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Die Macht des Images: Warum die Schweiz ihr Handeln nicht davon abhängig machen sollte

Martin Dahinden

Der ehemalige Diplomat Martin Dahinden blickt auf die Wechselwirkung zwischen Medien und Politik. Und sagt, der Ruf der Schweiz in der Welt sei besser, als manche Zeitungslektüre glauben lässt.

Image ist wichtig, denn unser Handeln richtet sich nach dem, was wir über etwas denken. Für Menschen gilt das ebenso wie für Unternehmen und Länder. Der Imageschaden der Credit Suisse führte zu einem Vertrauensverlust und zum massenhaften Abzug von Kundengeldern. Möglicherweise wurde erst damit die Dynamik ausgelöst, die zum Untergang der Bank führte.

Auch das Image von Ländern ist kein nebensächlicher Schattenwurf. Es kann Handlungsspielräume erweitern oder einengen.

Schweizerische und internationale Medien vermitteln zurzeit den Eindruck, dass das Image der Schweiz in einer tiefen Krise steckt – oder sogar das Land selbst, wie es der US-Botschafter kürzlich in einem Interview erklärte (NZZ vom 16.3.2023). Die Neutralitätspolitik steht unter Beschuss, die Kriegsmaterialausfuhrpraxis ruft Unverständnis hervor und der Finanzplatz ist angeschlagen.

Steckt die Schweiz in einer Imagekrise? Lesen Sie dazu auch den Meinungsbeitrag des Rechtswissenschaftlers Mark Pieth:

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Die Schweiz neu erfinden

Dieser Inhalt wurde am veröffentlicht Umstrittene Neutralität, desavouierter Finanzplatz, fehlende politische Visionen: Gleich mehrere Pfeiler des helvetischen Selbstverständnisses wanken. Die Schweiz muss grundsätzlich über die Bücher, schreibt Mark Pieth.

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Paradoxerweise ergibt die neueste jährliche Bevölkerungsbefragung im Ausland ein anderes Bild (Imagemonitor 2022). Das Image der Schweiz ist ungebrochen gut, einzig Kanada erreicht ähnlich positive Werte. Den meisten Befragten fällt spontan nichts Negatives zur Schweiz ein, am meisten genannt werden die hohen Preise und das schlechte Wetter.

Die Erhebung wurde nach Ausbruch des Krieges in der Ukraine gemacht, die Auseinandersetzungen um die Neutralität und Waffenlieferungen sind schon eingeflossen.

Wie passt das zusammen?

Während dem Banken- und Steuerstreit machte ich als Schweizer Botschafter in den USA eine ganz ähnliche Erfahrung. In auflagestarken Zeitungen und auf TV-Netzwerken gab es giftige Angriffe auf die Schweiz. In den täglichen Kontakten mit Regierungsvertretern und im Kongress war von diesem negativen Bild wenig zu spüren – und schon gar nicht in den vielen Begegnungen mit der amerikanischen Bevölkerung. Das änderte nichts daran, dass der Streit zwischen der Schweiz und den USA mit sehr harten Bandagen ausgefochten wurde.

Ich entdeckte etwas, das auch für das gegenwärtige Imageproblem gültig ist: Medien berichten in erster Linie über das, was Medien berichten, und sie haben häufig die Ambition, etwas ins Rollen zu bringen. Was heute ausländische Medien über die Schweiz berichten, ist zu einem erheblichen Teil ein Echo aus der schweizerischen Medienlandschaft. Danach folgt das zweite Echo: Schweizerische Medien greifen die Berichte auf und spiegeln sie zurück als das Image der Schweiz im Ausland.

Mediale Images sind nie objektive Abbilder. Sie sind vielfältig beeinflusst und umkämpft, sie wirken auf Wahrnehmungen, auf Denken und Handeln in der Schweiz, aber auch im Ausland.

Ausländische Diplomatinnen und Diplomaten in der Schweiz wie der US-Botschafter, sein deutscher und französischer Kollege oder der Vertreter der EU kennen diese Wirkungszusammenhänge. Sie schätzen ab, was ihre Worte in den Echokammern der Medien und Politik bewirken. Als Spielerinnen und Spieler auf der Klaviatur der Öffentlichkeitsarbeit bringen sie damit ihre Interessen voran, was auch ihre Aufgabe ist. Deswegen sind sie keine Undiplomaten (NZZ vom 6.4.2023).

