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«Der Staat sollte auf die Bedürfnisse der Wirtschaft hören»

APCO

Aude Pugin, Direktorin von APCO und Präsidentin der Waadtländer Industrie- und Handelskammer, bedauert den fehlenden politischen Mut in der Schweiz. "Man traut sich nicht mehr, über Wachstum zu sprechen, sondern nur noch über Konsensthemen", sagt die Managerin, die vor allem in der Raumfahrt-Industrie tätig ist. Ein Bereich, in dem die Schweiz eine bedeutende, aber wenig bekannte Rolle spielt.

Die Ariane-6-Raketen sind weitherum bekannt. Doch nur wenige wissen, dass eine Vielzahl hochspezialisierter Komponenten für diese Raketen von einem Waadtländer KMU entwickelt und geliefert werden: APCO Technologies.

Die Schweizer Luft- und Raumfahrtindustrie hat eine generell oft unterschätzte Bedeutung: Laut dem Dachverband Aerosuisse beschäftigt die Branche 120’000 Mitarbeitende und schafft eine jährliche Wertschöpfung von 16,6 Milliarden Franken. Dies entspricht 2,5 Prozent des Schweizer Bruttoinland-Produkts (BIP).

APCO Technologies wurde 1992 gegründet. Es ist ein zu 100% exportorientiertes KMU, das sich neben der Raumfahrt auf die Bereiche Energie und Schifffahrt-Industrie spezialisiert hat.

Das Familienunternehmen mit 400 Angestellten und Beschäftigten hat seinen Sitz in Aigle im Kanton Waadt. Daneben besitzt es zwei Tochtergesellschaften in Chalon-sur-Saône (Frankreich) und in Kourou (Französisch-Guayana).

APCO ist auch in Grossbritannien und in den USA vertreten. Wir sprachen in Aigle mit Aude Pugin, seit 2017 Direktorin (CEO) des Unternehmens.

swissinfo.ch: APCO ist in drei verschiedenen Bereichen tätig. Was ist der rote Faden?

Aude Pugin: Alle unsere Aktivitäten basieren auf denselben Kernkompetenzen: Auf der Durchführung von massgeschneiderten Industrieprojekten in komplexen Umgebungen.

Wir sind in stark regulierten Branchen tätig und verfügen über Knowhow in den Bereichen Rückverfolgbarkeit, Dokumentation und vor allem Qualität.

Letzteres ist von entscheidender Bedeutung, weil wir Geräte für sensible Anwendungen entwickeln und herstellen. Bevor diese Ausrüstungen unsere Werkstätten verlassen, werden sie vollumfassend überprüft. Denn eine Reparatur könnte sehr aufwendig oder sogar unmöglich sein. Dies ist besonders im Weltraum-Bereich der Fall.

Zudem können wir dank der Verteilung unserer Aktivitäten auf drei Bereiche unsere Arbeitsbelastung ausgleichen und Querfinanzierung betreiben.

Frauen sind in den oberen Etagen der Wirtschaft immer noch stark untervertreten. So sind beispielsweise nur 13% der 20 Unternehmen im Leitindex SMI der Schweizer Börse mit Frauen in Führungspositionen besetzt. In dieser Hinsicht schneidet die Schweiz im internationalen Vergleich schlecht ab.

SWI swissinfo.ch lässt im Rahmen einer Serie in diesem Jahr Geschäftsführerinnen von weltweit tätigen Schweizer Unternehmen zu Wort kommen.

Als Vertreterinnen der Schweizer Wirtschaft sprechen sie über die dringlichsten Herausforderungen, von der Coronavirus-Krise bis zum Platz der Schweiz und ihrer Unternehmen in der Weltwirtschaft.

Inwiefern waren Sie von der Pandemie betroffen?

Bisher hat die Gesundheitskrise unsere Aktivitäten kaum beeinträchtigt. In den Bereichen Energie und Schiffbau mussten wir kaum Kurzarbeit einführen, nur während etwa ein bis zwei Monaten. Und in unserer Raumfahrt-Sparte machten wir in der ersten Welle sogar Überstunden, um einige Satellitenverträge zu erfüllen.

