Die Schweiz, Dreh- und Angelpunkt des Goldes
Ein Grossteil des Goldes, das weltweit verarbeitet wird, kommt auf seinem Weg einmal durch die Schweiz, meistens durch den Kanton Tessin. Vier der wichtigsten Affinerien des gelben Edelmetalls haben ihren Sitz in der Schweiz.
In den Ohren der Fans von James-Bond-Filmen vermögen sie vermutlich häufig die Noten der Titelmelodie von «Goldfinger» auszulösen. Andere stellen sich Dagobert Duck vor, wie er in seinem Geldspeicher ein Bad in Goldmünzen nimmt.
Wie anders soll man sich die grossen Mengen von Gold vorstellen können, die jedes Jahr in der Schweiz verarbeitet werden?
2011 wurden über 2600 Tonnen rohes Gold in die Schweiz importiert, die insgesamt einen Wert von 96 Milliarden Franken hatten. Ein neuer Mengenrekord.
Noch vor zehn Jahren (2002) waren es lediglich 1209 Tonnen gewesen. In diesen Zahlen noch nicht dabei ist jenes Gold, das durch die Zollfreilager der Schweiz geht.
Um sich der Bedeutung der Schweiz in den Bereichen der Goldverarbeitung und des Goldhandels bewusst zu werden, braucht es eine zweite Zahl: 2700 Tonnen. So viel Gold wurde laut dem US-Geological Survey 2011 weltweit aus allen Minen geschürft.
Zwei Drittel des weltweiten Goldes
Wenn man zu dieser Zahl noch all das privat weiterverkaufte Gold und jenes aus illegalem Abbau (das nicht in den offiziellen Statistiken erscheint) dazu zählt, kann geschätzt werden, dass ungefähr zwei Drittel des weltweit vorhandenen Goldes den Weg durch die Schweiz nehmen.
Frédéric Panizzutti bestätigt diese Einschätzung: «Durchschnittlich werden etwa 70 Prozent des weltweiten Goldes in der Schweiz verarbeitet», sagt der Sprecher der Genfer MKS (Switzerland) SA, die sich auf den Goldhandel spezialisiert hat und die Edelmetall-Affinerie Pamp im Tessiner Castel San Pietro besitzt.
Und er fügt noch eine weitere bemerkenswerte Zahl an: «Unter den mehreren Dutzend Verarbeitungsbetrieben, die zur ‹Good Delivery List› gehören (A.d.R.: Qualitäts-Zertifizierung der London Bullion Market Association (LBMA), die den Goldhandel koordiniert), laufen 90 Prozent des Volumens durch sechs Betriebe. Vier von ihnen befinden sich in der Schweiz.»
Höchstwahrscheinlich wurde also jener kleine Goldbarren, den Sie in einer Kassette im Schreibtisch aufbewahren, oder der Goldring an Ihrem Finger aus Gold von Valcambi in Balerna, Pamp in Castel San Pietro, Argor-Heraeus in Mendrisio oder Metalor in Neuenburg gefertigt.
Sicherheit, Qualität, Tradition
Wie hat es die Schweiz geschafft, in diesem Bereich eine derart wichtige Rolle zu erlangen? «Die Antwort ist einfach», sagt Panizzutti: «Die Eidgenossenschaft bietet ein ausserordentliches Sicherheitsniveau und ein effizientes Logistik- und Finanzsystem. Für den Edelmetall-Bereich sind das extrem wichtige Faktoren.»
Die Schweiz stehe zum Gold in ähnlicher Weise wie die französische Region Bordeaux zum Wein, sagt Gilles Labarthe, Journalist und Autor des Buches «L’or africain: Pillages, trafics et commerce international» (Das afrikanische Gold: Plünderungen, Schmuggel und internationaler Handel).
«Neben der langen historischen Tradition finden sich in der Schweiz alle nötigen Infrastrukturen und Dienstleistungen. Nicht zu vergessen, dass der Goldmarkt in Zürich extrem wichtig ist und dass die Goldminenindustrie-Lobby (World Gold Council) ihren Sitz bis vor einigen Jahren in Genf hatte.»
Der gute Ruf der Marke «Swiss Made» als Synonym für Qualität sei besonders beim Gold gerechtfertigt. «Gold wird gemäss den Regeln der ‹4 nines›, das heisst auf einen Reinheitsgrad von 999,9 Promille affiniert. Das ist eine aussergewöhnliche Reinheit. Einen Barren zu besitzen, der in der Schweiz affiniert wurde, gilt fast überall als Qualitätsgarantie», sagt Labarthe.
Aus einer Affinerie kämen aber nicht nur Goldbarren, sondern auch halbfertige Produkte, Geldstücke und Medaillen, deren Herstellung eine hohe Präzision bedürfe, ergänzt Panizzutti.
