«Dass einige Staaten die Sexualität der Frauen kontrollieren wollen, ist beunruhigend»
In ihrem Buch "Mes Héroïnes" porträtiert Manon Schick elf unbekannte Aktivistinnen für Frauenrechte aus unterschiedlichen Ländern. Für die Geschäftsleiterin von Amnesty International Schweiz beginnt der Kampf für Gleichberechtigung auf lokaler Ebene.
Sie blicken alle entschlossen in die Kamera. Sie halten an ihrem Kampf fest, trotz Stigmatisierung, Ablehnung oder Drohungen. Sie sind der Beweis, dass Frauenrechte in vielen Regionen der Welt noch immer mit Füssen getreten werden.
Die Heldinnen, von denen Manon Schick erzählt, kämpfen im Verborgenen gegen Verletzungen von Frauenrechten. Es sind Frauen, die der Geschäftsleiterin der Schweizer Sektion von Amnesty International auf ihrem Weg als Aktivistin begegnet sind und die sie im Alltag inspirieren.
swissinfo.ch: Ihre Heldinnen werden häufig mit dem Tod bedroht, eingesperrt, vergewaltigt oder ins Exil verbannt. Ist es für Sie nicht entmutigend, auf welch gewalttätigen Widerstand diese Frauen stossen?
Manon Schick: Während ich das Buch schrieb, deprimierte mich die Erkenntnis, dass viele dieser Frauen ihr Land verlassen mussten. Ich hatte den Eindruck, dass am Ende keine der Frauen Erfolg mit ihrem Kampf hatte. Doch dann realisierte ich, dass sie durchaus erfolgreich waren, dass sie auf lokaler Ebene oder in einem bestimmten Fall einen Sieg erringen konnten. Natürlich sind das nur halbe Siege, weil sich die Situation auf nationaler Ebene nicht verbessert, sondern manchmal sogar verschlechtert.
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Elf Gesichter, elf Anliegen
swissinfo.ch: Die Frauen bezahlen für ihr Engagement häufig einen hohen Preis. Kasha Jacqueline Nabagesera, ugandische Aktivistin für die Rechte von Homosexuellen, steht auf einer Liste von Personen, die man laut einer Zeitung des Landes aufhängen sollte. Woher nehmen diese Frauen die Kraft, trotz allem weiterzukämpfen?
M.S.: Kasha Jacqueline Nabagesera glaubt an die Justiz. Sie glaubt an das Recht, ihre Identität als lesbische Frau leben zu dürfen, ohne die Todesstrafe zu riskieren. Diese Überzeugung gibt ihr die Kraft, in ihrem Land weiterzukämpfen. Andere Frauen haben mir anvertraut, von ihrem Glauben geleitet zu werden. Das ist bei der ugandischen Aktivistin nicht der Fall, da die Repressionen, unter denen sie leidet, auch religiös begründet werden. Evangelikale und anti-homosexuelle Bewegungen aus den USA haben sich in Uganda angesiedelt und rechtfertigen Angriffe gegen Homosexuelle im Namen Gottes.
swissinfo.ch: Frau und homosexuell, diese zwei Merkmale machen sie noch verletzlicher…
M.S.: Absolut. Sie kumuliert zwei Eigenschaften, die sie zum potenziellen Ziel für Gewaltübergriffe machen. Umso mehr, da sich die Rechte von Homosexuellen in Uganda verschlechtert haben, vor allem mit der Ankunft der evangelikalen Bewegungen. Deren stigmatisierende und hassvolle Denkweise hat alle Gesellschaftsschichten infiltriert. Das ging so weit, dass dem Parlament ein Gesetzesentwurf vorgelegt wurde, der die Todesstrafe für Homosexuelle vorsah. Kasha Jacqueline Nabagesera kann kaum noch Freunde haben, sie muss sich nicht nur vor der Regierung in Acht nehmen, sondern auch vor Bekannten und sogar vor der eigenen Familie. Trotzdem hat sie beschlossen, im Land zu bleiben und weiterzukämpfen.
