Die Geschichte holt das Schweizer Privatbanking ein
Die Geschichte des Schweizer Privatbankings ist 250 Jahre alt. Sie hat ihre Wurzeln bei den Handelsfirmen, die damals schon weit über die Landesgrenzen aktiv waren. Viele Privatbanken gehen auf die Finanzspezialisten bei den Handelsfirmen zurück.
Doch die Entwicklung der zu Beginn bescheidenen Finanz-Industrie zu ihrer internationalen Grösse hat auch Schleifspuren hinterlassen, die immer noch ihre Schatten werfen.
«Ursprünglich waren alle Banken in Europa Handelsfirmen», sagt Youssef Cassis, Professor für Wirtschaftsgeschichte am European University Institute in Florenz. «Sie fingen mit dem Finanzhandel. Erst später entstanden durch Abspaltungen die Banken.»
Die Basler La Roche (gegründet 1787) und Dreyfus (1815) waren Tochterfirmen von grösseren Unternehmen. Wegelin (1741) und Rahn & Bodmer (1750) entstanden vor dem Hintergrund der St. Galler Textilindustrie.
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Zukunft der Privatbanken unter der Lupe
Calvin in einer Schlüsselrolle
Die Genfer Privatbank Pictet, die 1805 als Banque de Candolle Mallet & Co gegründet wurde, hatte zu Beginn den Zweck, «Handel jeglicher Art» zu betreiben, «Deckungskapitalien zu sammeln» und «mit Gütern zu spekulieren».
Doch schon früh realisierte die Bank die Profitmöglichkeiten mit der Finanz-Beratung von vermögenden Kaufleuten und Familien. Mitten im Herzen von Europa gelegen, mit Zugängen zu den Alpenpässen und zum Rhein ausgestattet, gewann die Schweiz im Mittelalter schnell Bedeutung als Handelsplatz.
Der Genfer Reformator Jean Calvin, der im 16. Jahrhundert die reformierte Kirche mitbegründete, wandte eine liberale Form der katholischen Finanzregeln an.
Emigration als Motor
Zu einer Zeit, da Genf als Handelsplatz zu florieren begann, zog dieser Boom auch viele ausländische Finanzleute an. «Die Schweiz war in dieser Zeit stark auf ausländische Kaufleute und Finanzspezialisten angewiesen, um seine Bankindustrie aufbauen zu können», sagte Cassis gegenüber swissinfo.ch.
Der Status der Schweiz im 17. Jahrhundert als wichtiger Hort für protestantische Flüchtlinge aus Nachbarländern half auch beim Aufbau der Banken. Die Emigration brachte nicht nur Uhrenmacher in die Westschweiz, sondern auch Finanzspezialisten.
Die Firmen in Genf, Basel und St. Gallen wurden grösser und stellten zusehends Finanzspezialisten ein. Einige der grossen Namen der heutigen Privatbankenszene wurden entstanden aufgrund dieses Erfolges: Lombard Odier Darier Hentsch (1796), Pictet (1805), Mirabaud (1819) und Bordier (1844).
13. Jhd.: Die ersten jüdischen und lombardischen Geldwechsler kommen aus anderen europäischen Ländern in die Schweiz.
14. Jhd.: Bischof Adhemar Fabri erlaubt den Genfer Bankern, auf Leihgeldern Zinsen zu erheben.
15. Jhd.: Jean Calvin fördert die Lockerung der katholischen Einschränkungen gegen den Wucher und schafft einen sicheren Hafen für protestantische Flüchtlinge aus europäischen Ländern.
18. Jhd.: Banker-Ikonen wie Lombard Odier und Darier Hentsch erscheinen auf der Banken-Landschaft.
19. Jhd.: Die Neutralität und die Gründung des modernen Bundesstaates generieren politische und wirtschaftliche Stabilität.
20. Jhd.: Die beiden Weltkriege sowie die Grosse Depression und Währungsschwankungen zementieren die Position der Schweiz als weltweit führendes Zentrum der Vermögensverwaltung.
Nazi-Gold-, Geldwäscherei-, Potentaten- und Schwarzgeld-Affären bringen die Privatbanken wieder auf den Boden der Realität zurück.
Tumulte brachten Vermögen in die Schweiz
Die Neutralität der Schweiz und die Gründung des modernen Bundesstaates im Jahr 1848 legten den Grundstein für eine starke Vermögensverwaltungs-Industrie in der Schweiz.
«Umgeben von alten Monarchien, wurde die Schweiz zu einem sicheren Hafen für politische Flüchtlinge und zu einem sicheren politischen und wirtschaftlichen Umfeld für die sichere Anlage von Vermögen», sagt der Wirtschaftshistoriker Robert Vogler zu swissinfo.ch.
Dennoch waren es die politischen und wirtschaftlichen Tumulte im 20. Jahrhundert, die den Status der Schweiz als internationalen Spitzenstandort für Privatbanken zementierten. Zwei Weltkriege, der Kalte Krieg, Finanz-Kollapse und die Instabilität vieler Währungen brachten viele Vermögen in die Schweiz.
Bankgeheimnis
«Bis 1914 war Brüssel wichtiger als Finanzzentrum, als die Schweiz», sagt Cassis gegenüber swissinfo. «Die Schweiz gewann erst nach dem Zweiten Weltkrieg ihre Reputation als einer der weltweit führenden Finanzplätze.»
Die gesetzliche Verpflichtung der Banken, das Bankgeheimnis zu wahren, das in der Zweit zwischen den zwei Weltkriegen eingeführt wurde, hatte ebenfalls einen wesentlichen Anteil am Erfolg der Schweizer Vermögens-Verwalter.
Skandale
Doch der Boom im Schweizer Privatbanking führte teilweise auch zu ethisch umstrittenen Praktiken. In den vergangen 20 Jahren wurde eine Reihe von Skandalen aufgedeckt. Sie haben den Ruf der Schweizer Bank angeschlagen.
Die Schweiz war während des Zweiten Weltkrieges eine Hochburg für Nazi-Gelder. Dazu kamen später die Gelder von Diktatoren verschiedener Entwicklungsländer. Geldwäscherei und Steuerflucht sind weitere Themen, die dem Ruf der Schweizer Privatbanken schadeten.
Die Geschichte hat dazu geführt, dass die Schweizer Privatbanken weltweit eine führende Rolle in der Vermögensverwaltung einnehmen konnten. Doch nun sehen sich unsicheren Zeiten entgegen.
(Übertragung aus dem Englischen: Andreas Keiser)
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