Markus Somm, Verleger der Zeitschrift Nebelspalter, schreibt, die Schweiz bestehe gerade daraus, dass sie kaum je zu definieren war:

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L’Identitätskrise n’existe pas

Dieser Inhalt wurde am veröffentlicht Markus Somm, Verleger der Zeitschrift Nebelspalter, schreibt, die Schweiz bestehe gerade daraus, dass sie kaum je zu definieren war.

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Der Zustand der Schweiz ist heute günstig für die mediale Beeinflussung. Unsicherheit und Orientierungslosigkeit prägt die öffentlichen Debatten. Vieles erinnert an „Helvetisches Malaise“ der 1960er-Jahre, an jene eigenartige Mischung von Zuversicht und Zweifel, als der Glaube an die Institutionen verloren ging und dem Ansehen der Schweiz im Ausland grosse Aufmerksamkeit gegeben wurde.

Selbstverständlich waren die Herausforderungen damals etwas anders als heute: Gewässerverschmutzung, Zersiedelung der Landschaft, Überfremdungsängste usw. Aber auch damals litten viele Intellektuelle an „durch die Neutralität verstärkte Schicksalslosigkeit“ (Karl Schmid: Unbehagen im Kleinstaat).

Soll das negative mediale Image auf die leichte Schulter genommen werden? Gibt es keinen Handlungsbedarf? Ganz im Gegenteil! Wo sich Unverständnis über die Schweiz einnistet, ist gute Kommunikation nötig. Und selbstverständlich geht der Handlungsbedarf weit über die Kommunikation hinaus.

Im Finanzsektor läuft vieles schief, die Neutralitätspolitik ist geprägt von Unsicherheit, die Kriegsmaterialausfuhrpolitik ist ein Kuriosum, das Probleme vorprogrammiert und zu Selbstdiskriminierung führt. Auch sonst fehlt es nicht an wichtigen Herausforderungen: die Finanzierung der Altersvorsorge, die hohen Gesundheitskosten, das Verhältnis zur Europäischen Union, steigende Immobilienpreise und teure Mieten oder Mängel im Bildungssystem und der Energieversorgung.

Über diese Themen muss politisch gerungen werden. Es wäre jedoch fatal sich den Takt von Image-Überlegungen vorgeben zu lassen. Das ist auch nicht nötig, weil das Image der Schweiz im Ausland besser ist, als wir es uns vorspiegeln.

Die Schweiz im Image-Tief

Der Beinahe-Kollaps der Traditionsbank Credit Suisse hat für ein finanzpolitisches Erdbeben gesorgt, das weit über die Schweizer Grenzen hinaus Schlagzeilen gemacht hat. Obwohl das Krisenmanagement der Regierung im Ausland überwiegend positiv aufgenommen wurde, hat die Reputation des Schweizer Finanzplatzes arg gelitten – und mit ihr das gesamte Image der Schweiz. Ein Image, um das es nicht zum Besten steht.

Bereits länger sieht sich das Land mit Kritik konfrontiert: Seit der russischen Invasion in der Ukraine ist die helvetische Neutralität international umstritten. Für Russland ist die Schweiz nicht mehr neutral, die westlichen Partner sehen das Abseitsstehen der Schweiz als opportunistisch und werfen ihr vor, der Ukraine zu schaden. Die von den Schweizer Behörden untersagte Wiederausfuhr von Kriegsgerät an das angegriffene Land mehrt Zweifel, dass die Schweiz überhaupt noch ein zuverlässiger Verbündeter ist. Die Kritik schliesst auch die Sanktionen gegenüber russischen Oligarchen ein, in den Augen vieler internationaler Beobachter:innen geht die Schweiz nicht weit genug.

Neutralität, Bankenplatz, Sanktionspolitik: Die Fragen betreffen nichts weniger als die Identität des Landes. Wir haben verschiedene Schweizer Persönlichkeiten angefragt, wie sie das Renommee der Schweiz in der Welt beurteilen und was jetzt nötig wäre.

Die in diesem Artikel geäusserten Ansichten sind ausschliesslich jene des Autors und müssen sich nicht mit der Position von swissinfo.ch decken.

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