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Der starke Franken – ein harter Prüfstein für kleine Firmen

Fritschi KMU Skibindungen
Die Schweizer Industrie ist stark exportabhängig. Keystone

Die sprunghafte Verteuerung des Frankens hat die Aussichten für die Schweizer Exportwirtschaft verschlechtert. Besonders betroffen sind die kleinen und mittleren Unternehmen (KMU). Für sie, also für das Rückgrat der Wirtschaft – geht es teilweise auch um die Existenz.

«Jeder fünfte Industriebetrieb ist existenziell bedroht», sagte Hans Hess, der Präsident des Industrieverbands Swissmem, der Zeitung NZZ am Sonntag. Gefährdet seien vor allem exportabhängige Klein- und Mittelunternehmen, deren Kosten mehrheitlich in der Schweiz anfallen.

«Die Aufhebung des Mindestkurses wird Jobs kosten, aber der Werkplatz hat die Frankenkrise im Jahr 2011 bewältigt und wird auch diese Krise meistern», so Hess. Es werde aber Firmen geben, die nicht darum herum kämen, Teile der Produktion ins Ausland zu verlagern oder Stellen zu streichen.

Dadurch, dass sich der Franken vergangene Woche auf einen Schlag gegenüber dem Euro um 20%  aufgewertet hat, würden sich Schweizer Exportprodukte im Euro-Raum – dem wichtigsten Handelspartner der Schweiz – um rund 20% verteuern und das habe «katastrophale Konsequenzen», warnten in den vergangenen Tagen verschiedene Wirtschaftsverbände.

Schrumpfende Margen

«Selbst mit einem Wechselkurs von 1.20 war der Schweizer Franken gegenüber dem Euro zu hoch bewertet», schreibt der Verband Swissmem in einer Mitteilung. Die bereits heute «vergleichbar minimen Margen werden jetzt schrumpfen». Der seit drei Jahren geltende und jetzt hinfällige Mindestkurs habe den Unternehmen eine gewisse Planungssicherheit gegeben und die sei jetzt nicht mehr da.

Die Schweizer Finanzministerin Eveline Widmer-Schlumpf geht davon aus, dass die Schweizer Wirtschaft das Ende der Wechselkurs-Untergrenze zum Euro verkraften wird. Die Firmen seien heute besser aufgestellt als 2011 bei der Einführung des Mindestkurses, sagte sie in mehreren Interviews in der Sonntagspresse. Widmer-Schlumpf zeigte sich zudem zuversichtlich, dass der Wechselkurs sich bei 1.10 Franken pro Euro einpendeln wird. Damit könnten sich die Unternehmen arrangieren.

Drohender Stellenabbau?

Für den Direktor der Eidgenössischen Finanzverwaltung, Serge Gaillard, werden sich die Konjunkturaussichten für die Schweiz erst dann verschlechtern, wenn der Euro nach der Aufhebung des Mindestkurses dauerhaft unter 1.10 Franken fällt. Sollte dies passieren oder der Kurs gar bei der Parität verharren, müsste die Schweiz trotz weltwirtschaftlich günstigen Bedingungen «mit einem sehr schwachen Wirtschaftswachstum und steigender Arbeitslosigkeit rechnen», sagte Gaillard in einem Interview mit der Zentralschweiz am Sonntag. Zu einer Rezession kommt es seiner Ansicht nach nur, wenn «der Wechselkurs längerfristig bei der Kursparität verharren» würde.

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Laut der Konjunkturforschungsstelle der ETH Zürich (KOF) würde eine permanente Aufwertung des Frankens auf 1.10 bedeuten, dass die Anzahl der Stellen im nächsten Jahr stagnieren würde. Bis anhin ging die KOF von einem Beschäftigungszuwachs von 1% aus. «Etwas verzögert käme es möglicherweise auch zu Stellenabbau, Betriebsschliessungen, zu Produktionsverlagerungen ins Ausland und zu einem erhöhten Bezug von Vorleistungen aus dem Ausland», sagt Michael Siegenthaler, Arbeitsmarktexperte der KOF. Niedrig und mittel qualifizierte Jobs seien diesen Wechselkurseffekten stärker ausgesetzt als hoch qualifizierte Jobs, so Siegenthaler.

Lohnsenkungen?