«Evangelikale Bewegungen aus den USA haben sich in Uganda angesiedelt und rechtfertigen Angriffe gegen Homosexuelle im Namen Gottes.»
swissinfo.ch: Welche der elf Geschichten hat Sie am meisten berührt?
M.S.: Das ist schwierig zu sagen, denn alle diese Frauen haben mich bewegt. Die schwierigste Situation ist vielleicht jene von Justine Masika, die in der Demokratischen Republik Kongo Vergewaltigungsopfern hilft. Sie begann ihr Engagement, nachdem sie mit dem Fall einer fast 80-jährigen Frau konfrontiert wurde, die nach einer Vergewaltigung starb. Ich habe im Rahmen meiner Arbeit auch Frauen befragt, die Opfer von sexuellen Übergriffen wurden, als sie aus Kampfgebieten flohen. Diese systematischen Vergewaltigungen von Frauen sind Teil einer Politik zur Demütigung der Bevölkerung, die von bewaffneten Gruppen und manchmal sogar von Regierungssoldaten praktiziert wird. Das stellt ein Kriegsverbrechen dar. Das Problem ist, dass die Vergewaltiger häufig unbestraft davonkommen. Der Kampf von Justine Masika besteht darin, die Frauen zu einer Anzeige zu bewegen und sie auf dem Gerichtsweg zu begleiten. Nach 15 Jahren Kampf beginnt ihre Arbeit Früchte zu tragen, in den letzten Monaten gab es einige Verurteilungen zu Gefängnisstrafen. Diese Erfolge schaffen Vertrauen in die lokale und internationale Justiz.
swissinfo.ch: Stellen Sie auf der Welt eine Verschlechterung oder Verbesserung der Frauenrechte fest?
M.S.: Das Bild ist nicht schwarz-weiss. Einige Frauenrechte haben sich verbessert, vor allem wenn man an den Zugang zu Bildung für Mädchen denkt oder an den Rückgang der Müttersterblichkeit. Dennoch beunruhigt mich die Tendenz einiger Regierungen, die Sexualität der Frauen kontrollieren zu wollen. Das muss angeprangert werden. Es entstehen merkwürdige Allianzen, beispielweise zwischen islamistischen Staaten und dem Vatikan. Oder katholische Länder Zentralamerikas finden plötzlich, dass man Abtreibungen, Verhütung und sexuelle Aufklärung verbieten sollte.
«Auf der Flucht sind Frauen häufig grösseren Risiken ausgesetzt als Männer.»
swissinfo.ch: In welchem Land ist die Situation für Frauen am dramatischsten?
M.S.: Die Situation der Frauenrechte ist meist nicht von der allgemeinen Lage im Land trennbar. In Syrien sind die Bedingungen für Frauen und Männer katastrophal, aber Frauen sind doppelt Opfer. Auf der Flucht sind sie häufig grösseren Risiken ausgesetzt als Männer. Wenn sie aus Kriegsländern fliehen, erleiden sie häufiger Gewalt. Das ist auch im Südsudan und Jemen der Fall, in allen Ländern mit einer grossen Migrationskrise. Länder mit einer frauendiskriminierenden Gesetzgebung, wie beispielsweise der Iran, sind ebenfalls problematisch. Auch Fälle wie Afghanistan sind sehr beunruhigend, wo zwar eher fortschrittliche Gesetze herrschen, der Staat aber nicht in der Lage ist, die Frauen zu schützen.
swissinfo.ch: Der Kampf dieser Frauen findet ausserhalb Europas statt. Kann ihr Engagement auch den feministischen Kampf auf europäischer Ebene inspirieren?
M.S.: In Europa sind die Ungleichheiten weniger sichtbar, aber sie existieren. Ich bin überzeugt, dass die Verteidigung der Frauenrechte auf lokaler Ebene beginnt, im eigenen Quartier, der eigenen Stadt, im Unternehmen. Die Leute in Europa haben die Möglichkeit auf die Strasse zu gehen oder Petitionen zu unterschreiben, ohne bedroht zu werden. Gegenüber den Frauen, die ihr Leben aufs Spiel setzen, ist es das Mindeste, dass wir uns auch hier engagieren.
(Übertragung aus dem Französischen: Sibilla Bondolfi)
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