Wegen den Reisebeschränkungen konnten wir jedoch unsere Kundschaft nicht so besuchen, wie wir es gerne getan hätten. Dieser Mangel an direktem Austausch – fast zwei Jahre lang – bremst Innovationen und Projektaussichten. Was sich auch bereits auf unsere künftige Auftragslage auswirkt.

Werden sich die grossen Konjunkturprogramme, namentlich in Europa und den USA, positiv auf Ihre Geschäftstätigkeit auswirken?

Sie werden bestimmt Auswirkungen haben. Man darf aber nicht vergessen, dass diese Konjunkturprogramme in erster Linie darauf abzielen, Wirtschaft und Industrie der betreffenden Länder anzukurbeln und zu bevorzugen.

Die von Frankreich angekündigte Erneuerung der Kernenergie sowie die zwei – und bald vier – im Bau befindlichen Kernkraftwerke in Grossbritannien sind für uns jedoch gute Chancen.

APCO

Was sind die Vor- und Nachteile eines unabhängigen Familienbetriebs gegenüber einem an der Börse kotierten Unternehmen mit einem breit gestreuten Aktionärskreis?

In unserem Unternehmen ist die Familie vollständig in das operative Geschäft eingebunden. Wir können daher schnelle Entscheidungen in voller Kenntnis der Sachlage treffen. Dass wir Entscheide nicht von einem Vorstand genehmigen lassen müssen, verleiht uns eine gewisse Agilität.

Zudem fällen wir keine operativen Entscheide, die nur zum Ziel haben, die Optik unserer kurzfristigen Finanzergebnisse zu verbessern. Einige Auftraggebende verlangen zwar Einsicht in unsere Bücher, aber es geht ihnen einfach darum, unsere Robustheit zu bewerten, nicht unser Wachstum.

Der Hauptnachteil eines Familienbetriebs ist im Gegensatz zu grossen Konzernen vielleicht, dass man weniger Skalierungseffekte hat – und ein Geschäftsvolumen, das aufgrund des Zugangs zu einem kleineren Markt stärker schwankt.

Erhalten Sie regelmässig Übernahmeangebote, z.B. von Private-Equity-Fonds oder ausländischen Konglomeraten?

Sehr selten, denn wir haben – unmissverständlich und mehrfach – deutlich gemacht, dass unser Familienunternehmen nicht zum Verkauf steht. Wir wollen unbedingt unsere Unabhängigkeit bewahren.

Ihre gesamte Kundschaft ist im Ausland ansässig, zu einem grossen Teil in Europa. Die Beziehungen zwischen der Schweiz und der Europäischen Union (EU) sind für APCO zweifellos von entscheidender Bedeutung…

Ganz allgemein sind gute Beziehungen zwischen der Schweiz und der EU von entscheidender Bedeutung. Die aktuellen Spannungen sind ein echtes Damoklesschwert, denn ein Inseldasein ist nicht förderlich für die die Innovation – die in unserem Land ohnehin schon rückläufig ist.

Was die Weltraumaktivitäten der APCO betrifft, ist die Schweiz zum Glück Gründungsmitglied der Europäischen Weltraum-Organisation. Dies sichert uns den Zugang zum europäischen Weltraum-Markt.

Die Raumfahrt entwickelt sich jedoch zu einer echten Kommunikations- und Konnektivitäts-Infrastruktur: Der Zugang zu Satellitendaten wird daher immer wichtiger werden. Und dies kann nur in Zusammenarbeit mit der EU erreicht werden.

Im Energiebereich arbeiten wir für EDF (Electricité de France), sowohl in Frankreich als auch in Grossbritannien. Und im Bereich Schiffbau, wo unsere Kundschaft aus den USA kommt, haben wir bisher keine Probleme mit dem Marktzugang.

Aude Pugin hat an der Universität Freiburg einen Master in Rechtswissenschaften erworben. Im Jahr 2000 wurde sie als Anwältin im Kanton Genf zugelassen. Danach war sie rund zehn Jahre lang als Rechtsberaterin tätig.

2009 trat Aude Pugin in das Familienunternehmen APCO Technologies SA ein, wo sie zunächst für die Bereiche Finanzen, Personal, Informatik und Verwaltung zuständig war. Im Juli 2017 trat sie die Nachfolge ihres Vaters als Geschäftsführerin (CEO) an.

