Die problematische Vorliebe des Binnenlands Schweiz für Fisch und Meeresfrüchte
Rund 96% des in der Schweiz konsumierten Fischs wird importiert, aber gerade mal 40% gilt als nachhaltig.
Kurz vor Weihnachten warf Greenpeace Schweiz den grossen Supermarktketten Coop und Migros vor, Lachs mit hohen Rabatten zu verkaufen, um den Konsum von nicht nachhaltig gezüchtetem Fisch zu fördern. Eine über drei Monate durchgeführte Untersuchung zeigte, dass die Einzelhändler nordatlantischen Zuchtlachs mit Rabatten zwischen 41% und 50% anboten. Laut Greenpeace erwirtschaften die beiden Einzelhändler mehr als 45% ihres Umsatzes mit Fischprodukten über Rabattverkäufe – der höchste Umsatzanteil im Lebensmittelsektor.
«Die industrielle Aquakultur verschärft das Problem in den Ozeanen nur noch weiter. Im Sinne der nachhaltigen Entwicklung ist die einzige kohärente Massnahme, weniger Fisch anzubieten», hiess es in einer Greenpeace-PressemitteilungExterner Link vom 18. Dezember.
Fragwürdige Importe
Schweizer:innen konsumieren laut dem Bundesamt für Landwirtschaft durchschnittlich neun Kilo Fisch und Meeresfrüchte pro Jahr. Eine 2021 von Forscher:innen der Universität Bern veröffentlichte Studie über den Schweizer FischmarktExterner Link schätzte, dass hierzulande 96% des gesamten Fischkonsums importiert werde. Interviews und Umfragen bei lokalen Produzenten, Handelsvertreterinnen, Einzelhändlern, Restaurant- und Lebensmitteldienstleisterinnen, Qualitätssicherungsspezialistinnen, Kennzeichnungsorganisationen und zugehörigen NGOs zeigten Mängel in den Nachhaltigkeitsangaben und einen Mangel an Transparenz auf.
«Selbst wenn der Schweizer Fischmarkt durch eine begrenzte Nachhaltigkeitsbrille analysiert wird, können nur etwa 40% der konsumierten Produkte als nachhaltig betrachtet werden. Diese Zahl ist noch gravierender im Gastronomie-Sektor, in dem Nachhaltigkeit eine sehr niedrige Priorität hat», so die Forscher:innen.
Die wichtigste Importquelle für Schweizer Fisch und Meeresfrüchte ist nach wie vor Norwegen, da das Land ein Zentrum der Lachszucht ist.
Laut dem WWF ist die Lachsaquakultur das weltweit am schnellsten wachsende System der Lebensmittelproduktion. Die Ernährungs- und Landwirtschaftsorganisation der Vereinten Nationen (FAO) schätzt die weltweite Produktion von gezüchtetem Atlantiklachs auf 2,72 Millionen Tonnen pro Jahr, vor vier Jahrzehnten waren es noch lediglich 20’000 Tonnen.
«Diese Fischfarmen sind nichts anderes als intensive Landwirtschaft im Meer. Sie schaden der Umwelt und den Tieren massiv», sagte Barbara Wegmann, Konsument:innenexpertin bei Greenpeace Schweiz, in der Pressemitteilung.
Die Verschmutzung durch Fischabfälle und Pestizide gegen Parasiten sowie die Kreuzung entkommener Fische mit Wildlachsen sind einige der negativen Folgen der Lachszucht. Laut Vanessa Jaiteh, Forscherin für Nachhaltigkeit bei Meeresfrüchten an der Universität Bern, werden in Aquakulturen gezüchtete Lachse oft mit Antibiotika behandelt und weisen Antibiotikaresistenzen auf. Dies gilt auch für die meisten Aquakulturen in Südostasien, was Schweizer Fischliebhaber:innen beunruhigen sollte. Vietnam ist hierzulande die zweitgrösste Importquelle. Eine Umfrage zwischen 360 Fischfarmen und 360 Garnelenfarmen in Nord-, Zentral- und SüdvietnamExterner Link ergab, dass im Jahr 2021 Antibiotika in 64% der Fischfarmen und 24% der Garnelenfarmen in grossem Umfang eingesetzt wurden.
«Die Leute machen sich wegen Mikroplastik Sorgen, aber nicht über den Lachs voller Antibiotika an ihrem Weihnachtsessen», sagte Jaiteh gegenüber SWI swissinfo.ch.
Weniger bekannt ist, dass die Zuchtlachsindustrie auch Menschen auf der anderen Seite der Welt betrifft.
«Norwegen füttert seine Fische mit kleinen pelagischen Fischen aus Ländern wie Mauretanien oder Senegal und beraubt die Einheimischen damit einer billigen Proteinquelle», sagt Jaiteh.
Die Fischmehl- und Fischölkonzerne verursachen mit ihren Abfällen Umweltschäden und machen trotzdem gute Geschäfte mit lokalen Regierungen, die ein Auge zudrücken.
Entscheidungen der Konsument:innen
«Konsument:innen achten zuerst auf den Preis, dann auf die Region, aus der der Fisch kommt, und dann vielleicht noch auf das Etikett», sagt Jaiteh.