«Die Unternehmen brauchen in der jetzigen Ausnahmesituation Spielraum für Massnahmen wie Arbeitszeitverlängerungen oder Lohnsenkungen», forderte Roland Müller, der Direktor des Schweizerischen Arbeitgeberverbandes, in einem Interview mit der Sonntags Zeitung.

Wenn der Kurs des Euros bei einem Franken bleibe, «hätten wir einen zusätzlichen relativen Kostennachteil in vielen Branchen, was den Druck auf alle Kosten weiter erhöhen würde», sagt auch Economiesuisse-Präsident Heinz Karrer.

Mindestkurs war provisorisch

Der nun noch einmal stärkere Franken betrifft zwar alle Exporteure. Aber die grossen multinationalen Unternehmen haben gewisse Vorteile, um den Schock zu verarbeiten. Sie sind weltweit präsent und verfügen über spezielle Abteilungen für den Einkauf der Rohstoffe undWährungsabsicherungen.

Rund 99.6% aller Schweizer Firmen beschäftigen weniger als 250 Personen und zählen zu den sogenannten kleinen und mittleren Unternehmen (KMU). Sie repräsentieren zwei Drittel der Arbeitnehmer in der Schweiz. Der Schweizerische Gewerbeverband, der einen Teil der KMU vertritt, weist darauf hin, dass die Unternehmen damit hätten rechnen müssen, dass die Nationalbank nicht ewig zugunsten des Franken-Mindestkurses intervenieren könne.

«Die SNB hat wiederholt gesagt, dass der fixe Mindestkurs eine provisorische Massnahme sei», sagt Henrique Schneider vom Gewerbeverband gegenüber swissinfo.ch. «Die Unternehmen hatten mehr als drei Jahre Zeit, um sich auf diesen Moment vorzubereiten. Gewisse Reaktionen, die Angst vor Konkursen und ähnlichen Dingen, haben viel mit dem Schock zu tun, den die unerwartete Ankündigung ausgelöst hat. Jetzt muss jedes Unternehmen eine Analyse der Situation vornehmen. Die kommenden Monate werde zeigen, wie viel unter ihnen sich gut auf diesen Moment vorbereitet haben.»

Gewinnrückgänge und Verluste

Der Chefstratege der rechtskonservativen Schweizerischen Volkspartei (SVP), Christoph Blocher, hält den Entscheid der Nationalbank für richtig. In der Zeitung Schweiz am Sonntag sagt er, die einseitige Orientierung am Euro sei falsch. «Das ist die Stärke der Schweiz: Wir orientieren uns nicht nur an Europa, sondern an der ganzen Welt.“

Blocher, der sich 2011 für die Einführung des Euro-Mindestkurses ausgesprochen hatte, sagte weiter: «Es war immer klar, dass er nicht ewig gelten kann.“ Die Folgen der Frankenaufwertung seien für die Schweizer Wirtschaft verkraftbar: «Mit einer Rezession rechne ich nicht, wohl aber mit deutlichen Gewinnrückgängen und Verlusten bei exportorientierten Unternehmen.» Gleichzeitig warnte Blocher vor Aktivismus: «Jetzt sofort die Löhne zu senken, ist sinnlos. Eine seriöse Firma hat das nicht nötig.»

SP fordert runden Tisch

Mit Blick auf mögliche Entlassungen fordert der Präsident der Sozialdemokarten, Christian Levrat, einen Kündigungsschutz für Arbeitnehmer zwischen 50 und 65 Jahren. Konkret verlangte Levrat gegenüber der Schweiz am Sonntag, dass solche Kündigungen zwingend begründet werden müssten und nicht vorgenommen werde dürften, weil jüngere Arbeitnehmer billiger seien.

Im weitern forderte Levrat einen runden Tisch mit allen betroffenen Wirtschaftsakteuren. Auch andere Politiker forderten Wirtschaftsminister Johann Schneider-Ammann auf, aufzuzeigen, welche Rolle der Bund einnehmen wolle, um gegen einen Konjunktureinbruch vorzugehen. Für Levrat ist klar, dass dabei auch die «Rückkehr zu einer Kursuntergrenze, die neu wohl bei 1.10 liegen müsste, nicht ausgeschlossen werden» dürfe.

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