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Die Rückkehr der Schweizer Käser zu ihren Wurzeln

Christian Simmen (rechts) von der Sennerei Nufenen exportiert seinen Käse auch erfolgreich nach Deutschland. Sennerei Nufenen / Nadja Simmen

Emmentaler, Tilsiter, Sbrinz: Die Tage dieser traditionellen Schweizer Käsesorten könnten gezählt sein, glauben Experten. Der Grund sind Billigkäse und bröckelnde Markenidentität. Findige Hersteller nutzen die Situation und haben mit Nischenprodukten Erfolg.

Emmentaler, Tilsiter und Sbrinz würden vom Auslandmarkt verschwinden, falls sich diese Käsesorten nicht stärker von der Konkurrenz abheben und den negativen Exporttrend kehren könnten. Diese Warnung machten Marketingfachleute kürzlich in der Schweizer Landwirtschaftszeitung Der Landfreund.

Infolge der Wirtschaftskrise nach 2008/09 kamen die Preise in Deutschland, Frankreich und Italien, dendrei grössten Abnehmern von Schweizer Käse im Ausland, gehörig unter Druck.

Nehmen wir den Emmentaler, ein Klassiker, der gar zum Klischee geworden ist. Produzenten würden den Markt mit jungem, nur vier Monate gereiftem Käse überschwemmen, sagt Konrad Heusser von der Schweizer Käseexportfirma Mundig. Aber bei so jungem Käse sei der Unterschied bezüglich Geschmack nicht gross, weshalb die Differenz nur im Preis bestehen könne. «Aber die Konsumenten im Ausland verstehen die Geschichte eines solchen Produktes nicht mehr», sagt Heusser.

Unter dem Label «Swiss cheese» sind heute weltweit unzählige Emmentaler-ähnliche Käsesorten auf dem Markt. Selbst Emmi, der Riese unter den Schweizer Milchverarbeitern, stellt «Swiss cheese» her. Im US-Staat Wisconsin beispielsweise aber kostet ein lokal hergestellter Greyerzerkäse einen Drittel weniger als das importierte Schweizer Original. Stagnierende oder sinkende Exportzahlen für gewisse Schweizer Marken sprechen eine deutliche Sprache.

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Wie aber soll ein Schweizer Produzent mit seinem teureren Käse auf dem Weltmarkt gegen die globale Konkurrenz bestehen können? Er müsse die anspruchsvollen Kunden ernst nehmen, lautet der Ratschlag von Philippe Bobin, der Brie de Meaux herstellt, einen französischen Weichkäse, der seinen Namen von der östlich von Paris gelegenen Stadt hat. «Die Kunden können sehr wohl unterscheiden», sagt der Franzose. «Technologie hat ihre Grenzen. Brie kann man industriell in rauen Mengen herstellen. Aber wenn man ihn nicht von Hand bearbeitet, hat man am Schluss nicht dasselbe Produkt.»

Bobin hat deshalb mit Berufskollegen die «Bruderschaft des Brie de Meaux» gegründet, eine alte und lokal stark verankerte Organisation, die sich der Zelebrierung der handwerklichen und traditionellen Wurzeln des Käsemachens verschrieben hat. Ihr Ziel: Die Tradition rund um diesen Weichkäse zu bewahren und seine Geschichte als sorgfältiges, handgemachtes Produkt mit langer Geschichte in die Welt hinaus zu tragen.

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«In Frankreich hat es immer noch kleine Produzenten, die ihre Identität bewahrt haben, und genau da liegt der Unterschied», so Bobin. «Weil sie auf dem neuesten Stand sind, haben sie sich in der Region einen guten Namen gemacht. Darin besteht ihre Attraktivität.»

Die Schweiz dagegen fokussiere in der Vermarktung auf das Label «Schweizer Käse». «Dies ist aber eine zu starke Vereinfachung, mit der man die lokale Identität verliert», sagt der französische Käseexperte.

Beispiel Appenzeller

«Die Franzosen sind unglaubliche Käse-Chauvinisten», lacht Heusser. Weil sie mehrheitlich nur französischen Käse essen würden, sei der Markt für den Schweizer Export sehr eng. Dennoch ist Heusser überzeugt, dass sich Schweizer Produzenten ein Stück des Kuchens sichern könnten. Voraussetzung dazu sind laut dem Schweizer Fachmann aber Produkte, die sich vom Markt abheben.

Genau diesen Weg haben die Vermarkter des Appenzellers eingeschlagen. In der Werbung spielt das Geheimnis um die Rezeptur des «würzigsten Schweizer Käses» eine zentrale Rolle. Die Kampagne mit dem Schauspieler Uwe Ochsenknecht zielt explizit auf den deutschen Markt. In einer topmodernen Schaukäserei können die Besucher zudem die Einbettung des Produktes in die urchige Ostschweizer Landschaft live erleben – und natürlich den Käse kaufen.

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Aber den ganz grossen Schritt nach vorn hat die Strategie den Appenzeller-Herstellern noch nicht gebracht. Nach Höhenflügen in den Jahren davor fielen die Appenzeller-Exporte 2012 gar auf den tiefsten Stand seit 2008 zurück.

