Enger bauen heisst nicht schlechter leben
In der Schweiz werden kaum neue Bauzonen geschaffen. Es muss daher verdichtet werden. Wie kann man trotz Verdichtung qualitativ guten Wohnraum schaffen?
In einem Land wie der Schweiz, wo die Einwohnerinnen und Einwohner in immer grösseren und luxuriöseren Wohnungen leben wollen, ist es eine besondere Herausforderung, den immer knapper werdenden Raum so zu nutzen, dass Lebensqualität möglich ist. Die durchschnittliche Wohnfläche pro Bewohner beträgt 46 m2Externer Link.
«Qualitativ verdichten ist in den Städten eine Herausforderung», sagt Martin Vinzens, Chef Sektion Siedlung und Landschaft beim Bundesamt für Raumentwicklung ARE. Ein möglicher Ansatz wäre Qualität durch Mässigung, dass also durch höhere Belegung der Wohnungen oder den Bau von kleineren Wohnungen Platz gespart wird. In Fachkreisen spricht man von «SuffizienzExterner Link«. Doch genau dies entspricht nicht dem Trend zum grosszügigen Wohnen. Es müssen also weitere Lösungen her.
Eine Möglichkeit wäre, in die Höhe zu bauen.
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Ein anderer Ansatz besteht darin, kleine Freiflächen zwischen bestehenden Gebäuden zu bebauen oder kleine Häuser durch grössere Neubauten zu ersetzen. Im Idealfall werden einige Flächen bewusst für die öffentliche Nutzung freigelassen, um die Akzeptanz der Bevölkerung für die Verbauung zu fördern.
«Uns in der Schweiz ist es wichtig, dass die Bevölkerung an Projekten der Innenverdichtung partizipieren kann», sagt Vinzens. «Und neuer Wohnraum sollte auch noch erschwinglich sein.»
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Akustik beim Bau berücksichtigen
Stadtplaner und Architekten müssen zudem so bauen und planen, dass sich die Bewohner trotz der Dichte wohlfühlen. Denn der braucht eine Rückzugsmöglichkeit ins Private sowie Ruhe. Niemand mag Lärm, kaum jemand will sich ausgestellt fühlen. Akustik und Einsehbarkeit sind darum beim Bau zu berücksichtigen – zum Beispiel bei der Anordnung von Balkonen.
Forscher und Forscherinnen von der Hochschule LuzernExterner Link haben untersucht, wie sich Lebensqualität und verdichtete Bauweise miteinander vereinbaren lassen und dabei insbesondere die Akustik von Aussenräumen unter die Lupe genommen.
Folgende «Tipps» kamen dabei heraus:
Wenig rechte Winkel: Oberflächen werfen Schallwellen zurück; weil parallele Wände diese Wirkung verstärken, sind sie zu vermeiden. Angenehmer ist eine Streuung, die durch strukturierte Wände im Innenhof erreicht werden kann.
Richtiges Material: Poröse Materialien wie Schaumstoff oder Textilien absorbieren Lärm besser als Holz oder Glas. Schallwellen können durch Hindernisse abgelenkt werden; bei der Stellung der Gebäude zueinander ist also auf eine geschickte Anordnung von Ecken zu achten.
Grünflächen nicht vergessen
Ein weiterer wichtiger Aspekt für die Wohnqualität ist genügend Natur trotz Verdichtung nach Innen. «Natur im Siedlungsgebiet reguliert die Temperatur, filtert die Luft und hält Regenwasser zurück. Zudem strukturiert sie den Raum und ist wichtig für die Erholung der Menschen im Alltag», sagt Elena Strozzi von der Naturschutzorganisation Pro Natura.
Auch wegen des Klimawandels sollten genügend Grünflächen eingeplant werden, die im Sommer für Abkühlung sorgen. Weil der Platz in der Horizontalen fehlt, könnte die Begrünung von Häusern und Dächern eine Lösung sein.
«Die Begrünung von Gebäuden wird in der Schweiz stark diskutiert und in Pilotprojekten getestet», sagte Martin Vinzens, der oberste Raumentwickler des Bundes. «Aber bis jetzt sind das Einzelprojekte, in der Masse sieht man noch nichts.» Das liege zum Teil an den Kosten, aber auch an der Mentalität. «Viele Architekten und Städtebauer haben noch immer ein Bild vom Städtebau, der aus Stein und Beton ist, so wie man es von alten Städten kennt. Grüne Städte sind noch zu wenig in den Köpfen drin.»
Laut Vinzens scheitert es auch an mangelndem Wissen: «Wie kann man Pflanzen überhaupt vertikal anbringen, ohne dass sie bereits nach einem Jahr absterben? Da muss noch geforscht werden.»
Lernen könnte die Schweiz diesbezüglich von Singapur, einem Vorreiter begrünter Wolkenkratzer.
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Biodiversität fördern
Wenn die Grünflächen in Siedlungsgebieten wegen der Verdichtung quantitativ abnehmen, so wäre es laut der Raumplanungsexpertin Strozzi von Pro Natura wichtig, die verbleibenden Grünflächen wenigstens in ihrer ökologischen Qualität aufzuwerten und zu vernetzen.
«Auch im dicht bebauten Raum leben unzählige Tier- und Pflanzenarten», so die Naturschutzexpertin. In Städten und Agglomerationen schlummere deshalb ein grosses ökologisches Potential. Die öffentliche Hand müsse ihre Vorbildfunktion wahrnehmen und Parks, Schulanlagen, Friedhöfe sowie Bahn- und Strassenböschungen naturnah aufwerten.
Bisher ist davon wenig zu sehen: Schweizer Parkanlagen wirken meist recht fantasielos gestaltet: Kurzgeschnittener Rasen, einige Bäume und Gehwege. Dabei könnte man die Grünflächen mit Wildblumen, Wiesen, Trockenmauern, einheimischen Pflanzen und Bienenhäusern relativ einfach ökologisch aufwerten und Biodiversität fördern, wie Strozzi sagt.
Bisher habe der politische Wille gefehlt. Strozzi gibt sich aber optimistisch, dass das Thema in Zukunft wegen des Klimawandels grosse Beachtung finden werde. Aber: «Es muss schnell etwas passieren und die Politik reagiert in der Regel langsam.»
Bis das ganze Land soweit ist, bleibt also noch genügend Zeit für Pioniere und originelle Lösung, die den Weg in eine attraktive verdichtete Schweiz ebnen.
Serie Raumplanung
In einer Serie gehen wir aktuellen raumplanerischen Fragen in der Schweiz nach, hier die anderen Beiträge:
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