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Das schreckliche Ende des Täufers Felix Manz

Felix Manz wird zum Tod durch Ertränken im Fluss Limmat verurteilt
Felix Manz wurde zum Tod durch Ertränken im Fluss Limmat verurteilt. Ein symbolisches Ende für einen, der das Wasser der Taufe in den Mittelpunkt seines Glaubens gesetzt hatte. Heinrich Thommann, Abschrift Bullingers Reformationschronik, 1605


Dichtgedrängt stehen die Zürcher und Zürcherinnen auf beiden Seiten der Limmat und verfolgen die makabre Szene, die sich mitten im Fluss abspielt. Felix Manz kauert mit gefesselten Händen und Füssen auf der Plattform des Fischerhäuschens und singt lauthals den Psalm «In Deine Hände, Herr, übergebe ich meinen Geist.» Von einem Nachen aus redet ein Prediger wortreich auf ihn ein, während ein Scharfrichter mit aller Kraft am Seil zieht, das er dem zum Tod Verurteilten um den Hals geknüpft hat. Verzweifelte Rufe gellen über das Wasser. Es ist die Mutter von Manz, die ihm vom Ufer aus zuruft, er solle standhaft im Glauben bleiben.

Niemand hat mit diesem schrecklichen Ende gerechnet. Felix Manz war ursprünglich ein Vertrauter von Huldrych Zwingli und arbeitete mit ihm an einer Neuübersetzung der Bibel. Doch bald traten die Gegensätze offen zutage. Manz und seine Freunde warfen Zwingli vor, er verschleppe die Reformation und arrangiere sich mit der Obrigkeit.

Sie waren jung und radikal, doch im Grunde genommen taten sich nichts anderes, als das, was Zwingli selbst gepredigt hatte: Sie nahmen die Heilige Schrift als alleinige Richtschnur für ihren Glauben und ihr Handeln. So bestritten sie unter anderem die Existenz des Fegefeuers und forderten die Abschaffung der heiligen Messe sowie der Kindertaufe, weil diese in der Bibel nirgends erwähnt seien.

Am 17. Januar 1525 kreuzten Zwingli und seine radikalen Widersacher erstmals öffentlich die Klingen. Eine Taufe, so behaupteten Manz und seine Glaubensgenossen, mache nur Sinn, wenn die Getauften «den Glauben selber bekennen können». Zwingli bestritt das, und die Zürcher Regierung schlug sich auf seine Seite. Sie ordnete an, alle bis anhin ungetauften Kinder seien innert Wochenfrist zu taufen, sonst müssten die Eltern das Gebiet von Zürich verlassen.

Vier Tage später belegte sie die Anhänger der Erwachsenentaufe mit einem Redeverbot. Am selben Abend fanden im Haus der Familie Manz die ersten Erwachsenentaufen auf Zürcher Boden statt. Es war wohl eine bewusste Protestaktion, ähnlich dem Wurstessen, mit dem Zwingli und seine radikalen Freunde die Reformation in Zürich eingeläutet hatten – nur dass der Reformator dieses Mal auf Seiten der Obrigkeit stand.

Regula Bochsler steht an einem Pult
Regula Bochsler hat an der Universität Zürich Geschichte und Publizistik studiert. Von 2004 bis 2011 leitete sie die TV-Sendung Kulturplatz des Schweizer Fernsehens und realisierte diverse Ausstellungen. Bochsler verfasste auch diverse Publikationen, darunter: «The Rendering Eye. Urban America Revisited» (2013), «Ich folgte meinem Stern. Das kämpferische Leben der Margarethe Hardegger» (2004), «Leaving Reality Behind. etoy vs eToys.com & other battles to control cyberspace» (2002). zvg

Der frisch getaufte Felix Manz begann sofort, öffentlich für die Erwachsenentaufe zu werben. Zehn Tage später wurde er verhaftet, und Zwingli versuchte, ihn zum Einlenken zu bewegen. Doch Manz blieb stur. Als es ihm gelang, aus dem Gefängnis zu fliehen und sich ins Bündnerland abzusetzen, missionierte er weiter.

