Die Grünen mussten auch in der Fünften Schweiz Federn lassen
Auch in der schweizerischen Diaspora ist die Stimmabgabe für die Grünen bei den eidgenössischen Wahlen 2023 eingebrochen, hauptsächlich zugunsten der SP. Hingegen ist der starke Zuwachs der SVP bei den Stimmen der Schweizer Wählerschaft im Ausland nicht zu beobachten. Es wurde zudem kein:e Auslandschweizer:in in den Nationalrat gewählt.
Die grüne Welle, die die Parlamentswahlen 2019 geprägt hatte, gehört der Vergangenheit an. Auf nationaler Ebene mussten die grünen Parteien eine regelrechte Ohrfeige hinnehmen.
Mit 9,4% der Stimmen fielen die Grünen um 3,8 Prozentpunkte zurück und verloren fünf Sitze im Nationalrat. Nur die andere grüne Partei, die Grünliberale Partei, rutschte bei den Mandaten noch weiter ab (-6 Sitze und ein Rückgang des Wähleranteils um 0,6 Punkte auf 7,2%).
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Auch die im Ausland lebenden Schweizer:innen wählten in diesem Jahr massiv weniger für die Grünen: In allen zwölf Kantonen, die separate Statistiken zur Diaspora-Stimmabgabe liefern, verliert die Grüne Partei 5,4 Prozentpunkte ihres Wähleranteils und fällt von der stärksten Partei 2019 (mit 23,8% der Stimmen) auf den dritten Platz in diesem Jahr (mit 18,4%).
Obwohl die Fünfte Schweiz traditionell eher klimafreundlicher wählt als der Rest der Schweiz, verzeichnen die Grünen also einen Rückgang der Stimmen. Dies hat laut Martina Mousson, Politologin des Instituts gfs.bernExterner Link, genau wie in der Schweiz mit der aktuellen Themenlage zu tun.
Diese sei bei diesen Wahlen grundlegend anders gewesen als vor vier Jahren. «Obwohl das Klimathema immer noch eine der Hauptsorgen ist, war es offensichtlich kein wahlrelevantes Thema. Es wurde von anderen Themen überlagert», so Mousson. Sie nennt globale Themen wie der Ukraine-Krieg, die Wirtschaftslage, die Konjunktur, die Teuerung. «Davon ist nicht nur die Schweiz betroffen», sagt die Politologin.
Breite Unterstützung der SP in der Diaspora
Auf nationaler Ebene verzeichnete die Sozialdemokratische Partei nach der SVP den zweitgrössten Zuwachs (+1,2 Prozentpunkte auf 18% der Wähler:innenstimmen). Im Ausland konnte sie am deutlichsten zulegen (+2,8 Prozentpunkte von 17,6% auf 20,4% Wähler:innenanteil).
Die wichtigste Veränderung im Wahlverhalten der Auslandschweizer:innen im Jahr 2023 scheint also eine Verschiebung der Stimmen von den Grünen zu den Sozialdemokrat:innen zu sein.
Zum Einbruch der Grünen bei den Auslandschweizer:innen sagt Mousson: «Ich glaube nicht, dass die Grünen etwas falsch gemacht haben.» Die Leseweise sei, dass grüne Themen von anderen überlagert wurden.
«Generell profitieren in unsicheren Weltlagen rechte Parteien eher. Die Grünen sind wohl Opfer von der Themenkonjunktur geworden», schätzt Mousson ein. Umgekehrt hätten sie vor vier Jahren von der Themenlage profitiert.
Ein bescheidener Zuwachs der SVP
Anders als im Inland kann man hingegen nicht sagen, dass die SVP auf Seiten der Auslandschweizer:innen an der Urne triumphiert hat.
Die rechtskonservative Partei, die grösste politische Kraft des Landes, die in diesem Jahr auch am meisten zugelegt hat (+9 Sitze und 28,6% der Stimmen, ein Plus von 3 Prozentpunkten), hat auch im Ausland zugelegt. Wenn auch in geringerem Masse: von 18% auf 18.5% der Stimmen in der Diaspora.
Die SVP bleibt die zweitstärkste politische Kraft unter den Auslandschweizer:innen, allerdings mit deutlich niedrigeren Stimmenanteilen als auf nationaler Ebene.
Im Inland beschäftigte die Frage, ob die SVP die 30%-Marke knacken kann. «Sie ist immer wieder nahe dran, hat es aber noch nie geschafft. Es gibt offenbar ein Plafond für die SVP im In- wie auch im Ausland», sagt Mousson. Wie fest dies in Stein gemeisselt sei, werde erst die Zukunft zeigen.
Aber die Auslandschweizer:innen seien eher als liberales bis linkes Wahlpublikum bekannt. «Das ist nichts Neues, das hat Tradition. Deshalb überrascht es mich nicht, dass der Anstieg bei den SVP-Stimmen nicht grösser ausgefallen ist», so Mousson.
