Die diskreten Bunker der Superreichen
Wohlhabende Leute investieren immer häufiger in Kunst und andere Wertgegenstände, die dann in Zollfreilagern aufbewahrt werden. Diese bieten Diskretion, hohe Sicherheit und Steuervergünstigungen an. Trotz deren Erfolg wirft ein Bericht einen Schatten auf die Schweizer Freilager und offenen Zolllager.
Von Aussen sieht das graue Industriegebäude an der Ecke einer belebten Kreuzung im Südwesten Genfs eher unscheinbar aus. Abgesehen von an- und wegfahrenden Lieferwagen, weist nichts darauf hin, was im Innern vor sich geht.
Kaum jemand weiss, dass im grauen sechsstöckigen Lagerhaus Kunstwerke und andere Kostbarkeiten im Wert von Milliarden Schweizer Franken aufbewahrt werden. Nach Angaben der Kulturzeitschrift Connaissances des Arts lagerten 2013 im Genfer Zollfreilager 1,2 Millionen Kunstwerke.
Die Einrichtung in La Praille beherbergt gemäss ihrem Direktor auch den grössten Weinkeller der Welt. Rund drei Millionen Flaschen Qualitätswein, hauptsächlich Bordeaux, liegen in Holzkisten in den Kammern des Gebäudes und reifen bei einer idealen Temperatur langsam heran und gewinnen so für ihre Besitzer an Wert.
Der Freihafen mit seinen Standorten in La Praille und am Flughafen feiert in diesem Jahr seinen 125. Geburtstag. Das riesige Lagerhaus, das mehrheitlich dem Kanton Genf gehört, bietet eine Fläche, die 22 Fussballfeldern entspricht. Sie ist grösstenteils bereits vermietet.
Die Nachfrage nach gehobenen Lagerräumen durch Museen, vermögende Privatsammler und Investoren ist so gross, dass ein neues 10’400m2-grosses Hightech-Lagerhaus für Kunstwerke, das im Mai in La Praille eröffnet wurde, bereits fast voll ausgebucht ist.
Genf biete viele Vorteile, sagt Jean-René Saillard, Verkaufsdirektor der britischen Fine Art Fund Group. Sein Unternehmen lagert den Grossteil seiner Sammlung in La Praille. Einige sind ausgestellt, andere werden gehandelt, an Museen verliehen oder restauriert.
«Das Genfer Freilager ist ziemlich alt und kein sehr schicker Ort, aber wenn man dort Kunstwerke anschauen will, ist das nicht so wichtig, solange das Licht stimmt und man weiss, dass sie sicher aufbewahrt werden», sagt er. «Es ist sehr praktisch und zentral. Die Leute mögen seine Diskretion.»
Auf finanzielle Vorteile, welche der Freihafen bietet, will Saillard nicht eingehen. Ursprünglich waren sie als temporäre Lagerorte gedacht, auch für Transitgüter. Seit ein paar Jahren werden sie von Investoren und Sammlern jedoch immer häufiger als permanente Adresse genutzt.
Neue Zollfreilager
Das Freilager Singapur wurde im Mai 2010 eröffnet. Das vierstöckige Gebäude verfügt über eine Fläche von 25’000 m2, davon werden 40% von Christie’s Fine Art Storage Services genutzt.
In Luxemburg soll am 17. September 2014 ein Zollfreilager mit 20’000 m2 eingeweiht werden.
Peking plant für 2015 ein solches, ein anderes dürfte zu einem späteren Zeitpunkt in Schanghai aufgehen.
Der «freie» Aspekt von Freilagern bezieht sich auf die Aufhebung von Zollgebühren und der Mehrwertsteuer. Waren können dort für unbestimmte Zeit und zu minimalen Kosten aufbewahrt werden. Ein Gemälde kann also nach Genf eingeflogen werden und über Jahre dort lagern, ohne dass der Besitzer dafür Importzölle oder Steuern bezahlen muss. Diese fallen erst an, wenn die Güter ihre Zieldestination erreichen. Wenn das Werk im Freilager verkauft wird, bezahlt der Eigentümer auch keine Transaktionsgebühr.
«Wenn die Waren die Freihafen verlassen, werden sie geschätzt und besteuert. Ich glaube aber nicht, dass der finanzielle Aspekt für die Besitzer so interessant ist», sagt Christine Sayegh, Präsidentin des Genfer Zollfreilagers, und weist damit die Behauptung zurück, die Güter würden nur dort aufbewahrt, um Vermögen anzuhäufen.
Der zentral gelegene Standort ist für den Kanton Genf strategisch interessant, zudem trägt er jährlich 10 bis 20 Mio. Franken zum Staatshaushalt bei.
Reputationsrisiko?
Trotz des finanziellen Erfolgs hat ein Bericht der Eidgenössischen Finanzkontrolle (EFK)Externer Link von vergangenem April einen Schatten auf die Praktiken der zehn Schweizer Zollfreilager und der 245 offenen Zolllager geworfen.
Der Bericht sieht in ihnen eine Gefahr, dass sie für Steueroptimierung und die Umgehung von Vorschriften beim Handel mit «Kulturgütern, Kriegsmaterial, Heilmitteln oder Rohdiamanten» missbraucht werden könnten.
EFK-Vizedirektor Eric-Serge Jeannet erklärte, Zollfreilager könnten wie das Bankgeheimnis dem Image der Schweiz Schaden zufügen.
«Klar kann man nicht jeden verdächtigen, aber man kann auch nicht leugnen, dass die Möglichkeit zur Steuerhinterziehung und Profitvermehrung wesentliche Bestandteile dieser Lagerorte sind», sagte er gegenüber swissinfo.ch.
