«Die NZZ und Blocher passen nicht zusammen»
Um die Leitung der "Neuen Zürcher Zeitung", der traditionsreichsten Zeitung der Schweiz, ist ein Machtkampf ausgebrochen. Der Versuch, einen Gefolgsmann von SVP-Chefdenker Christoph Blocher an die NZZ-Spitze zu hieven, misslang. Medienexperte Roger BlumExterner Link zeigt sich erleichtert, fungiere doch die NZZ seit 1780 als Sprachrohr des klassischen Liberalismus, zu dem auch Toleranz gegenüber dem Fremden gehöre.
swissinfo.ch: Bei der Traditionszeitung NZZExterner Link ist ein Machtkampf ausgebrochen – es geht um die Neubesetzung der Posten des Chefredaktors und des publizistischen Leiters. Wie stark steckt die «alte Tante» in der Bredouille?
Roger BlumExterner Link: Es sind verschiedene Elemente zusammengekommen. Die NZZExterner Link braucht Geld, weil sie neue Projekte anpacken will. Zweitens ist die Online-Strategie in den letzten Jahren nicht richtig vorangekommen. Der Verwaltungsrat hat offenbar Markus Spillmann nicht als den richtigen Mann dafür gesehen.
Es war aber nicht geplant, ihn loszuwerden, vielmehr sollte er in einer veränderten Struktur eine andere Rolle einnehmen. Darüber gab es offenbar Meinungsverschiedenheiten, so dass Spillmann den Bettel hingeworfen hat.
swissinfo.ch: Editorial hat Spillmann gute Kritiken gehabt. Wie sieht das Job-Profil für seinen Nachfolger aus. Was muss dieser können?
R.B.: Der NZZ-Chefredaktor verfügt traditionellerweise über eine publizistische Ausstrahlung. Er ist kein reiner Manager, der die Redaktion und die Zeitung führt, sondern er schreibt selbst, liest Texte kritisch und sagt im Diskurs mit den Ressorts, welche Themen er im Blatt haben will. Dazu gehört auch der eigene Leitartikel am Wochenende. Diese Ausstrahlung war allen NZZ-Chefredaktoren der Nachkriegszeit eigen, von Willy Bretscher über Fred Luchsinger bis Hugo Bütler, der vor Spillmann amtierte.
swissinfo.ch: «Den Sprung ins digitale Zeitalter verpasst», wird als Grund für die Probleme angegeben. Wie konnte das geschehen? Zur Jahrtausendwende hatte die NZZ eine ambitionierte Online-Strategie, zu der sogar ein NZZ-Büro im Silicon Valley gehörte.
R.B.: Alle Medienhäuser haben im Online-Bereich herumgepröbelt; Versuchsballone und Kurswechsel standen an der Tagesordnung. Letztlich aber ist eine Online-Strategie nur dann sinnvoll, wenn man damit Geld verdient. Verlage, die Gratis- und Boulevardmedien herausgeben, haben es einfacher, weil sie in den Zeitungen selber Online-Auftritte platzieren können, die stark nachgefragt werden.
Die NZZ aber ist ein klassisches Printprodukt, deren Leser mehrheitlich noch die Zeitung aus Papier in der Hand halten wollen. Oder allenfalls als E-Paper, aber ohne noch andere Online-Angebote der NZZ-Gruppe nutzen zu wollen. Das erschwert einen starken Online-Auftritt. Im deutschen Sprachraum setzt mit Springer ein Unternehmen am stärksten auf Online, das stark im Boulevardbereich aktiv ist.
swissinfo.ch: Steht der NZZ die eigene Tradition im Weg, um online erfolgreich zu sein?
R.B.: Ja, aber die NZZ ist durchaus auch innovativ. Sie hat im Multimedia Storytelling mit der Kombination von Print, Bild, Ton und Online-Kanälen hervorragende Beispiele geliefert.
swissinfo.ch: Spielte auch das Paywall-Modell eine Rolle, also dass Online-Nutzer bezahlen müssen?
R.B.: Ich finde das einen normalen Vorgang. Er kann aber nur dann erfolgreich sein, wenn möglichst viele andere Titel auch mitziehen: Man muss den mühsamen Weg zurück vom Gratis- zum kostenpflichtigen Angebot gehen.
Es ist eine verheerende Konzession an die Bevölkerung, wenn man so tut, als würde Information nichts kosten. Es ist völlig klar, dass man für ein Auto, ein Haus oder ein Stück Fleisch bezahlt. Man bekommt nichts gratis. Im Informationsbereich aber hat sich durch Gratiszeitungen und Online-Medien die Überzeugung eingeschlichen, dass man Information gratis haben kann.
