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Die Schweiz ist im Wahlkampf – wo bleibt die Aussenpolitik?

Menschen vor dem Bundeshaus
Feier zu 175 Jahre der schweizerischen Bundesverfassung vor dem Bundeshaus – dafür lassen sich Menschen mobilisieren. © Keystone / Peter Klaunzer

Die Schweiz wählt im Oktober ein neues Parlament. Im Wahlkampf spielen aussenpolitische Themen jedoch praktisch keine Rolle. Wieso eigentlich?

Ende Oktober finden die eidgenössischen Wahlen statt. Das neue Parlament wird anschliessend die Regierung bestimmen – eine Regierung,  auf die in der neuen Legislaturperiode einige aussenpolitische Brocken zukommen: Die Verhandlungen über das Verhältnis zwischen Bern und Brüssel, die allfällige Weiterentwicklung der Neutralitätspolitik mit Blick auf den Krieg in der Ukraine, das weitere Vorgehen der Schweiz im UNO-Sicherheitsrat.

Diese Themen sind im Wahlkampf jedoch nur ein Nebenschauplatz. Parteien und Politiker:innen halten sich mit Äusserungen zurück, öffentliche Diskussionen wie beispielsweise Podien finden wenige statt. Umso mehr mischt sich die Zivilgesellschaft ein, im schweizerischen Milizsystem ein übliches Vorgehen.

Wir haben einer Reihe von Expert:innen die Frage gestellt, ob auch sie diese Ausklammerung der Aussenpolitik feststellen und wie sie zu erklären ist. Das sind ihre Antworten.

Oskar Jönsson
© David Ausserhofer

Oskar Jönsson (Vorstandsmitlied foraus)

Auch ihm ist aufgefallen, dass im Wahlkampf die grossen Themen nur am Rande vorkommen. «Im Parlament machen aussenpolitische Geschäfte einen wichtigen Teil der Arbeit aus. Aber offenbar gelingt es nicht immer, diese dann in die Öffentlichkeit zu tragen.»

Das übernehmen dann nicht selten zivilgesellschaftliche Gruppen, wie eben foraus, die mit ihren Aussenpolitik-BriefingsExterner Link ein Format entwickelt haben, das die aussenpolitischen Herausforderungen der nächsten Legislatur in Themenblöcken portioniert. «Unser Ziel ist, damit Parteien, Medien und anderen wichtigen Akteuren ein Instrument in die Hand zu geben, diese Dinge in der Öffentlichkeit anschaulich zu diskutieren.»

Raphaël Bez
Europäische Bewegung Schweiz

Raphaël Bez (Generalsekretär Europäische Bewegung Schweiz)

Eine konstante Herausforderung ist das Verhältnis zur EU. Dass dieses im Wahlkampf kaum thematisiert wird, habe zwei Hauptgründe, sagt Raphaël Bez von der Europäischen Bewegung Schweiz: «Die meisten Parteien – vor allem jene in der Regierung – sind intern selbst uneins, was sie eigentlich wollen. Darum stellen sie das Thema kaum ins Zentrum.» Dazu komme, dass das Thema als technisch und abstrakt wahrgenommen werde und damitweit weg vom Alltag der Bevölkerung sei.

Für ihn als Vertreter der EU-Befürworter:innen ist das natürlich alles andere als optimal: «Der Bundesrat und die Parteien machen es uns nicht leicht. Wir versuchen dennoch, das Thema in die Öffentlichkeit zu bringen.» Das macht die Organisation mit einer EuropatourExterner Link durch die Schweiz – mit von ihr unterstützten Kandidierenden – und mit einem Vergleich der Positionen der politischen Parteien zu Europa.

Ami Bossard Gartenmann
zVg

Ami Bossard Gartenmann (Mitglied Pro Schweiz)

Als Mitglied von Pro SchweizExterner Link steht Ami Bossard Gartenmann für eine maximale Distanz zur EU, aber auch sie bemängelt, dass die Diskussionen zu knapp ausfallen: «Die Beziehung zur EU, die Neutralität – das sind momentan die heissen Eisen. Aber die Parteien wollen die Leute vor den Wahlen offenbar nicht aufscheuchen. Wahrscheinlich glauben sie auch, dass jegliche Diskussionen der SVP zugutekommen würden.»

Persönlich finde sie es schade; die Bereitschaft, sich mit gegenteiligen Positionen auseinanderzusetzen, gehe zurück. «Vor allem auf lokaler Ebene hat die Diskussionsbereitschaft abgenommen, es gibt kaum mehr politische Podien, an denen man die Klingen kreuzen kann.» Vor allem auf linker Seite sei man weniger bereit, kontrovers zu diskutieren, sagt Bossard Gartenmann: «Das ist bedenklich und letztlich ein Verlust für unsere Demokratie.»

Zoe Kergomard
swissinfo.ch

Zoé Kergomard (Historikerin, Universität Zürich)

Dass aussenpolitische Themen in einem nationalen Wahlkampf eine zweitrangige Rolle einnehmen, sei abgesehen von der oft wiederkehrenden Frage der EU-Politik weder ein Novum noch eine schweizerische Eigenheit, sagt Zoé KergomardExterner Link. Parlamentarier:innen  konzentrierten sich auf Themen, die sie auf nationaler Ebene angehen könnten. Daneben kommt das veränderte mediale Umfeld: «Parteien scheinen es heute strategisch zielführender zu finden, Klickthemen zu besetzen, um ihre Basis zu mobilisieren – Stichwort ‘Wokismus’.»

So müsse man zu grundlegenden Fragen keine Stellung beziehen und mache sich auch weniger angreifbar. Hinzu kommt die Frage des Framings und der Entscheidungsebene: «Themenbereiche wie Migration und Klimakrise sind eigentlich nicht rein innenpolitische Themen, werden aber gerade während nationaler Wahlkämpfe vor allem aus dieser Perspektive diskutiert.»

Fabio Wasserfallen
Universität Bern

Fabio Wasserfallen (Direktor am Institut für Politikwissenschaften, Universität Bern)

Etwas anders sieht es der Politikwissenschafter Fabio WasserfallenExterner Link. «Bei Umfragen wird klar: Aussenpolitik rangiert einfach nicht so weit oben bei den Sorgen der Bevölkerung.» Innenpolitische Themen wie Gesundheit und Altersvorsorge stünden stärker im Fokus, hier könnten sich Parteien positionieren. Dazu kommt: «Aussenpolitik muss konkret gemacht werden. Zurzeit liegen aber keine konkreten Vorlagen vor.»

Dies sei besonders im Verhältnis zur EU der Fall, wo zurzeit Sondierungen für allfällige Verhandlungen durchgeführt werden. «Solange nichts Fassbares zur Diskussion steht, bleibt es bei hypothetischen Debatten – egal ob Wahlen anstehen oder nicht.»

Und hier sieht er den Bundesrat in der Verantwortung, den innenpolitischen Rahmen zu kreieren, damit Gespräche um aussenpolitische Themen geführt werden können. Da sei die Regierung offensichtlich nicht erfolgreich gewesen in den letzten Jahren.

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