Am Genfer Zollfreilager heist es, die Vorschriften würden eingehalten und die Mieter sorgfältig ausgewählt. Wie eine Immobilienagentur wüssten sie aber nicht genau, was die Klienten dort platzierten. Im Allgemeinen wisse man, was komme und gehe, detaillierte Kontrollen des Inventars würden jedoch von den Schweizer Zollbeamten im Freilager durchgeführt.
«Es besteht ein Reputationsrisiko. Das können wir weder leugnen noch unterschätzen. Wir glauben aber nicht, dass sich das Risiko bewahrheitet hat, insbesondere auch wegen der getroffenen Massnahmen», erklärte der Genfer Wirtschafts- und Sicherheitsminister Pierre Maudet, der den «Präventiv»-Bericht begrüsste. «Von Steuerhinterziehung zu reden, geht jedoch zu weit und gehört ins Reich der Fantasie.»
Jeannet hält jedoch an seiner Einschätzung fest. «Vereinfacht gesagt, stellen sie ein Instrument zur Verfügung, sind aber nicht verantwortlich dafür, was im Innern vor sich geht.»
Säuberungsakt
Freihandelszonen auf der ganzen Welt werden von verschiedenen Organisationen überwacht. 2010 veröffentlichte die Financial Action Task Force über Geldwäscherei, ein zwischenstaatliches Gremium, das bei der Organisation für wirtschaftliche Zusammenarbeit und Entwicklung (OECD) in Paris angesiedelt ist, einen Bericht. Darin hiess es, dass Zolllager, zu denen die Zollfreilager gehören, für «Geldwäscherei und als Terrorismus-Finanzierung» missbraucht werden könnten, auch weil die Kontrollen ungenügend seien.
Die Autoren des EFK-Berichts zeigten sich insbesondere alarmiert über die Checks der Schweizer Zollbeamten. «Die Vertreter des Genfer Zollfreilagers behaupten, die Zollbeamten seien bei ihnen sehr präsent. Die Tatsache, dass die Zollbehörde im Freihafen vor Ort sind, heisst noch nicht, dass die Kontrollen wirksam sind», sagte Jeannet.
Zunahme Zollfreilager
Für das Wachstum sorgen vor allem reiche Klienten in aufstrebenden Ländern sowie das steigende Interesse weltweit für Kunst und andere Luxusgüter.
Gemäss Wealth-X-Analysten hat 2013 weltweit die Zahl von Superreichen – ultra high net worth (UHNW) -, die jährlich mehr als 30 Mio. Dollar verdienen, mit 199’235 einen neuen Rekord erreicht. Zusammen verfügen sie über ein Vermögen von 27,8 Trillionen US-Dollar.
Gemäss Wealth-X-Voraussagen dürfte Asien in den nächsten fünf Jahren mehr UHNW-Personen und Vermögen hervorbringen als Europa und die USA.
In der Schweiz leben 6330 Superreiche (UHNW), das ist die drittgrösste Zahl in Europa, hinter Deutschland und Grossbritannien. Mit einem Anteil von 7,9 UHNW-Individuen pro 10’000 Personen weist die Schweiz eine höhere Dichte an Superreichen auf als alle anderen Länder, die im Fokus standen.
Wie die Schweizer Zollbehörde gegenüber swissinfo.ch erklärte, basieren die Überprüfungen auf Risikoanalysen und werden so rationell wie möglich durchgeführt.
Im Allgemeinen aber nimmt die Zollbehörde die Empfehlungen des Berichts sehr ernst und prüfe genau, welche Massnahmen nötig seien, wie ihr Sprecher Walter Pavel erklärte.
«Die Bestände werden künftig besser kontrolliert und analysiert werden», sagte er.
Frühere Ermittlungen hatten auch zu den Schweizer Zollfreilagern geführt. So wurde 1995 aufgedeckt, dass am Genfer Freihafen ein Netzwerk für geraubte Antiquitäten betrieben wurde, das mit dem Getty Museum in Los Angeles in Verbindung stand. Und 2003 fanden Schweizer Zöllner in Genf 200 antike Schätze aus Ägypten, die gestohlen worden waren. Sie wurden ans Land am Nil zurückgegeben.
Nach diesen Skandalen verschärfte die Schweiz ihre Gesetzgebung zu Geldwäscherei und zum Transfer von Kulturgütern. Die Zollfreilager wurden den gleichen Vorschriften unterstellt wie andere Importe, mit einer Pflicht zur Deklaration des Eigentümers, des Ursprungs und des Werts aller importierten Waren. Seit 2009 wird auch ein vollständiges Inventar verlangt.
Und dennoch gibt es immer wieder neue Fälle. So wurde 2010 von Schweizer Zöllnern im Zollfreilager in Genf ein römischer Sarkophag gefunden. Es besteht der Verdacht, dass es von einer Stätte im Süden der Türkei gestohlen wurde.
«Will jemand betrügen, dann lässt sich immer eine Umgehung des Gesetzes finden», sagte Jeannet. «Wir haben den Kimberley-Prozess und Zertifikate für Diamanten. Aber helfen die Kontrollen, Probleme und Betrugsfälle aufzudecken? Da bin ich nicht überzeugt.»
Der Bericht weisst eine ganze Reihe von Empfehlungen zur Verbesserung der Kontrollen in den Schweizer Zollfreilagern auf. Zudem soll der Bundesrat bis Ende 2015 eine Gesamtstrategie zu dieser Problematik präsentieren.
(Übertragung aus dem Englischen: Gaby Ochsenbein)
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