Die Gesichter hinter dem Uhrendesign
Der Erfolg der Schweizer Uhrenindustrie beruht massgeblich auf den Ideen ihrer Designer:innen. Während die Branche ein beispielloses Wachstum erlebt, stellt sich die Frage: Wer sind diese oft vergessenen Künstler:innen, welche die "Swiss Made"-Ästhetik entwickeln?
Gérald Genta (1931-2011) wird als «Picasso unter den Uhrmachern» bezeichnet. Er schuf für die Schweizer Uhrenindustrie Bestseller und prägte den unverwechselbaren Look legendärer Modelle wie der Royal Oak von Audemars Piguet (1972), der Nautilus von Patek Philippe (1976), der Ingénieur von IWC (1976) und Bulgari (1977). Gemäss Schätzungen der Vereinigung Gérald Genta Héritage war er an über 100’000 Modellen verschiedener Marken beteiligt, oftmals anonym.
Die Royal Oak von Audemars Piguet wird allgemein als Ikone betrachtet. Mit diesem Modell brachte Genta die unabhängige Luxusmarke aus Le Brassus im Kanton Waadt in die Riege der «Big Four» – den vier umsatzstärksten Unternehmen der Branche. Der jährliche Umsatz von Audemars Piguet wird von der Bank Morgan Stanley und der Agentur Luxe-Consult, die jährlich eine Rangliste der Marken nach Marktanteil veröffentlicht, auf fast zwei Milliarden Franken geschätzt.
Spätestens mit der bahnbrechenden Royal Oak, einer achteckigen Stahluhr mit unverkennbarem Design, avancierte Genta zu einem Vorbild für viele zeitgenössische Uhrendesigner:innen. Dennoch wird dem Künstler und Uhrmacher seine Bedeutung noch immer abgesprochen.
Fabrizio Buonamassa Stigliani: «Wichtig ist der Kompromiss»
«Ich habe ein sehr enges Verhältnis zu den Uhrmacher:innen, wir sind Partner», sagt Fabrizio Buonamassa Stigliani, Leiter des Bulgari Watch Design Centers. «Doch manchmal muss ich beharrlich sein, wenn ich mit meinen Entwürfen komme und man mir sagt: Das können wir nicht umsetzen. In solchen Momenten erwidere ich stets: ‹Lass es uns trotzdem versuchen›.»
Stigliani ist der Ansicht, dass es den meisten Uhrmacher:innen schwerfällt, die Bedeutung von Designs zu würdigen. Bis zu einem gewissen Grad kann er das nachvollziehen: «Die Uhrmacher:innen steuern so viel zur Industrie bei. Sie sind stolz darauf, diese mikromechanischen Meisterwerke herzustellen, diese alten Traditionen wiederzubeleben und neue zu schaffen.» Doch auch die Designer seien wichtig: «Ihre Aufgabe ist es, diese hochpräzisen Werke zu veredeln und einem breiten Publikum zugänglich zu machen.»
Wichtig sei der Kompromiss zwischen künstlerischer Ausdruckskraft und technischer Brillanz. «Eine schöne Uhr ohne mechanische Raffinessen ist ein Misserfolg. Umgekehrt ist es dasselbe: eine technisch ausgeklügelte Uhr ohne Ästhetik bringt wenig», so der Designer.
Emmanuel Gueit: «Die Marke ist alles»
«Ich habe drei Jahrzehnte lang mit grosser Freude bei Audemars Piguet gearbeitet und bin gewissermassen Teil der Familie geworden», sagt Emmanuel Gueit, der für das Design mehrerer Kultmodelle wie der Royal Oak Offshore oder der Cellini-Kollektion von Rolex verantwortlich war. Als Freiberufler hat er für zahlreiche Marken, die unterschiedliche Philosophien verfolgen, zusammengearbeitet.
«Die Kreativität steht im Zentrum des Designerberufs. Gleichzeitig muss die Designerin oder der Designer auch die Geschichte der Marke, ihre DNA, ihre technischen Errungenschaften und das gesammelte Know-how im Blick behalten.»
Zudem sei es wichtig, aktuelle Entwicklungen zu berücksichtigen und vorausschauend zu sein, sagt Gueit. «Für mich macht es keinen Unterschied, ob ich nun ein Modell entwerfe, das für 150 Franken oder 150’000 Franken verkauft wird. Der Preis und die Exklusivität eines Modells bedeuten nicht automatisch eine grössere gestalterische Freiheit.»
Der Beitrag von Uhrendesigner:innen zum Erfolg der Branche, deren Exporte im letzten Jahr auf einen Rekordwert von über 24 Milliarden Franken stiegen, ist unbestritten. Sie geniessen ein hohes Ansehen. Dennoch betont Gueit, dass die Unternehmen sie nicht gerne in den Vordergrund stellen.
«Die Marke ist alles, der Name der Künstlerin oder des Künstlers ist nichts.» Zu seinen Lebzeiten wurde das Schaffen von Gérald Genta nicht angemessen gewürdigt, erst nach seinem Tod wurde er zur Legende. «Unsere Arbeit findet noch immer im Verborgenen statt und ist der breiten Öffentlichkeit weitgehend unbekannt.»
