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Der Leopard des Filmfestivals Locarno geht in Pension

Die Piazza Grande in Locarno, auf der Leinwand der Leopard
Leopard Chota, das Markenzeichen des Festivals Keystone

Chota heisst der Leopard, der vor jeder Vorführung des Filmfestivals Locarno über die grosse Kinoleinwand läuft. Die Grosskatze stand über Jahre auf der Gehaltsliste des Festivals, nicht ohne Bedenken seitens der Direktion, sie im Fall eines "Streiks" weiterbezahlen zu müssen.

Das Festival 2023 ist der letzte Auftritt für Chota, die Leopardendame, die in einer zoologischen Auffangstation in Oxfordshire lebt und seit 17 Jahren vor jeder Festivalvorführung in Locarno von der Leinwand brüllt. Das Festival castet wieder.

Die bewegte Katze

Die Geschichte um Chota und Locarno begann 2006 mit dem Einstieg der Londoner Agentur Jannuzzi Smith, die dem Filmfestival eine neue visuelle Identität geben sollte. Dies geschah auch im Hinblick auf das 60-jährige Bestehen, zumal das Filmfestival 2007 einen runden Geburtstag hatte.

Verschwommene Menschen vor einer Wand im Leopardenmuster
Der von GGK entworfene Animal Print war bis 2005 im Einsatz. Keystone / Martial Trezzini

Damals spielte das «Festival internazionale del film Locarno» – so lautet auch heute noch der offizielle Name – bereits mit dem gepunkteten Pardo, einem gelb-schwarzen Animalprint, der vom Zürcher Grafikstudio GGK entworfen worden war (siehe Foto).

«Unsere Aufgabe bestand darin, die von GGK begonnene Arbeit fortzusetzen. Es ging darum, das ’sign pardato›, das in den letzten Jahren etwas in Vergessenheit geraten war, zu erneuern und neu zu beleben», erinnert sich Michele Jannuzzi.

Unter der künstlerischen Leitung von Irene Bignardi (2001-2005) hatte der Pardo in der Tat seine Strahlkraft verloren. Nach dem grossartigen Plakat der ersten Ausgabe unter Bignardi war er praktisch aus allen Kommunikationsmaterialien des Festivals verschwunden.

Chota läuft auf einem Balken vor dem Green Screen.
Chota läuft auf einem Balken vor dem «Green Screen». @Jannuzzi Smith

«Den Pardo wiederzugewinnen und neu zu erfinden, das war damals unsere Herausforderung.» Im Vergleich zum Beitrag von GGK brachten Jannuzzi Smith eine wichtige und entscheidende Neuerung ein: «Wir haben den Pardo in Bewegung gebracht», sagt Jannuzzi.

«Bitte nicht streiken»

«In Chipping Note, Oxfordshire, hatten wir zwei Katzen im Einsatz. Die eine war sehr lebhaft, besonders gut im Springen und akrobatisch, die andere – Chota – war eher sanftmütig und für uns sehr geeignet, weil sie stehen konnte und sehr elegant lief.»

Aufgrund ihres besonderen Charakters bestand die einzige wirkliche Sorge von Jannuzzi (und der Festivalleitung) darin, die Leoparden für einen Tag Arbeit bezahlen zu müssen – vierstellig, also nicht gerade kostenlos – und sie streiken zu sehen.

An Witzeleien mangelte es auf der Achse Locarno-London nicht. Denn hätten die Katzen, die sehr gefragt waren, beschlossen, am Drehtag zu ruhen, wäre es nicht einfach gewesen, einen anderen brauchbaren Termin zu finden, der alle – Leoparden, Fotograf, Videofilmer und Grafiker – zusammenbringt.

«Der britische Fotograf Tim Flach, der sich auf Tieraufnahmen spezialisiert hat, führte Regie bei diesen beiden ganz besonderen Schauspielerinnen… zum Glück ging alles glatt», erinnert sich Januzzi. «So haben wir das, was die Grundlage für das neue visuelle Erscheinungsbild des Festivals werden sollte, nach Hause gebracht, ohne das ursprüngliche Budget zu sprengen. Es war ein Erfolg.»

