Der Kampf gegen Fälschungen: eine Spezialität der Schweiz
In Zeiten steigender Nachfrage nach Gold nehmen auch die Fälschungen zu. Deshalb ist das Waadtländer KMU AlpVision mit seinem Authentifizierungssystemen gefragter denn je. Die Schweiz gilt als Hochburg der Zertifizierungsindustrie.
Angesichts der aktuellen wirtschaftlichen Unsicherheit stellt Gold für viele Anleger:innen einen sicheren Hafen dar. Insbesondere aufgrund der Bankenkrise, die auch die Credit Suisse erschütterte, stieg der Preis für das Edelmetall zwischen Oktober 2022 und April 2023 um satte 10%.
Solche Trends locken auch Betrüger:innenExterner Link an, die gefälschte, mit Wolfram versetzte Goldbarren verkaufen, so wie das 2012 in London geschah. Diese Täuschungen untergraben nicht nur das Vertrauen der Käufer:innen, sondern schaden auch der Integrität des Marktes.
Eine Lösung für dieses Problem bietet das Unternehmen AlpVision. Das KMU erhielt im Frühjahr von der unabhängigen Edelmetallbehörde LBMA Gold Bar Integrity eine Zertifizierung für sein Authentifizierungssystem.
«Dieses Label macht unsere Lösung zu einem digitalen Goldpass. Unser Verfahren ist auf Smartphones Externer Linknutzbar und erkennt mikroskopische Unregelmässigkeiten auf der Oberfläche des Produkts», sagt Fred Jordan, der das Unternehmen mit Sitz in Vevey zusammen mit Martin Kutter gegründet hat.
Mit seinem Angebot gilt AlpVision als Pionier im Kampf gegen Betrügereien. «Wegen der wachsenden Zahl von Menschen, die Gold auf Online-Märkten wie eBay kaufen, entspricht unser Authentifizierungssystem einem echten Bedürfnis», ergänzt Jordan.
Der Kampf gegen Fälschungen betrifft aber nicht nur den Goldmarkt. Gemäss einer 2018 veröffentlichten Studie der OECD Externer Linkbeläuft sich der Gesamtwert der Produkte, die geistiges Eigentum verletzen, in der Schweiz auf 7 Milliarden Franken. Laut Yves Bugmann, Leiter der Rechtsabteilung beim Verband der Schweizer Uhrenindustrie (FH), entspricht das einem Anteil von 2,3% der gesamten Schweizer Exporte.
Hochburg der Goldveredelung
Neben AlpVision bietet auch Metalor, ein Goldlieferant aus Neuenburg, Lösungen zur Fälschungserkennung an. Zusammen mit dem Lausanner Unternehmen SICPA entwickelte die Firma das BullionProtect-System, das auf unsichtbarer Tinte basiert, wie Metalor-Schatzmeister Nicolas Carrera erklärt. Bereits sechs Veredler nutzen das System und drei weitere prüfen es derzeit.
Laut dem Weltgoldrat Externer Link(WGC) sind 70% der weltweiten Goldveredler in der Schweiz ansässig, was eher unbekannt ist. Darunter sind vier Schwergewichte, nebst Metalor in Neuenburg sind das Argor, Pamp und Valcambi im Tessin. Diese Konzentration erklärt auch, warum so viele Lösungen zur Bekämpfung von Fälschungen aus der Schweiz stammen.
Eine treibende Rolle bei der Entwicklung neuer Tools spielt die Eidgenössische Technische Hochschule Lausanne (EPFL), an der AlpVision-Mitbegründer Jordan und Kutter promoviert haben. Die EPFL hat die Technologie entwickelt, die von der Firma verwendet wird.
Die Bestrebungen, Werkzeuge zur Erkennung von Fälschungen herzustellen, ist Teil der Schweizer Industriegeschichte. Ein zentraler Akteur ist die Firma Sicpa, die Anfang des 20. Jahrhunderts von Maurice Amon und seinem Sohn Albert in Lausanne gegründet wurde.
Eine von ihnen patentierte Druckfarbe wurde 1969 von Interpol als weltweiter Standard für Banknoten anerkannt. Mit der Zeit entwickelte sich das Unternehmen zu einem bevorzugten Partner von Institutionen und Regierungen und trug dazu bei, die Region als Kompetenzzentrum bekannt zu machen.
In den 2000er-Jahren diversifizierte SICPA, das für seine Diskretion bekannt ist, seine Aktivitäten und begann mit der Sicherung von Banknoten, Pässen und Konsumgütern aller Art. Expert:innen betonen, dass die Einzigartigkeit der Tätigkeiten von Sicpa und deren Auswirkungen auf die lokale Wirtschaft eine Sogwirkung ausüben.
Unseren Hintergrundbericht über die dunkle Seite des Zertifizierungsriesen Sicpa finden Sie hier:
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Sicpa – undurchsichtige Geschäfte mit dem Vertrauen
Externer LinkWeltmeister der Verschlüsselung
Einen weiteren Vorstoss gab es vor einigen Jahren, als sich öffentliche Akteur:innen und Privatunternehmen aus dem Genferseegebiet zusammenschlossen, um eine Initiative zur Schaffung eines attraktiven Zentrums für Betrugsbekämpfung ins Leben zu rufen. Seit 2018 vereint das Center for Digital Trust (C4DT) an der EPFL eine akademisch-industrielle Allianz aus rund 20 Industriepartnern, 36 EPFL-Laboren sowie Vertreter:innen der Zivilgesellschaft und Politik.
