Der Rebell ohne Ruhm
Der Basler Architekt Hannes Meyer leitete von 1928 bis 1930 das weltberühmte "Bauhaus" in Dessau. Dennoch ist er nie so bekannt geworden wie dessen weitere Direktoren Walter Gropius und Mies van der Rohe. Eine Ausstellung in Dessau erinnert nun an Meyer und seine visionären Ideen.
Die kleine Stadt im Osten Deutschlands war einst das Zentrum der Avantgarde. Heute ist das 1926 errichtete BauhausExterner Link-Gebäude in Dessau Weltkulturerbe und eine Pilgerstätte der globalen Bauhaus-Fangemeinde. Hier findet sich der Bauhaus-Stil in seiner reinsten Form: Von lichtdurchfluteten, klaren Architekturformen bis hin zu Lampen und Türgriffen.
In diesen Räumen wird nun passend der Blick auf Hannes Meyer gelenkt, der immer im Schatten anderer grossen Namen stand. Wohl auch, weil er selbst dem politisch links angesiedelten Bauhaus am Ende dann doch zu links war.
Bauhaus-Gründer Walter Gropius selbst hatte Meyer im Jahr 1927 als Leiter der Bauabteilung nach Dessau geholt. Zu diesem Zeitpunkt wurde der 38-jährige Schweizer Architekt gerade in der Presse für einen kühnen Entwurf gefeiert, den er für das Gebäude des Völkerbundes– einem Vorläufer der Vereinten Nationen – gezeichnet hatte.
Die euphorischen Besprechungen machten Gropius neugierig. «Hannes Meyer passte perfekt in das Bauhaus-Konzept», erklärt Werner Möller, der gemeinsam mit seiner mexikanischen Kollegin Raquel Franklin die Ausstellung gestaltet hat. Mittlerweile, muss man anfügen. Denn nur einige Jahre zuvor hatte Meyer noch in der Schweiz die Genossenschaftssiedlung Freidorf bei Basel projektiert und gebaut. Dort findet sich kaum etwas vom klaren, leichten Bauhaus-Stil.
Wie kam Gropius dazu, diesen Architekten zum Leiter seiner Bauabteilung zu machen? «Weil Hannes Meyer wenig später diesen Entwurf einreichte», sagt Kurator Werner Möller und weist auf ein großes Holzmodell des besagten Völkerbund-Gebäudes. Es wurde eigens für die Ausstellung nach Meyers Architekturzeichnungen angefertigt und zeigt, dass sich seine Formensprache grundlegend weiterentwickelt hatte. «Der Entwurf war hochmodern» so Möller. «Und er war der einzige mit einem Hochhaus.»
Frischer Wind
Gropius war damals auf der Suche nach frischem Wind: Meyer gehörte nun zur Avantgarde der Architektur und er war bekennender Linker. Für beides stand das Bauhaus seit seiner Gründung – und Gropius fürchtete, dass «seine» Einrichtung und seine Marke zu sehr den Geruch des Bürgerlichen annehmen würden. Zu dieser Zeit hatte sich die Marke Bauhaus mit seinen modernen Stahlrohrmöbeln bereits einen Namen gemacht. Doch Gropius wollte die Avantgarde anführen und nicht den Geschmack des Mittelstandes bedienen.
Das Bauhaus
Nur 14 Jahre lang, von 1919 bis 1933, währte das weltbekannte Bauhaus, die erste integrierte Kunstschule der Moderne. Es wurde von Walter Gropius in Weimar als Kunstschule gegründet und war eine Art Testlabor für Design und Architektur der klassischen Moderne. Künstler und Handwerker lebten, arbeiteten und feierten gleichberechtigt unter einem Dach, eine damals völlig neue Konzeption. Sie entwarfen, produzierten und bauten gemeinsam: von Häusern, über Möbel und Lampen bis zu Tapeten. Ästhetisch bildete ihre Arbeit einen Gegenentwurf zum ornamentbeladenen Historismus der Zeit.
1926 zog Walter Gropius mit dem Bauhaus nach Dessau. Künstler wie Lyonel Feininger, Paul Klee und Wassily Kandinsky lehrten dort. Von Dessau aus verbreiteten die Architekten und Designer ihre neue Moderne über die ganze Welt. Bauten im Bauhaus-Stil finden sich auf allen Kontinenten, die dort entworfenen Möbel wie der Freischwinger von Marcel Breuer gehören noch heute zu den Klassikern moderner Inneneinrichtung.
Neben dem Bauhaus in Dessau stehen Interessierten das Bauhaus-Archiv in Berlin und das Bauhaus-Museum in Weimar offen.
Die Ausstellung über Hannes Meyer läuft in Dessau noch bis zum 4. Oktober 2015.
Sie steht unter der Schirmherrschaft des Schweizer Botschafters Tim Guldimann und wird unter anderem von der Kulturstiftung des Bundes gefördert.
Wie sehr sich beiden aneinander reiben würden, hat Gropius zu diesem Zeitpunkt aber noch nicht erahnt. «Ich habe mich in der Beurteilung seines Charakters geirrt «, schrieb er später enttäuscht über seinen Nachfolger. Die Enttäuschung war beidseitig: Bereits 1927, als er gerade nach Dessau gezogen war, bekannte Meyer über den noch amtierenden Gropius: » Wir verstehen uns gar nicht. Ich stehe jetzt schon vor der Frage, ob ich dieses mir nicht ganz auf den Leib geschnittene Verhältnis wirklich ertragen soll.» Doch er blieb.
