Deutsches Land in Schweizer Hand erhitzt Gemüter
Dass Schweizer Landwirte immer mehr deutsches Agrarland kaufen oder pachten, sorgt bei Berufskollegen jenseits der Grenze für wachsenden Unmut. Die Ursache des Übels sehen deutsche Bauern in einem bilateralen Abkommen, das neu verhandelt werden müsse.
«Schweizer bereiten Sorgen», titelte die Badische Zeitung im letzten Dezember, als schon wieder ein Bauer aus dem südlichen Nachbarland deutsches Agrarland erwarb. Der örtliche Bauernverband hatte den lokalen Medien zuvor mitgeteilt, «dass die Landnahme durch Schweizer Landwirte in Deutschland unsere landwirtschaftlichen Betriebe stark beeinträchtigt und an einer weiteren betriebswirtschaftlichen Entwicklung hindert».
Tatsächlich bewirtschaften heute geschätzte 250 Schweizer Bauern jenseits der Grenze fast 4000 Hektaren deutsches Land. Einer von ihnen ist der Landwirt und Gastronom Martin Stamm aus dem schaffhausischen Schleitheim. Laut deutschen Medien hat sich der Schweizer im letzten November jenseits der Grenze nicht nur weitere rund 100 Hektaren Wald-, Wiesen- und Ackerland gekauft, sondern auch gleich noch das dazu gehörende Schloss Hohenlupfen zum Preis von 2 Millionen Euro.
Nun macht sich die Öffentlichkeit im Südschwarzwald Sorgen, weil der neue Besitzer nicht publik machen will, was er mit dem denkmalgeschützten Schloss, dem Stühlinger Wahrzeichen, zu tun gedenkt. Martin Stamm will sich dazu auch gegenüber swissinfo.ch nicht äussern.
Dass die Eidgenossen immer mehr deutsches Agrarland erwerben, weil sie Preise dafür bezahlen, die sich deutsche Kollegen nicht leisten können, sorgt im Süddeutschen Raum seit Jahren für Ärger. Aber bisher hat die deutsche Seite kein Mittel gefunden, dem Landverlust an die bäuerlichen Nachbarn südlich der Grenze einen Riegel zu schieben.
Schweizer Bauer siegt am EUGH
Ein Gesetz, das Baden-Württemberg erst vor zwei Jahren erlassen hatte und Grundlage hätte sein können, der «ungesunden Entwicklung» Einhalt zu gebieten, hat auch nichts gebracht.
Im Gegenteil: Ende Oktober 2011 hat ein Entscheid des Europäischen Gerichtshofs (EUGH) dem Kampf der deutschen Bauern um gleichlange Spiesse einen schweren Dämpfer versetzt: Die deutschen Ämter dürfen ab sofort die eigenen Staatsbürger in der Pachtvergabe nicht mehr bevorzugen, befand der EUGH.
Das Urteil in einem Streitfall um deutsches Pachtland beschert nicht nur dem streitbaren Pächter Rico Graf aus dem zürcherischen Rafz fünf zusätzliche Hektaren Weideland jenseits der Grenze, es dürfte auch andere Schweizer Landwirte zu juristischen Schritten ermuntern, deren Pachtverträge von den deutschen Behörden auch nicht bewilligt worden waren.
«Jetzt können wir rechtlich nicht mehr verhindern, dass die Schweizer hier weiteres Land kaufen», sagt Michael Martin vom Badischen Landwirtschaftlichen Hauptverband resigniert. Er habe aber kein Interesse mehr, sich in dieser Sache zu äussern, solange auf politischer Ebene nichts geschehe. «Fragen Sie die Verantwortlichen in der Schweiz», sagt er gegenüber swissinfo.ch, «ob sie bereit wären, das Abkommen von 1958 zu ändern.»
Der Streit zwischen den bäuerlichen Nachbarn hat seinen Ursprung nämlich im schweizerisch-deutschen Abkommen über den Grenz- und Durchgangsverkehr. Es erlaubt den Bewohnern einer 10 km breiten Zone beidseits der Grenze, landwirtschaftliche Produkte zollfrei ein- und auszuführen.