Mit den Fotografien und Videos von Chota (wir nennen sie wieder so, auch wenn wir jetzt wissen, dass es zwei waren) hat die Agentur Jannuzzi Smith den ersten Videoteaser geschaffen, der vor jedem Film läuft, den Leoparden, der die Leinwand durchquert. 

Aber vor allem hat die in London ansässige Agentur für die medienübergreifende Kommunikation den Kanon festgelegt, also vorgezeichnet, wie das visuelle Bild des Festivals in allen möglichen Deklinationen verwendet werden sollte.

Nastassja Kinski und Marco Solari eilen scheinbar am Festivallogo vorbei zur Piazza
Der Pardo im Korridor am Eingang zur Piazza Grande. Hier mit Nastassja Kinski und Festival-Präsident Marco Solari. Keystone / Urs Flueeler

Michele Jannuzzi unterstreicht: «Nach der Etablierung dieses Kanons können die jungen Designerinnen und Designer, die an dem jährlich vom Festival ausgeschriebenen Wettbewerb zur Gestaltung des neuen Plakats teilnehmen, den Pardo nach Belieben neu interpretieren, ohne dass das Festival seine Seele und Identität verliert.»

Das «Rebranding» schloss dann die Entwicklung eines kürzeren und «internationaleren» Namens für das Festival, eines neuen Logos und einer neuen Schriftart ein. All dies, um den sich entwickelnden Kommunikationsbedarf der Organisation zu unterstützen: von Marketing und Werbung bis hin zu konventionellen und Online-Veröffentlichungen.

Das «Rebranding» schloss dann die Entwicklung eines kürzeren und «internationaleren» Namens für das Festival, eines neuen Logos und einer neuen Schriftart ein. All dies, um den sich entwickelnden Kommunikationsbedarf der Organisation zu unterstützen: von Marketing und Werbung bis hin zu konventionellen und Online-Veröffentlichungen.

Kurz ist besser», sagt Jannuzzi und nennt als Beispiel die Filmfestspiele von Cannes. Bis einschliesslich 2006 stand auf den Plakaten «Festival internazionale del film Locarno» in mehreren Sprachen. Zu lange, wie Jannuzzi findet.

«Wir haben beschlossen, von einer mehrsprachigen Formulierung auf eine einzige, kürzere umzusteigen: ‹Festival del film Locarno›, wobei das ‹international› gestrichen wurde, was die Veranstaltung paradoxerweise provinziell machte.»

Der Eingang der Piazza Grande mit dem Pardo auf einer grossen Leinwand
Vom Festival inernazionale del film Locarno zum Locarno Festival in weniger als 20 Jahren. Keystone / Urs Flueeler

Nach einigen Jahren wurden die Bezeichnungen schliesslich umgedreht, um das heutige «Locarno Film Festival» zu erhalten. «Locarno», sagt Jannuzzi, «ist heute eine wiedererkennbare Vorsilbe, das Schlüsselwort für eine ganze Reihe von Verwendungen, wie das diesjährige ‹Locarno76› oder ‹Locarno Open Doors› oder auch einfach Locarno Festival.»

In der Welt der Festivals und der Filmliebhaber:innen ist das Logo von Locarno wahrscheinlich das bekannteste und am besten erkennbare, ähnlich wie die Palme von Cannes und der stehende Bär von Berlin.

Eine neue Identität

Fast 20 Jahre später geht es nun darum, die Marke zu erneuern und aufzufrischen. «Mit der neuen Präsidentin», sagt Fabienne Merlet, die Kommunikationsmanagerin des Festivals, «wollen wir unser grafisches Erscheinungsbild erneuern.

Es wird eine Weiterentwicklung der aktuellen Marke sein, wobei der Leopard [aber nicht mehr Chota, Anm. d. Red.] und die gelb-schwarze grafische Linie, die uns seit Jahrzehnten auszeichnet und unsere kommunikative Stärke darstellt, beibehalten werden.»

Nachdem Chota fast 20 Jahre lang auf der Piazza Grande spazieren gegangen ist und gebrüllt hat, wird sie also bald in den Ruhestand gehen. Wann genau, wissen wir noch nicht. Aber sehr bald, denn das «Rebranding» des Festivals dürfte eine der ersten operativen Entscheidungen der künftigen Präsidentin Maja Hoffmann sein.

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