Das kann nicht sein. Information ist eine Ware, die in einem anspruchsvollen Prozess hergestellt werden muss. Das journalistische Sammeln, Auswählen, Bearbeiten und Präsentieren der Information ist ein handwerklich kunstvoller Prozess, der seinen Preis hat. Dazu kommt die Verteilung.
swissinfo.ch: Matthias Müller von Blumencron, Chefredaktor Digitale Medien bei der «Frankfurter Allgemeinen Zeitung», hatte kein Interesse, den renommiertesten Titel der Schweizer Presse zu leiten. Ist der NZZ-Chefposten bei publizistischen Hotshots in Deutschland nicht gefragt?
R.B.: Das kann man so nicht sagen, denn ich kenne die Gründe nicht, weshalb er den Posten als publizistischer Gesamtleiter nicht wollte.
swissinfo.ch: Die NZZ-Redaktion hat den ersten Angriff des rechtsnationalen SVP-Chefdenkers Christoph Blocher auf die «alte Tante» abgewehrt – Markus Somm, der sich selbst als «Statthalter» Blochers bezeichnete, kommt nicht. Gibt Blocher so schnell auf? Anders gefragt, was würde ihm die NZZ bringen, der ja bereits über die «Basler Zeitung» verfügt?
R.B.: Christoph Blocher ist einer jener Politiker, die Parteipolitik noch klassisch über die Printmedien betreiben möchten. Obwohl seine Finanzkraft auch andere Kanäle ermöglicht, etwa landesweite Inserate-Kampagnen oder Massenversände in jeden Haushalt. Dazu nutzt er auch Internet, Videos und TV.
Er möchte aber via Printmedien wirken, weil diese im politischen Diskurs nach wie vor die wichtigsten Plattformen sind. Leitartikel und Kommentare haben in Printmedien mehr Gewicht als in Blogs.
Er hat Unterstützung für seinen Kurs in der «Weltwoche» und in der «Basler Zeitung». Aber bezüglich Auflagen und Verbreitung sind die Reichweiten dieser beiden Titel relativ bescheiden. Tamedia, Ringier und auch die NZZ mit ihren Regionalzeitungen erreichen hier viel mehr. Von diesem Kuchen möchte sich Blocher ein Stück abschneiden.
Wichtig dafür ist ihm nicht so sehr der Besitz eines grossen Titels, sondern die Besetzung der publizistischen Schaltstellen. Seine Idealvorstellung sind Chefredaktoren in seinem Sinn.
Sieht man aber den liberalen Kurs der NZZ seit 1780, der durchaus Schwankungen aufweist, dann passen NZZ und Blocher nicht zusammen. Markus Somm, den ich als Kollegen persönlich sehr schätze, wäre als NZZ-Chef ein Schaden nicht nur für das Blatt, sondern für die ganze Schweiz gewesen. Die NZZ stand immer auf dem Boden des klassischen Liberalismus, zu dem auch die Toleranz gegenüber dem Fremden gehört. Das sind Differenzen zur SVP im Sinne Blochers.
swissinfo.ch: Somm, respektive die Positionierung der NZZ nach rechts, wäre im Ausland nicht goutiert worden, sagt der Zürcher Mediensoziologe Kurt Imhof. Wie wichtig ist der deutschsprachige Markt für die wirtschaftliche Zukunft der NZZ?
R.B.: Wenn ein Titel Profil hat und interessant ist, wird er auch gelesen und kann durchaus akzeptiert sein, wenn er eher rechts positioniert ist. Kritischer aber ist der andere Aspekt: Ich denke nicht, dass die NZZ in Deutschland und Österreich sehr viele Marktanteile holen kann. In Österreich ist die Tradition, klassische Zeitungen zu lesen, etwas verkümmert, man schaut in erster Linie ORF und liest die «Kronen Zeitung».
Was Deutschland betrifft: Die NZZ unterscheidet sich in der Ausrichtung nicht allzu stark von der «Frankfurter Allgemeinen Zeitung», so dass hier kaum grosses Potenzial für einen Titel herrscht, der erst noch aus dem Ausland kommt und deutschen Themen nicht den Vorrang einräumt, wie er in Deutschland üblich ist.
Der 69-jährige Medienexperte ist seit 2008 Präsident der Unabhängigen Beschwerdeinstanz für Radio und Fernsehen (UBI).
Von 1989 bis 2010 war er Professor für Medienwissenschaft an der Universität Bern
Er amtierte auch als Präsident des Schweizer Presserates (1991–2001).
Davor war er Inlandredaktor beim «Tages-Anzeiger», 1985 bis 1989 Mitglied der Chefredaktion.
Von 1971 bis 1978 hatte Blum als Vertreter der Freisinnig-demokratischen Partei (FDP) dem Parlament des Kantons Basel-Landschaft angehört
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