Denn das Bauhaus verkörperte vieles, was seiner Ideenwelt entsprach. Die Ausstellung «das prinzip coop. Hannes Meyer und die Idee einer kollektiven Gestaltung» macht deutlich, was Meyer am Herzen lag: Bauen in der Gemeinschaft für die Gemeinschaft: Als überzeugter Kommunist entwickelte Meyer seine Ideen im Kollektiv, setzte sie im Kollektiv um, für das Kollektiv, die «Volksgemeinschaft». Für ihn stand der Architekt nicht über, sondern auf einer Stufe mit den Arbeitern.
Alle gemeinsam – Hand in Hand
Nur wenige Gebäude lassen sich heute Meyer zuschreiben – das würde seiner Idee des kollektiven Arbeitens auch widersprechen. «Ich projektiere nie allein», lautete sein Credo. In Reinform setzt er dies in Bernau bei Berlin um. Dort plante und baute er zwischen 1928 und 1930 die Bundesschule des Allgemeinen Deutschen Gewerkschaftsbundes.
In Bernau wurde im Kollektiv gleichzeitig gelehrt, gelernt und gebaut. Zeichner, Handwerker, Arbeiter und Studenten schufen Hand in Hand den sich auch heute noch harmonisch in die Landschaft einschmiegenden Gebäudekomplex.
Seine sozialistischen Ideen fanden auch in der Idee der «Volkswohnung» ihren Ausdruck. «Meyer wollte nützliche und haltbare Möbel für einfache Arbeiter bauen lassen», erklärt Werner Möller weiter. Die eleganten Stahlrohrmöbel waren zu teuer und unpassend für diese Gruppe. Meyer setzte statt dessen auf Holz: Doch während Marcel Breuers Freischwinger heute in Arztpraxen und modernen Apartments auf der ganzen Welt zu finden sind, gingen die in Meyers Zeit entwickelten Holzmöbel nie in Serie. Erst eigens für die Ausstellung wurden sie jetzt nachgebaut: zeitlos schlicht, demontierbar und solide. «Sie waren allerdings ein Fehlschlag», sagt Möller. Er vermutet, dass diese eher an der nicht zahlungskräftigen Zielgruppe denn an ihrem Konzept lag.
Doch drei Jahre vor Hitlers Machtergreifung musste Meyer 1930 auf Druck von Gropius das Bauhaus verlassen. Sein Vorgänger hatte noch versucht, das damals schon weltbekannte Bauhaus aus der Politik herauszuhalten. Das lag ganz einfach nicht in Meyers Naturell. «Er war der politischste der drei Direktoren», sagt Werner Möller. Der Schweizer machte aus seinen zunehmend radikaler werdenden Anschauungen keinen Hehl. Das Bauhaus wollte und sollte als staatliche Einrichtung jedoch neutral bleiben. Auch über diese Frage kam es zum Zerwürfnis zwischen Gropius und seinem Nachfolger. Hinzu kam Meyers sperriger Charakter. Er polarisierte, nahm Menschen ebenso vollständig für sich ein wie er sie zurückstieß. Wie auf dem Ausstellungsplakat: Freundlich lächelnd erhebt Meyer dort die Hand – und hält sie zugleich auch abwehrend dem Betrachter entgegen.
Meyers Werke
• 1919–1921: Wohnsiedlung FreidorfExterner Link in MuttenzExterner Link b. Basel
• 1927: Petersschule BaselExterner Link (mit Hans WittwerExterner Link, nicht ausgeführt)
• 1927–1928: VölkerbundpalastExterner Link in GenfExterner Link (Wettbewerbseintrag, nicht ausgeführt)
• 1928–1930: Bundesschule des ADGBExterner Link und Lehrerhäuser in Bernau bei BerlinExterner Link
• 1929–1930: Erweiterung der Siedlung DessauExterner Link–TörtenExterner Link (LaubenganghäuserExterner Link)
• 1938–1939: Genossenschaftliches Kinderheim MümliswilExterner Link
(Quelle: wikipedia)
Rastlos – auch im Privatleben
Auch Meyers Privatleben sorgte für Gesprächsstoff. «Während seiner Zeit in Dessau lebten hier seine Noch-Frau und seine neue Partnerin und dann begann er zeitgleich eine Affäre mit einer Studentin», erzählt Kurator Werner Möller.
Meyer war rastlos, in seinen Orten, seinen Idee und in seinen Beziehungen. Er sprach fünf Fremdsprachen und kommunizierte mit Menschen auf der ganzen Welt. Doch die Schweiz blieb ihm ein Leben lang Fluchtpunkt und sicherer Hafen. Nach seinem Rauswurf in Dessau versuchte er tief gekränkt sein Glück in Moskau und kehrte dann 1936 zurück in die Heimat. Seine ihm nach Russland gefolgte Lebensgefährtin Margarete Mengel und ihr gemeinsamer Sohn blieben dort zurück. Mengel durfte als Deutsche das Land nicht erlassen, sie wurde im Zuge des stalinistischen Terrors 1938 zum Tode verurteilt und erschossen. Meyer rettete sein Schweizer Pass. «Er war kein Exilant», betont Werner Möller, «er konnte immer in der Schweiz Zuflucht suchen.» 1939 zog es ihn in das sich im sozialistischen Aufbruch befindliche Mexiko. 1949 kehrte er endgültig in die Schweiz zurück, wo er 1954 im Tessin starb.
Sein Nachfolger Mies van der Rohe konnte das Bauhaus noch drei Jahre lang halten, davon das letzte Jahr mit einem Umzug nach Berlin. Von den Nationalsozialisten als «eine der markantesten Stätten jüdischen und marxistischen Kunstwillens» verfemt, wurde es 1933 endgültig geschlossen.
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