Aber auch diejenigen, die sich für heimischen Fisch entscheiden und hoffen, eine nachhaltige Wahl zu treffen, werden getäuscht.
«In der Schweiz gezüchteter Lachs stammt aus Eiern, die aus Island importiert wurden. Es wird viel graue Energie verbraucht, um dem Lachs die nötige Umgebung zum Wachsen zu geben», sagt Jaiteh.
Auch Etiketten können täuschen. So kann beispielsweise auf einer Dose Thunfisch stehen, dass der Fisch mit «Angel und Leine» gefangen wurde. Dies bedeutet, dass ein Fischer eine Angelrute benutzt hat, um einen Fisch nach dem anderen an die Angel zu holen. Ein Blick auf das Kleingedruckte verrät jedoch, dass die Fische mit «Langleinen» gefangen wurden, eine Angelschnur, die mehrere Dutzend Kilometer lang sein kann und an der Tausende von Haken befestigt sind.
«Ja, die Schweiz verlangt, dass die Fangmethode angegeben wird, aber die Kategorien sind zu weit gefasst und die Formulierung zu unklar», sagt Jaiteh.
Probleme gibt es auch mit Nachhaltigkeitslabels wie dem Marine Stewardship Council (MSC) und dem Aquaculture Stewardship Council (ASC). Der MSC erlaubt zum Beispiel den Fischfang mit SupertrawlernExterner Link, die Netze verwenden, die bis zu 13 Jumbojets fassen können, den Meeresboden beschädigen und für viel Beifang verantwortlich sind. Letztes Jahr wurde der ASC von über 40 zivilgesellschaftlichen Gruppen kritisiertExterner Link, weil er die Nachhaltigkeit eines Drittels des Lebens eines «verantwortungsvoll gezüchteten» Lachses zwischen Brutanstalt und Endstadium in der Zucht nicht bewertet hat.
«Die Informationen sind nicht schwer zu beschaffen. Das Problem ist, dass so viele Leute davon profitieren, diese nicht preiszugeben», sagt Jaiteh.
Laut der Forscherin müssen sich die Konsument:innen informieren. Da aber die meisten Menschen nur wenige Fischarten wie Lachs oder Thunfisch essen, sei es besser, sich auf diese Arten zu konzentrieren. Die Forscherin hat einige Tipps, um die schlechtesten Praktiken der Fischerei- und Aquakulturindustrie nicht zu unterstützen.
- Essen Sie keine Haie oder Rochen. Ihr Fang ist selten nachhaltig und sie haben oft einen hohen Quecksilbergehalt.
- Schwertfisch ist riskant; einige Bestände sind bedroht, andere erholen sich von jahrzehntelanger Überfischung. Im Allgemeinen ist Schwertfisch, der in kanadischen oder US-amerikanischen Gewässern mit der Handleine oder Harpune gefangen wird, in Ordnung; für andere Regionen und Fanggeräte konsultieren Sie den WWF FischratgeberExterner Link.
- Wenn Sie Lachs kaufen, dann wählen Sie entweder wild gefangenen aus dem Pazifik und nicht aus dem Atlantik, wo er überfischt wird, oder kaufen Sie zertifizierten Bio-Zuchtlachs. Noch besser ist es, eine nachhaltige Alternative zum Lachs zu wählen, zum Beispiel Regenbogenforelle. Diese wird in der Schweiz in Quellwasser gezüchtet.
- Wenn Sie Meerestiere aus Aquakultur kaufen, sollten Sie sich für Bio entscheiden und nicht für ein Label wie ASC.
- Wenn Sie ein Thunfischsandwich möchten, wählen Sie Thunfisch aus dem West- oder Zentralpazifik, der mit Angeln gefangen wurde.
Mässigung ist eine weitere Möglichkeit, die Auswirkungen auf die globalen Fischbestände zu verringern.
«Wir in der Schweiz können andere Dinge essen. Die Küstengemeinden sollten in der Lage sein, Fisch auf ihrem Teller zu haben», sagt Jaiteh.
Angesichts der Tatsache, dass Fleisch in der Schweiz 2,3-mal teurer ist als in der Europäischen Union (im Vergleich zum 1,82-fachen für Fisch) und der Neigung der Einzelhändler, Lachsfilets mit Preisnachlässen zu versehen, wird es für die Schweizer Konsument:innen schwer sein, einem Schnäppchen zu widerstehen.
Dieser Artikel ist Teil unserer Berichterstattung über die Entwicklungen in der Lebensmittelindustrie aus Sicht der Konsument:innen. Trotz ihrer geringen Grösse ist die Schweiz bedeutend im globalen Lebensmittelmarkt. Sie beherbergt Lebensmittel- und Agrargiganten wie Nestlé und Syngenta sowie wichtige Akteure in den Bereichen Schokolade und Milchprodukte.
Das Land positioniert sich auch als Food-Tech-Hub mit vielen Start-ups und einem eigenen Inkubator in Form des Swiss Food and Nutrition Valley im Kanton Waadt.
Die Schweiz ist auch eine europäische Drehscheibe für viele Rohstoffunternehmen, die mit Lebensmitteln wie Soja, Kakao, Kaffee und Palmöl handeln.
Übertragung aus dem Englischen von Claire Micallef
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