Die Renteninitiative – unpopulär oder visionär? Die Rente mit 66 kommt an die Urne
Erneut steht das Rentenalter im Zentrum einer eidgenössischen Abstimmung. Am 3. März stimmt die Schweiz über eine Initiative der Jungfreisinnigen ab, die das Rentenalter erhöhen und an die Lebenserwartung koppeln will. Die Antworten auf die wichtigsten Fragen.
Etwas mehr als ein Jahr nachdem die Schweizer Stimmberechtigten der Erhöhung des Rentenalters für Frauen von 64 auf 65 Jahre zugestimmt haben, werden sie am 3. März an der Urne darüber entscheiden, ob das Rentenalter für alle auf 66 Jahre angehoben werden soll.
Bei einer Annahme der Vorlage würde die Schweiz dem Trend in den Ländern der Organisation für wirtschaftliche Zusammenarbeit und Entwicklung (OECD) folgen, wo das durchschnittliche Rentenalter bis 2060 schrittweise auf 65,7 Jahre für Frauen und 66,1 Jahre für Männer ansteigen wird, wie aus einer PublikationExterner Link der Organisation hervorgeht.
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Warum wird erneut über das Rentenalter abgestimmt?
Am 1. Januar 2025 wird das Rentenalter für Frauen in der Schweiz erhöht. Es wird in vier Schritten auf 65 Jahre angehoben.
Diese Änderung ist Teil der Reform der Alters- und Hinterlassenenversicherung (AHV), der ersten Säule des schweizerischen Rentensystems. Einer Reform, die im September 2022 vom Volk in einer eidgenössischen Abstimmung angenommen wurde.
Nur ein paar Monate nach der Zustimmung an der Urne steht das Thema erneut auf der Traktandenliste. Diesmal wird das Volk über eine eidgenössische Volksinitiative abstimmen, die im Juli 2021 von den Jungfreisinnigen eingereicht wurde.
Der Initiativtext «Für eine sichere und nachhaltige Altersvorsorge» sieht vor, das Rentenalter für Frauen und Männer bis 2033 stufenweise auf 66 Jahre zu erhöhen.
In einem zweiten Schritt soll es an die Lebenserwartung gekoppelt werden, d.h. es soll automatisch erhöht werden, wenn die Lebenserwartung steigt und umgekehrt.
Konkret soll das Renteneintrittsalter um 80% des Anstiegs der Lebenserwartung angehoben werden. Das bedeutet, dass bei einem Anstieg der Lebenserwartung um einen Monat das Renteneintrittsalter um 0,8 Monate angehoben wird.
Die Befürworter:innen der Initiative gehen davon aus, dass die Menschen etwa 20% ihres Lebens im Ruhestand verbringen können. Nach dieser Formel würde, gemäss Prognosen, die Rente mit 67 ab 2043 und die Rente mit 69 ab 2070 gelten.
Auch wenn die Junge FDP die Idee aufgegriffen hat, ist dieser Ansatz zur Lösung des Rentenfinanzierungsproblems nicht neu.
Die Bürgerlich-Demokratische Partei (BDP) hatte die automatische Anpassung des Rentenalters an die Lebenserwartung bereits 2012 in einer Motion vorgeschlagen, die jedoch vom Ständerat abgelehnt wurde.
Wie würde sich die Initiative auf die Finanzen der AHV auswirken?
Die AHV schloss das Jahr 2022 mit einem Gewinn von 1,6 Milliarden Franken und einem Vermögen von 47 Milliarden Franken ab. Ihre Finanzen sind heute stabil.
Dies ist zum Teil auf die Massnahmen der 2022 verabschiedeten Reform AHV 21 und der 2019 verabschiedeten Steuerreform und AHV-Finanzierung (STAF) zurückzuführen, welche die Ausgaben gesenkt und die Einnahmen erhöht haben.
Mittelfristig ist die Finanzierung der Renten jedoch nicht gesichert, da die Altersvorsorge mit strukturellen Problemen konfrontiert ist.
Zum einen wächst die Zahl der Rentenbeziehenden schneller als die Zahl der Erwerbstätigen. Zum anderen müssen die Renten aufgrund der steigenden Lebenserwartung über einen längeren Zeitraum ausbezahlt werden.
Gemäss den PrognosenExterner Link des Bundesamtes für Sozialversicherungen (BSV) wird die AHV ab 2031 defizitär sein.