«Die Weltorganisation für geistiges Eigentum (WIPO) hat ihren Sitz in Genf, während sich in der Westschweiz Weltmeister im Bereich Überwachung und Verschlüsselung konzenrieren, wie SGS in Genf oder ELCA und Kudelski im Kanton Waadt», sagt Lennig Pedron, Direktorin des Trust ValleyExterner Link, einer Allianz, die die Akteure in der Region vereint. «Hier findet man eine Vielzahl von Aktivitäten, die für die Bekämpfung von Fälschungen unerlässlich sind.»
Und diese Aktivitäten werden immer gefragter, weil die steigende Zahl an gefälschten Waren verschiedene Branchen ernsthaft bedroht. Laut den neuesten Daten von MarketsandMarkets Externer Linkwird der Markt für Authentifizierung zwischen 2020 und 2025 jährlich um voraussichtlich 15,6% wachsen und bis 2025 einen Wert von 22,6 Mrd. US-Dollar erreichen.
Hohe Nachfrage in Asien
Das KMU Alpvision, 2001 gegründet, beschäftigt inzwischen 16 Mitarbeiter:innen und unterhält Niederlassungen in Shanghai und Portland. Das Unternehmen verfügt über mehr als 90 Patente und schützt jährlich mehr als 30 Milliarden Produkte durch seine Technologie, die in einer Vielzahl von Branchen zum Einsatz kommt. Dazu zählen beispielsweise die Schmiermittelindustrie für Autos, der Tabaksektor und die Alkoholbranche, in denen Produkte häufig Ziel von Fälschungen sind, weil sie der Verbrauchssteuer unterliegen.
Eine Firma, die sich in der gleichen Nische wie AlpVision bewegt, ist Scantrust. Allerdings bietet sie eine andere Art von Lösung an: ein System zur Verwaltung von kopiergeschützten QR-Codes. Scantrust wurde 2013 ebenfalls an der EPFL gegründet und beschäftigt weltweit rund 40 Mitarbeiter:innen an verschiedenen Standorten, darunter auch in Shanghai.
Noch in diesem Jahr möchte Sicpa den «Unlimitrust»-Campus in Prilly in der Region Lausanne einweihen. Dieses Projekt, das mit 200 Millionen Franken vom Kanton Waadt und der EPFL unterstützt wird, soll ein Innovationszentrum für vertrauensbasierte Technologien werden, an dem namhafte Unternehmen aus der Industrie beteiligt sind. Ziel ist es, eine enge Zusammenarbeit zwischen Forschungsinstituten, Start-ups und den wichtigsten Akteuren der Branche zu fördern und ein echtes Kompetenzzentrum zu etablieren.
«Besonders in Asien ist die Nachfrage hoch, da dort zahlreiche Produkte für den globalen Markt hergestellt und konsumiert werden», erklärt Justin Picard, der das Start-up zusammen mit Nathan Anderson aufgebaut hat. In dieser Region sei die Bevölkerung besonders sensibilisiert für das Problem der Produktfälschungen.
Das Scantrust-System basiert auf einem nicht reproduzierbaren QR-Code, der mit einem Smartphone gelesen werden kann. «Die Anforderungen an Transparenz werden immer höher. Entsprechend werden immaterielle Werte wie Innovationsgrad, Markenbekanntheit, Nachhaltigkeit und Ethik in den Preis einberechnet. Die Authentizität wird zu einem entscheidenden Faktor», sagt Picard.
Gleichzeitig spiele die Rückverfolgbarkeit für die Herstellerfirmen eine immer wichtigere Rolle, und sie liefert den Marken wertvolle Informationen über Lagerbestände oder das Verhalten der Verbraucher:innen.
Falsche Medikamente auf dem Vormarsch
Auch Pharmaunternehmen sind wichtige Kunden der Zertifizierungsindustrie. Laut einem Bericht des Infectious Diseases Data Observatory und der Universität Oxford aus dem Jahr 2021 ist der Schwarzmarkt für Arzneimittel im Jahr 2020 um mehr als 400% gewachsen.
«Die Schweiz mit Roche und Novartis bietet ein fruchtbares Umfeld für die Entwicklung neuer Lösungen», betont Lennig Pedron von Trust Valley. Auch AlpVision hat solche Lösungen parat. Die Technologie der Firma, die auf Mikrolöchern basiert, sichert die Verpackung von Medikamenten.
«Mit dem zunehmenden Online-Verkauf erwerben immer mehr Verbraucher:innen Tabletten aus einfachem Zucker oder sogar gefährlicheren Substanzen», erklärt Martin Kutter. Nur durch eine systematische Authentifizierung der Produkte können Fälschungen neutralisiert werden.»
Editiert von Virginie Mangin und Samuel Jaberg. Übertragung aus dem Französischen: Christoph Kummer.
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