Ein paar Monate später wurde er wieder verhaftet und nach Zürich überführt. Er sei «ein eigensinniger und widerspenstiger Mensch,» meldeten die Churer Behörden, nicht einmal die Androhung der Todesstrafe habe ihn davon abhalten können, Erwachsene zu taufen.

Die Agitation der Täufer wurde immer dreister. Besonders unter den Bauern hatten sie regen Zulauf, denn diese erhofften sich von der wörtlichen Auslegung der Bibel eine Verbesserung ihrer sozialen Stellung und die Abschaffung der drückenden Steuerlast.

Im Sommer 1525 kam es zu einem Bussgang durch Zürich, bei dem die Täufer Zwingli als satanischen Drachen verunglimpften, der die Welt verführe. Sie klagten lauthals: «Wehe, wehe! Wehe, Zürich!» Die Täufer sorgten für so viel Unruhe, dass die Zürcher Obrigkeit anfangs November 1525 eine dreitägige gelehrte Disputation über die Erwachsenentaufe veranstaltete, von der sie sich erhofften, dass sie das Problem aus der Welt schaffen werde. Der Andrang war so gross, dass die Veranstaltung ins Grossmünster verlegt werden musste.

Felix Manz, den man eigens aus dem Gefängnis geholt hatte, verteidigte seine theologische Position gegen Zwingli. Die Nerven lagen blank. Ein Täufer aus Zollikon verlangte «mit grossem Geschrei», Zwingli solle endlich die Wahrheit bekennen, worauf dieser ihn als «groben, ungeschickten, aufrührerischen Bauern» massregelte. Schnell zeigte sich, dass die Täufer auf verlorenem Posten standen.

Als Manz sich weigerte, von seinem Standpunkt abzurücken, wurde er, zusammen mit anderen Glaubensbrüdern, in den Hexenturm geworfen. Nach einem Winter bei Wasser und Brot verurteilte ihn ein Gericht anfangs März 1526 zu lebenslanger Haft. Fast gleichzeitig erliess die Regierung ein Gesetz, das rückfälligen Täufern mit der Todesstrafe drohte.

Jagd auf Täufer im Zürcher Oberland
Jagd auf Täufer im Zürcher Oberland. Heinrich Thommann, Abschrift Bullingers Reformationschronik, 1605

Spektakuläre Flucht

Zwei Wochen später gelang Felix Manz eine spektakuläre Flucht. Zusammen mit dreizehn männlichen und sieben weiblichen Mitgefangenen kletterte er durch ein Loch in der Zellendecke und seilte sich über die Aussenmauer des Gefängnisturms ab. Wieder zog er predigend und taufend durchs Land, bis er anfangs Dezember erneut verhaftet und vor Gericht gestellt wurde.

Dieses verurteilte ihn «wegen seines aufrührerischen Wesens» und «seiner Zusammenrottung gegen die Obrigkeit» zum Tod durch Ertränken, eine Hinrichtungsart, die als besonders schändlich galt, weil sie eigentlich Frauen vorbehalten war.

Mit 20 Mitgefangenen gelang Manz die Flucht aus dem so genannten Hexenturm
Mit 20 Mitgefangenen gelang Manz die Flucht aus dem so genannten Hexenturm. Heinrich Thommann, Abschrift Bullingers Reformationschronik, 1605

Am 5. Januar 1527 wird Manz vom Scharfrichter in die eiskalte Limmat gezerrt, wo er elendiglich ertrinkt. Kurz vor der Hinrichtung schrieb er im Gefängnis: «Solches tun die falschen Propheten und Heuchler dieser Welt, die mit eben demselben Munde fluchen und auch zugleich bitten, deren Leben unordentlich ist, die die Obrigkeit anrufen, dass sie uns töten solle, womit sie das Wesen Christi vernichten.»

1983 entschuldigt sich die reformierte Kirche erstmals für das Leid, das sie den Täufern zugefügt hat. Seit 2004 erinnert eine Gedenktafel am Ufer der Limmat an Felix Manz und seinen Glaubensbruder Hans Landis, der auf dem Zürcher Fischmarkt enthauptet wurde.

Hinrichtung zweier anderer Täufer. Heinrich Thommann, Abschrift Bullingers Reformationschronik, 1605

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