Eine Erhöhung des Rentenalters auf 66 Jahre, wie sie die Initiative fordert, würde laut BSVExterner Link bis 2030 rund zwei Milliarden Franken einsparen. Damit wäre die Finanzierung der Renten bis mindestens 2033 gesichert.
Welches sind die Hauptargumente für die Initiative?
Die Jungfreisinnigen sind der Meinung, dass die erste Säule dringend und nachhaltig saniert werden muss, um einen Kollaps des Vorsorgesystems zu verhindern.
Sie präsentieren ihren Text als Lösung, um die Finanzierung der AHV langfristig zu sichern, ohne die Renten zu kürzen oder Steuern und Abgaben zu erhöhen.
Die Koppelung des Rentenalters an die Lebenserwartung, so die Befürworter:innen der Initiative, würde das Thema entpolitisieren, da ein automatischer Mechanismus zur Anpassung des Referenzalters eingeführt würde.
Da wir länger leben, müssen wir auch länger arbeiten, um unsere Renten zu finanzieren, so die Jungfreisinnigen. Sie weisen darauf hin, dass andere westliche Länder bereits solche Massnahmen ergriffen haben.
Was sind die Hauptargumente gegen das Gesetz?
Die Regierung verweist darauf, dass die Finanzierung der Renten derzeit für die nächsten zehn Jahre gesichert ist.
Zwar müssten Massnahmen ergriffen werden, um die Finanzierung der ersten Säule langfristig zu sichern, doch der Bundesrat arbeitet bereits an einer Vorlage zur Stabilisierung der AHV für die Jahre 2030 bis 2040, die er dem Parlament 2026 vorlegen muss.
Das demografische Problem, mit dem die Altersvorsorge konfrontiert ist, kann nach Ansicht des Bundesrates nicht allein durch eine Erhöhung des Rentenalters gelöst werden. Seiner Ansicht nach müssen weitere Massnahmen ergriffen werden; darunter auch eine Zusatzfinanzierung.
Auch der Vorschlag, das Rentenalter an die Lebenserwartung zu koppeln, stösst bei den Schweizer Behörden auf wenig Gegenliebe.
Nach Ansicht der Regierung würde ein solcher Automatismus die tatsächliche Situation auf dem Arbeitsmarkt – insbesondere für ältere Menschen – und die soziale Situation nicht ausreichend berücksichtigen.
Schliesslich wäre ein solcher Automatismus auch nicht mit dem politischen System der Schweiz vereinbar. Eine Verankerung des Rentenalters in der Bundesverfassung würde dem Bundesrat, dem Parlament und dem Volk den Spielraum nehmen, andere Kriterien zu berücksichtigen.
Wer ist dafür, wer dagegen?
Die FDP sowie die SVP unterstützen die Initiative der Jungfreisinnigen. Die anderen Bundesratsparteien lehnen sie ab.
Auch der Bundesrat und eine grosse Mehrheit des Parlaments empfehlen, die Initiative abzulehnen. Wenig überraschend befürwortet die Wirtschaft die Initiative, während die Gewerkschaften sie ablehnen.
Wie sieht es in anderen Ländern aus?
Gemäss einem BerichtExterner Link des Eidgenössischen Departements des Innern (EDI) haben sich einige europäische Länder für mehr oder weniger automatische Mechanismen zur Anpassung des Rentenalters an die Lebenserwartung entschieden.
Dazu gehören Schweden, Dänemark, Finnland, Portugal, Italien, die Niederlande, Griechenland, Bulgarien und Estland.
Die eingeführten Systeme weisen jedoch in jedem Land unterschiedliche Merkmale auf. Ausserdem gibt es bisher nur wenige Erfahrungen, so dass noch keine Schlussfolgerungen gezogen werden können.
Portugal und Italien sind die einzigen Länder, in denen das Renteneintrittsalter tatsächlich durch einen automatischen Mechanismus angehoben wurde.
In Portugal wurde es nur um wenige Monate angehoben und liegt derzeit bei 66 Jahren und vier Monaten. In Italien hingegen hat die Einführung des automatischen Mechanismus den Weg für eine deutliche Anhebung des Renteneintrittsalters von 60 Jahren im Jahr 2012 auf derzeit 67 Jahre geebnet.
Editiert von Samuel Jaberg, aus dem Französischen übertragen von Michael Heger
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