Wegen dieser Regelung ist es für Schweizer Landwirte vorteilhaft, deutsches Agrarland zu erwerben. Anders als ihre deutschen Kollegen dürfen sie die dort zu günstigen Bedingungen erzeugten Produkte zollfrei über die Grenze bringen und auf dem Schweizer Markt zu deutlich höheren Preisen verkaufen. Getreide zum Beispiel kostet in der Schweiz mehr als doppelt so viel wie in Deutschland. Für deutsches Agrarland in dieser Zone greifen Schweizer Landwirte deshalb regelmässig tiefer in den Geldbeutel als die Konkurrenten im Gastland.
Frustration und Aggression verhindern
«Wir werden die Sache nicht auf sich ruhen lassen», sagt Michael Nödl, Justitiar beim Badischen Landwirtschaftlichen Hauptverband. Schweizer Landwirte seien Berufskollegen und nicht Feinde, aber «sie machen sich das Preisgefälle links und rechts der Grenze zu Nutzen und dominieren dort den Grundstücksmarkt».
Hier bestehe eine offenkundige Schieflage infolge dieses Abkommens. «Wenn man dort eine Lösung findet, kann es zu einer Befriedung in dem Grenzbereich kommen», hofft der Jurist im Dienst der deutschen Landwirte und warnt zugleich: «Resignation kann auch schnell in Frustration und Aggression umschlagen, und das möchten wir gerade verhindern.»
«Kein Handlungsbedarf»
Auf Schweizer Seite gibt man sich gelassen. «Aus unserer Sicht besteht kein Handlungsbedarf», sagt Jürg Jordi, Informationschef beim Bundesamt für Landwirtschaft. «Eine Neuverhandlung des Abkommens zu verlangen, wäre Sache der Deutschen.»
Aber Deutschlands Behörden halten sich bedeckt. «Der Zoll- und Verbrauchsteuerabteilung liegt derzeit kein Vorschlag zu einer Neuverhandlung vor», lautet die Antwort vom Bundesministerium der Finanzen, und «ein Antrag zu einer erneuten Einberufung der gemeinsamen Kommission» sei nicht gestellt worden. Diese Kommission war zum letzten Mal 2004 zusammen gekommen. Dabei wurden die gleichen Fragen diskutiert, die jetzt wieder aktuell wurden.
Bestätigt wird auf beiden Seiten, dass zum Thema immer wieder bilaterale Gespräche auch auf höchster politischer Ebene laufen. «Zuletzt Mitte Januar», sagt Jürg Jordi, «im Rahmen der ‹Grünen Woche› in Berlin zwischen Bundesrat Johann-Schneider-Ammann und dem baden-württhembergischen Agrarminister Alexander Bonde».
Das schweizerisch-deutsche Abkommen über den Grenz- und Durchgangsverkehr vom 5. Februar 1958 regelt den Warenverkehr zwischen den beiderseitigen Gebietsstreifen, die sich entlang der gemeinsamen Zollgrenze auf einer Tiefe von 10 km erstrecken.
Grenzbewohner, welche im andern Staat gelegene Grundstücke bewirtschaften, können im Rahmen der Bewirtschaftung dieser Grundstücke Waren zollfrei einführen.
Ähnliche Abkommen über den Grenz- und Durchgangsverkehr hat die Schweiz nicht nur mit Deutschland sondern auch mit Österreich/Liechtenstein, Frankreich und Italien abgeschlossen.
Von Problemen mit den Grenzlandwirten dieser Länder habe man bei der Eidgenössischen Zollverwaltung aber noch nichts gehört, sagt Kommunikationschef Walter Pavel gegenüber swissinfo.ch.
In Übereinstimmung mit den JTI-Standards
Einen Überblick über die laufenden Debatten mit unseren Journalisten finden Sie hier. Machen Sie mit!
Wenn Sie eine Debatte über ein in diesem Artikel angesprochenes Thema beginnen oder sachliche Fehler melden möchten, senden Sie uns bitte eine E-Mail an german@swissinfo.ch