Aude Pugin ist zudem Präsidentin der Waadtländer Industrie- und Handelskammer (CVCI) sowie Vizepräsidentin der Eidgenössischen Kommission für Weltraumfragen.

Sind Sie mit den Rahmenbedingungen in der Schweiz zufrieden?

Die Schweiz verfügt traditionell über hervorragende Rahmenbedingungen, die aber die Tendenz haben, zu erodieren. Ich mache mir Sorgen wegen des zunehmenden Mangels an politischem Mut. Man verliert das Interesse an der Wirtschaft und wagt es nicht mehr, über Wachstum zu sprechen, sondern nur noch über Konsensthemen.

Man zeigt mit dem Finger auf die Wirtschaft – zum Beispiel in Bezug auf die Nachhaltigkeit – und scheint alle Probleme mit neuen Steuern und Vorschriften lösen zu wollen, anstatt zu schauen, was die Wirtschaft an Lösungen bieten kann und bereits bietet.

Auch die Besteuerung von Vermögen ist ein Thema, speziell für Aktionärinnen und Aktionäre: Quasi das Arbeitsinstrument zu belasten, ist unsinnig, vor allem im Fall von hoch bewerteten, vorkommerziellen Startups.

Ich denke, der Staat sollte auf die Bedürfnisse der Wirtschaft hören, denn die Wirtschaft wird ihre Bedürfnisse nicht in der Öffentlichkeit breitschlagen, geschweige denn darauf hinweisen, dass sie anderswo günstigere Bedingungen vorfindet.

Ich ermutige den Staat auch dazu, unsere Rahmenbedingungen bei der Ausbildung aufrechtzuerhalten und unseren Rückstand bei der digitalen Transformation aufzuholen.

Als Liberale wünschen Sie sich wahrscheinlich so wenige staatliche Eingriffe wie möglich. Sind Sie auch gegen Kompensationsgeschäfte beim Kauf von Kampfflugzeugen?

Ich bin liberal in dem Sinn, dass ich nicht möchte, dass der Staat eine interventionistische Industriepolitik betreibt. Liberalismus ist aber nicht gleichbedeutend mit totalem Laissez-faire.

Man muss realistisch sein und sich bewusst sein, dass der Staat in Europa – und sogar in den USA – seine Unternehmen, auch Startups, stark unterstützt. Daher bin ich sehr klar für Ausgleichsgeschäfte, zumal die Verteidigungsindustrie ein grosser Innovationsträger ist.

Sind Sie bereit, eine politische Karriere einzuschlagen?

Ich nehme Stellung zu politischen Themen, möchte aber nicht in die Politik gehen. Zudem ist die Professionalisierung der Politik ein immer grösseres Hindernis für Geschäftsleute.

Es gibt bei APCO und der Waadtländer Industrie- und Handelskammer (CVCI) nur wenige weibliche Führungskräfte. Sind Sie von den Vorteilen der Gleichberechtigung nicht überzeugt?

Ich glaube fest an das Ziel der Gleichstellung der Geschlechter, und der Mangel an weiblichen Führungskräften ist ein echtes Thema. Frauen müssen immer mehr tun, um in diese Positionen zu gelangen. Und zwar, weil sie es sich selbst auferlegen, aber auch weil es von ihnen verlangt wird.

In den Schulen muss der Gedanke der Gleichberechtigung und Vielfalt schon in jungen Jahren vermittelt werden. Zudem muss die Karriere einer Frau das gemeinsame Projekt eines Paares sein, bei dem beide Seiten Zugeständnisse machen, damit es funktioniert.

Sie haben eine Ausbildung als Anwältin. Wenn Sie die Zeit zurückdrehen könnten, würden Sie eine andere Ausbildung wählen?

Ich würde nichts ändern, aber ich ermutige die jüngere Generation, technische Wege zu wählen. Ein ideales Profil ist eine Kombination aus einem Ingenieurstudium und einem Master of Business Administration.

Daneben ist es wichtig, schon in jungen Jahren mit fremden Kulturen und Sprachen in Berührung zu kommen. In dieser Hinsicht bin ich sehr dankbar, dass ich einen Teil meiner Kindheit in den USA verbringen durfte.

(Übertragung aus dem Französischen: Rita Emch)

(Übertragung aus dem Französischen: Rita Emch)

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