzen bei der Verbesserung der Ernte an, sowohl in quantitativer als auch in qualitativer Hinsicht. Das dient beiden Seiten (siehe Kasten).
Kinderarbeit ist aber nicht die einzige Herausforderung im Bestreben um mehr Kakao. Die Kautschukpflanze beispielsweise ist viel einfacher zu kultivieren. Dazu kommt die allgemeine Landflucht, wie wir sie auch aus Schweizer Randregionen kennen.
Die Unterstützung ist aber nicht allein eine Frage des Geldes. Mit dem QPP wollen wir den Bauern und ihren Familien auch einen verbesserten Zugang zu Schulbildung, sauberem Wasser und medizinischer Versorgung ermöglichen.
swissinfo.ch: Kinderarbeit ist ein Armutsphänomen, weil die Kakaobauern zu wenig für ihr Produkt erhalten, um die Kinder in die Schule schicken zu können. Ist es eine naive Vorstellung, dass eine nachhaltige Versorgungskette mit einem fairen Abnahmepreis für die Produzenten beginnt?
J.S.: Abgesehen davon, dass die Bauern in den letzten zwei Jahren angesichts des stark gestiegenen Kakaopreises doppelt so viel erhalten haben wie zuvor, möchte ich den Ball auch gerne einmal an die Konsumenten zurück spielen: Wären die Konsumenten bereit, höhere Kakaopreise mit zu tragen, hätten es alle Teilnehmer in der Kette vom Bauern zum Konsumenten viel leichter.
Bei den Milchpreisen hatten wir hier dasselbe Problem. Sind Konsumenten nicht bereit, für ein wertvolles Produkt wie Milch höhere Preise zu bezahlen, sind sie Teil des Problems.
Wollen wir wirklich die Welt nachhaltig verbessern, müssen wir auch alle bereit sein, mehr für die wertvollen Lebensmittel zu bezahlen, die wir jeden Tag konsumieren. Der Konsument muss sich also auch an der eigenen Nase fassen: Ist er nicht bereit, mehr für ein Produkt zu bezahlen, muss er mit einigen ‹Kompromissen› leben.
Im abgelaufenen Geschäftsjahr 2009/2010 führte Barry Callebaut das Programm «Quality Cocoa for a better Life – Quality Partner Program» partnerschaftlich mit 40’000 Kakaobauern und 48 Kooperativen in der Elfenbeinküste durch.
Seit August kommt QPP auch in Kamerun zur Anwendung.
Ziel ist die Verbesserung der Kakao-Ernte in qualitativer und quantitativer Hinsicht mittels Schulungen.
Die Bauern können mehr Einkommen erzielen, indem sie einerseits mehr Kakao an Barry Callebaut verkaufen. Andererseits honriert das Unternehmen die bessere Qualität mit Prämien.
Weitere QPP-Schwerpunkte sind ein verbesserter Zugang der Kakaobauern und ihrer Familien zu sauberem Wasser und medizinischer Versorgung.
Grossen Wert legt BC auch auf die Sensibilisierung der Kakaobauern auf das Phänomen der Kinderarbeit und die Bedeutung der Schulbildung für Kinder.
2009 eröffnete das Unternehmen eine Sekundarschule in Akoupé nördlich von Abijdan, der Hauptstadt der Elfenbeinküste.
Im laufenden Jahr bezog Barry Callebaut rund 70’000 Tonnen Kakao aus dem Quality Partner Program. Das sind knapp 10% der insgesamt von BC verarbeiteten Kakaobohnen.
Mit seinem Wachstum von +6,8% beim Umsatz und +7,6% bei der verkaufte Menge überflügelte Barry Callebaut im Geschäftsjahr 2009/2010 die stagnierende Schokoladebranche einmal mehr deutlich.
Auch in den nächsten Jahren will BC zwischen 6 und 8% zulegen.
Das Unternehmen hat bereits in den wachsenden Märkten China, Russland, Brasilien und Mexiko Fuss gefasst. Gemäss CEO Jürgen Steinemann werden weitere Emerging Markets folgen.
Den gesteigerten Bedarf an Kakao will BC u. a. mit verbesserten Anbaumethoden und effizienterer Verarbeitung auffangen.
Das Unternehmen hat bestimmte Bakterien entwickelt, so genannte Enzyme, dank derer die Fermentierung der Kakaobohnen an der Sonne optimiert wird.
Verläuft dieses «Schmoren» der Kakaobohnen an der Sonne kontrolliert, ergibt das eine gleichmässigere Herausbildung des Geschmacks der Früchte und weniger Ausfälle.
Durch grössere Ernten und die bessere Qualität der Kakaobohnen können die Bauern mehr Einkommen generieren.
Barry Callebaut mit Sitz in Dübendorf/Zürich ist weltweite Nummer 1 in der Herstellung von Kakao- und Schokoladeprodukten.
Das Unternehmen produziert in 26 Ländern und zählt über 7500 Mitarbeitende.
Der Konzern ging 1996 aus der Fusion des belgischen Schokoladenherstellers
Callebaut mit dem französischen Schokoladenproduzenten Cacao Barry
hervor.
BC liefert Schokoladenprodukte an die Nahrungsmittelkonzerne Nestlé, Hershey, Cadbury und Kraft (seit September 2010).
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