Insgesamt bestätigt das Wahlverhalten der Diaspora bei den Parlamentswahlen die Tendenz, dass diese Wählerschaft linker und grüner wählt als die inländische Bevölkerung.
Die wichtigsten linken Parteien (SP und Grüne) erhielten zusammen fast 39% der Stimmen (gegenüber 27% in der Schweiz), während die grünen Parteien (Grüne und Grünliberale) im Ausland zusammen auf 30% kamen (gegenüber 17% in der Schweiz).
Bei den anderen Parteien bleiben die Werte relativ stabil. Die Mitte gewann 0,9 Prozentpunkte hinzu, was in etwa dem landesweiten Zuwachs entspricht (0,8 Prozentpunkte). Die FDP verlor 0,6 Prozentpunkte (gegenüber 0,7 in der Gesamtschweiz).
Die Wahlbeteiligung der Auslandschweizer:innen war wie so oft tief: Sie betrug insgesamt 18,7% und war in fast allen Kantonen mit Ausnahme von Basel-Stadt und St. Gallen rückläufig. In einer am 24. Oktober verbreiteten MitteilungExterner Link hält die Auslandschweizer-Organisation (ASO) fest, dass es sich dabei um zwei der drei Kantone handelt – der dritte ist Thurgau, die dieses Jahr elektronisch wählen konnten. Die ASO, die sich für das E-Voting für Auslandschweizer einsetzt, sieht darin eine Bestätigung dafür, dass damit die Wahlbeteiligung der Fünften Schweiz erhöht werden kann.
Im Inland hingegen stieg sie im Vergleich zu 2019 leicht an, von 45,1% auf 46,6%.
Keine Auslandschweizer:innen unter den Gewählten
43 Auslandschweizer:innen sind bei den eidgenössischen Wahlen 2023 angetreten. Es ist zwar wenig überraschend, dass keine:r der Kandidat:innen gewählt wurde, zwei Auslandschweizer stechen mit ihren Resultaten jedoch heraus.
Am meisten Stimmen holte im Kanton Bern Pascal Cuttat aus Nairobi. Ganze 12’451 Berner:innen haben für den 61-jährigen SP-Mann gestimmt. Weil Cuttat, der beim Schweizerischen Roten Kreuz arbeitet, auf der Hauptliste der Berner SP-Männer-Liste aufgeführt war, ist das gute Resultat im Vergleich zu den anderen Auslandschweizer:innen nachvollziehbar.
Auf seiner Liste weist Cuttat hingegen das schlechteste Resultat aus. Die SP ist die zweitstärkste Partei im Kanton Bern, sie holte 5 Sitze.
In Genf erzielte der Grüne Rudolf Berli aus Frankreich einen Achtungserfolg. Mit 11’947 Stimmen platzierte er sich auf dem zweiten Ersatzplatz auf der Liste der Grünen. Der Gemüsebauer aus dem französischen Pougny erhielt alleine aus der Stadt Genf 4271 Stimmen und aus dem Ausland 999.
Zum Vergleich: Im Kanton Genf sind die bisherigen Nationalrät:innen Delphine Klopfenstein Broggini mit 15’549 Stimmen und Nicolas Walder, der auch Auslandschweizerrat ist, mit 15’271 Stimmen gewählt.
Der letzte gewählte Nationalrat aus dem Ausland war Tim Guldimann für die SP im Kanton Zürich. Er erzielte 2015 ein Glanzresultat und holte sich 102’757 Stimmen. Er war damals nicht der erste Auslandschweizer im Parlament, aber der erste, der als Auslandschweizer gewählt wurde. Guldimann trat 2018 zurück. Seinen Rücktritt begründete er damit, dass es schwierig sei, «in einem Milieu zu leben und in einem anderen Milieu Politik zu machen».
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16’600 Kilometer vom Nationalrat entfernt – aber Kandidat
In der Praxis haben Auslandschweizer:innen kaum Chancen, gewählt zu werden, dies bestätigt auch Ariane Rustichelli von der Auslandschweizer-Organisation ASO. «Der Fall Guldimann war ziemlich aussergewöhnlich», so Rustichelli.
Die Forderung, dass die Fünfte Schweiz eine direkte Vertretung im Parlament habe, werde immer wieder erhoben. «Die ASO hat eine Arbeitsgruppe, die dies unterstützt», so Rustichelli. Weil es dazu eine Verfassungsänderung geben müsste, hätte diese Forderung jedoch noch keinen Erfolg gehabt.
Dieser Artikel wurde am 25. Oktober mit der Einschätzung der ASO über eine erhöhte Wahlbeteiligung durch E-Voting ergänzt.
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