Der Parmesan-Krieg

In Italien setzen die Exporteure des Parmigiano Reggiano voll auf das Argument der lokalen Herstellungsketten. Weil dort der Inlandmarkt voll gesättigt ist und zudem die Wirtschaft schlecht läuft, gingen die Vermarkter des Parmesans, dies ist ein harter Reibkäse, konsequent in den Export. Mit Erfolg, hat sich doch der Parmesan heute auf der internationalen Käseplatte etabliert.

Aber wie die Schweizer Kollegen kämpfen auch die Parmigiano-Hersteller mit billigeren Nachahmerprodukten. «Das Problem ist sehr ernst, aber die Gesetze zum Schutz der Marken haben sich bewährt», sagt Vermarkter Igino Morini vom Käsekonsortium Parmigiano-Reggiano.

Heute ist das Label durch EU-Gesetz geschützt, «Parmesan» darf sich ein Käse nur nennen, wenn es sich um echten Parmigiano Reggiano handelt.

Ausserhalb Europas aber ist ein solcher Schutz schwieriger. In den USA etwa ist «Parmesan» ein genereller Begriff, obwohl das italienische Konsortium versucht, das Label auch dort zu schützen. Dasselbe gilt für China. Weil sich dortige Konsumenten nicht mit Milchprodukten auskennen, spielt für sie nur der Preis eine Rolle. Und so kaufen sie Parmesan von mittelmässiger Qualität aus Neuseeland statt des echten italienischen Parmigiano Reggiano.

Das Glück vor der Haustüre

Endet der Rechtsstreit ausserhalb Europas nicht mit dem gewünschten Erfolg, hingen die Exporterfolge von der Information der Konsumenten ab, so Morini. Denn diese müssten über die Einzigartigkeit des Hartkäses aufgeklärt werden. Das könne mit Direktkampagnen in Grossmärkten und anderen Verkaufsläden geschehen.

Obwohl er ein paar Etagen tiefer operiert, ist Christian Simmen von der Sennerei Nufenen, einer Käsereigenossenschaft im Kanton Graubünden, auf eine ähnliche Strategie gekommen. Speziell in Deutschland hat er damit Erfolg. Bis vor zehn Jahren produzierte die Käserei für den Schweizer Heimmarkt, indem sie Emmi und andere Verteiler belieferte. Dann begannen Simmen und seine Leute Schritt für Schritt mit dem Aufbau einer eigenen Produktelinie, grösstenteils für den Export. Der macht heute 60% der Produktion aus, nur noch 40% sind für Emmi bestimmt.

«Wir gingen in eine spezielle Nische und begannen sehr klein», erzählt Simmen. «Wir stellen biologische Produkte her, die alle regional verankert sind. Das ganze Marketing und die mit dem Käse verbundene Geschichte fussen darauf, dass unsere verarbeitete Milch aus den Bündner Alpen kommt.» Das kommt offenbar an, denn die Exporte legen jedes Jahr zu.

Konrad Heusser kennt eine ganze Anzahl weiterer Käsereien, die allesamt nach ähnlichem Muster von Simmens Sennerei Nufenen vorgehen: Ein namhafter Anteil geht an ein grösseres Label oder an einen grossen Abnehmer. «Daneben aber produziert fast jeder Hersteller einen speziellen Käse, der sehr lokal oder dann aber auf dem internationalen Markt verkauft wird.»

«Es ist nie zu spät!»

Heusser arbeitet etwa mit einem Produzenten von Appenzeller zusammen, der noch einen ähnlichen Käse herstellt. Dieser weist aber einen höheren Anteil an Rohmilch sowie eine längere Reifezeit auf. «Dieser Käse verkauft sich insbesondere in den USA extrem gut», so Heusser, «wir können der Nachfrage gar nicht nachkommen.»

Solche Erfolgsgeschichten erfüllen Heusser mit Optimismus über die Zukunft des Schweizer Käsemarktes, geht doch das kleine Exportplus 2012 auf handgemachte Nischenprodukte wie den erwähnten Biokäse zurück.

Dies bekommen natürlich auch die Hersteller des trudelnden Emmentalerkäses mit. Seit dem Sommer 2013 ist eine Begrenzung der Produktionsmenge für Emmentaler in Kraft, auf deren Grundlage die Käsereien ihre Produktion halbieren mussten. Damit soll der Emmentaler einerseits einmaliger werden, andererseits soll verhindert werden, dass der Markt mit Durchschnittsware überschwemmt wird.

Das Emmentaler-Label hat auch grosse Anstrengungen unternommen, um ein jüngeres Schweizer Publikum anzusprechen. Dafür wurden spezielle Käsesorten für das Eidgenössische Schwingfest von letztem Sommer und andere Events hergestellt.

Aber kommen solche Initiativen nicht zu spät, um die traditionellen Käsesorten zu retten, die für Jahrzehnte die Basis der Schweizer Käseexporte ausmachten? Das Beispiel aus Frankreich sollte Mut machen.

«Ich glaube, dass es nie zu spät ist», sagt Philippe Bobin. «Man muss die Herkunft der Milch verkaufen, die Berge, wo der Käse herstammt. Man muss auch saisonale Faktoren oder die Kühe berücksichtigen, welche die Milch geben. Man muss erklären, was den Unterschied des Produkts ausmacht. Und vor allem diesen Unterschied kommunizieren.»

(Übertragung aus dem Englischen: Renat Kuenzi)

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