Martin Frei: «Inspiration kommt von vielen Seiten»
Auch für Martin Frei waren Gentas Arbeiten eine Inspiration, eine von vielen. «Ich habe einen breitgefächerten künstlerischen Hintergrund, habe monumentale Gemälde gemalt, Innenräume gestaltet und Filme gedreht», erklärt Frei, der 1997 gemeinsam mit dem Uhrmacher Felix die Marke Urwerk gegründet hat. Sie ist heute weltweit für ihre futuristisch gestalteten Modelle bekannt.
Frei sieht die Hauptaufgabe von Designer:innen darin, künstlerisches Denken in die Uhrmacher-Werkstatt zu bringen und aus Technologie Kunstwerke zu machen. «Es ist seit jeher unser Ziel, neue Uhren zu schaffen, die nicht nur von der traditionsreichen Uhrmacherkunst inspiriert sind, sondern auch von anderen Bereichen wie der Architektur. In unserem Fall sind es vor allem Science-Fiction-Filme, Musik und Gemälde», sagt er.
Eric Giroud: «Eine klare Rollenverteilung ist wichtig»
Für Eric Giroud überwiegen die positiven Erfahrungen mit Uhrmacher:innen, Konflikte seien selten. Seine bemerkenswertesten Modelle entstanden in enger Zusammenarbeit mit der jungen, aber bereits angesehenen Marke MB&F, die 2005 in Genf gegründet wurde. Er bilde mit dem Gründer Max Büsser ein ideales Duo, sagt der unabhängige Designer. «Max hat mich stets ermutigt, mit anderen Marken zusammenzuarbeiten, und hat mir nie Steine in den Weg gelegt.»
Für Giroud ist eine klare Rollenverteilung wichtig: «Ich würde niemals zu einem Uhrmacher gehen und ihm sagen, welche Elemente er in den Mechanismus einbauen soll. Allerdings stehe ich ihm immer gerne zur Seite, wenn es um Bereiche geht, in denen ich mich kompetenter fühle.»
Als ehemaliger Architekt betont Giroud, dass er nicht für sich selbst entwirft, sondern vielmehr Menschen dabei hilft, ihre Ideen zum Leben zu erwecken. «Ich arbeite nicht für die Marken, die mich beauftragen, oder für ihre Geschäftsführer:innen, sondern in erster Linie für die Kund:innen, die später die Uhren tragen», sagt er.
Stefano Macaluso: «Es ist ein Kampf»
Auch Stefano Macaluso, der ehemalige Eigentümer der renommierten Marke Girard Perregaux, ist heute als unabhängiger Designer tätig.
Der ausgebildete Architekt vergleicht die Uhr mit einem kunstvollen Gebäude, das sich aus einer schönen Fassade, einem durchdachten Grundriss und harmonischen Proportionen zusammensetzt. Auch das einfallende Licht spiele eine entscheidende Rolle. «Natürlich ist der Massstab ein völlig anderer», erklärt er.
«Das Entwerfen einer Uhr ist ein fortwährender Kampf mit Widersprüchen», betont Macaluso. «Die Mechanismen unterliegen unüberwindbaren Grenzen und benötigen Raum und Schutz, ähnlich wie ein Lebewesen. Oftmals liegen die Toleranzgrenzen unter einem Millimeter.» Darüber hinaus sei es von grosser Bedeutung, das bestehende Image von Marken zu bewahren, die oft eine Geschichte von über einem Jahrhundert aufweisen, fügt der Autoliebhaber und Rallyefahrer hinzu.
Guy Bove: «Mentor:innen sind wichtig»
«Zeitmesser können nicht auf einem leeren Blatt Papier entworfen werden», findet Guy Bove, der bei Unternehmen wie IWC, Chopard, Ferdinand Berthoud, Breitling und TAG Heuer tätig war. «Obwohl es mittlerweile spezialisierte Uhrendesign-Studiengänge gibt, wie beispielsweise an der Haute école d’art et de design in Genf, machen die meisten Designer:innen ihre ersten Schritte als Architekt:innen, Automobil- oder Modedesigner:innen.»
Bove hat keinen Uhrendesign-Studiengang absolviert. Drei Jahre habe er benötigt, um die Grundkenntnisse in diesem Metier zu erwerben. Oftmals ist es einem Mentor zu verdanken, dass Designer:innen in diesem äusserst selektiven Berufsfeld Karriere machen. «Mein Vorbild war Miodrag Mijatovic, der Gründer von M-Design», sagt Bove. M-Design ist ein Designunternehmen, das seit den 1980er-Jahren für zahlreiche Schweizer Uhrenmarken tätig ist.
Der Weg zu einem gelungenen Design muss aber nicht zwangsläufig langwierig sein. «Es können Tage vergehen, bis ich meine Idee präsentiere, und Jahre, bis wir uns alle einig sind, dass die Uhr auf den Markt kommen soll», so Bove.
Designer:innen scheuen sich davor, den Preis für ihre Dienstleistungen preiszugeben. Dennoch ist bekannt, dass sie bei namhaften Projekten einige zehntausend Franken verdienen können.
Editiert von Samuel Jaberg. Übertragung aus dem Französischen: Christoph Kummer
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