«Die Schweiz hat es immer geschafft, bei der Qualität an der Spitze zu bleiben, und es gibt keinen Grund, weshalb sich das ändern sollte.» Der MKS-Sprecher sieht dabei auch Parallelen zwischen den Goldaffinerien und der Uhrmacherkunst «Made in Switzerland».
Es sei daher kein Zufall, dass sich drei der fünf Affinerien, denen die LBMA den Status eines «Schiedsrichters» verliehen habe, in der Schweiz befinden würden (Pamp, Argor-Heraeus und Metalor). Diese wachen über die Qualitätskontrolle des innerhalb des Verbandes affinierten Goldes.
Tessin führend
Die Schweizer Affinerien sind dabei hauptsächlich Dienstleistungsbetriebe: «Normalerweise erhalten sie das Gold von ihren Kunden und affinieren dieses bis auf einen gewissen Reinheitsgrad», so Panizzutti. «Der Kunde entscheidet dann, ob er das Gold zurückhaben will, es der Affinerie oder auf dem Markt verkauft.»
Wenn man sich die Verteilung der grossen Affinerien in der Schweiz vor Augen führt, fällt sofort auf, dass sie sich nur im Umkreis von wenigen Kilometern befinden. Nur Metalor ist in Neuenburg angesiedelt. Die anderen drei befinden sich im Süden des Kantons Tessin, nur ein paar Kilometer von der Grenze zu Italien entfernt.
Der Grund sei hauptsächlich historischen Ursprungs, heisst es bei Valcambi in Balerna, die dem US-Bergbaukonzern Newmont Mining gehört. «In den 1970er- und 80er-Jahren war Italien weltweit der grösste Produzent von Juwelier- und Uhrmacherwaren, und dieser deckte sich mit Gold aus dem Tessin ein.»
Hauptsächlich Goldbarren
Heute ist es aber nicht mehr die Nachfrage nach Halbfabrikaten für Schmuck und Uhren, welche die Hochöfen heisslaufen lässt. Mit der Finanzkrise hat die Nachfrage nach Goldbarren stark zugenommen.
«Der Goldpreis hat sich in den letzten zehn Jahren vervierfacht», erinnert Frédéric Panizzutti. «Heute spielt dieses Edelmetall eine Schlüsselrolle bei der Bewahrung von Kapital. Je weniger man den Kapitalmärkten traut, umso sicherer scheint das Gold als Versicherung, weil es kein Kreditrisiko birgt. Banknoten kann man so viele drucken, wie man will – mit Gold geht das nicht.»
Laut der Oberzolldirektion wurden 2011 über 2600 Tonnen rohes Gold im Wert von mehr als 96 Mrd. Fr. in die Schweiz importiert. Es war die höchste je registrierte Menge.
Im Vorjahr waren es 2326 Tonnen gewesen, im Wert von 70 Mrd. Fr.
Zwischen 1990 und 2007 lagen die Goldimporte in die Schweiz immer zwischen 1000 und 1600 Tonnen und entsprachen einem Wert von 15,7 (1994) bis 32 Mrd. Fr. (2007).
Sechs Schweizer Verarbeitungsbetriebe gehören zur «Good Delivery List» der London Bullion Market Association, das heisst, sie halten die Standards der in London angesiedelten Organisation ein.
Die Valcambi SA in Balerna, gegründet 1961, gehört dem US-Bergbaukonzern Newmont Mining. Sie verfügt über eine Kapazität von 1400 Tonnen jährlich und beschäftigt 165 Personen.
Die Pamp SA in Castel San Pietro (1977, Besitzerin MKS SA Genf) hat eine Kapazität von 450 Tonnen und beschäftigt 160 Personen.
Die Argor-Heraeus in Mendrisio (1951 – Heraeus Holding GmbH, Commerzbank International SA, Münze Österreich und Argor-Heraeus Management) verfügt über eine Kapazität von 400 Tonnen und beschäftigt 230 Personen in der Schweiz, Deutschland, Italien und Südamerika.
Die Metalor Technologies SA in Neuenburg wurde 1852 unter dem Namen Martin, de Pury & Cie gegründet. Die Gruppe beschäftigt heute 1650 Personen in zahlreichen Ländern. Die jährliche Kapazität beträgt etwa 650 Tonnen.
Neben diesen vier grossen Affinerien gehören auch die Cendres & Metaux aus Biel und die PX Précinox aus La Chaux-de-Fonds zur LBMA. Deren Kapazitäten sind nicht bekannt.
(Quelle: goldbarsworldwide.com)
(Übertragen aus dem Italienischen: Christian Raaflaub)
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