Die Schweiz-Ukrainerin, die in Kiew bleibt
Sie schläft im Korridor, die Fenster ihrer Wohnung sind abgeklebt. Inna Lysenko besitzt einen Schweizer Pass. Dass sie in Kiew bleibt, hat einen sehr persönlichen Grund.
«Ich hätte jede Möglichkeit gehabt, zu gehen», sagt Inna Lysenko am fünften Tag der russischen Militärintervention in der Ukraine. Aber sie bleibt mit ihrem Partner im Zentrum von Kiew. Ohne Pläne, in die Schweiz zu fliehen, wo ihr Ex-Mann und ihr 25-jähriger Sohn leben.
Mit ihrer Schweizer Familie steht die schweiz-ukrainische Doppelbürgerin in engem Kontakt, stündlich schicken sie sich Schlagzeilen hin und her. Sie selbst halte sich aber nur an offizielle Kanäle, um ihr «Nervensystem nicht zu sehr zu belasten». Auch ihr Sohn leidet unter der Situation. Er ist Student an der Universität St. Gallen. Jetzt könne er sich kaum noch auf sein Studium konzentrieren.
Inna Lysenko ist ethnische Russin, die in Kiew geboren wurde. Sie betreibt in der ukrainischen Hauptstadt einen Online-Shop für Kleider. Am Telefon erzählt sie, ihr Sohn habe Angst, sie selbst sei im Moment ruhig.
Jederzeit bereit, die Wohnung zu verlassen
Inna Lysenko spricht seit fast zehn Jahren nicht mehr mit ihren Eltern, die in Russland leben. Zu unterschiedlich seien die Haltungen gegenüber Wladimir Putin. «Mein Ausharren ist vielleicht auch eine Trotzreaktion», sagt sie.
Seit Tagen hört Lysenko in ihrer Wohnung immer wieder die Sirenen – gefolgt von Detonationen. «Heute war es ziemlich ruhig», sagt sie. Sie habe wieder einmal ein paar Stunden am Stück schlafen können. Sie schläft angezogen. Der Rucksack steht gepackt vor der Türe, damit sie sofort flüchten könnte.
Neben Inna Lysenko liegt die Katze. Weil sie schwarz ist, zieht sie ihr abends jeweils ein leuchtendes Halsband an. «Sonst würden wir sie im Notfall nicht finden.»
Die Matratzen befinden sich seit Donnerstag im Korridor ihrer Wohnung. Hier seien sie am besten geschützt, falls «Raketen die Fenster zum Bersten bringen». Die Fensterscheiben sind mit Klebeband abgeklebt, die Balkontüre ist mit einer Matratze gesichert, und in der Nähe des Fensters hat Lysenko ein Seil angebracht.
Um die sich humanitäre Krise in der Ukraine zu bewältigen, hat die Glückskette eine Spendenaktion gestartet. Zuwendungen können ab sofort unter www.glueckskette.chExterner Link oder auf das Postkonto 10-15000-6, Vermerk «Krise in der Ukraine» getätigt werden.
In einer ersten Phase wird sich die Hilfe auf die Aufnahme der Flüchtlinge in den Nachbarländern, insbesondere in Polen, konzentrieren. Die Glückskette arbeitet mit der Caritas, dem Schweizerischen Roten Kreuz, mit HEKS, Helvetas, Medair, Ärzte ohne Grenzen und der Stiftung Terre des hommes zusammen. Abhängig von der Entwicklung will die Glückskette ihre Unterstützung auf Hilfsprojekte innerhalb der Ukraine ausweiten. Die Spenden werden ausschliesslich für die humanitäre Hilfe verwendet.
Die Glückskette ist eine unabhängige Stiftung, sie hat ihre Wurzeln in einer Westschweizer Radiosendung und gilt heute als der humanitäre Arm der SRG SSR, zu der auch SWI swissinfo.ch gehört.
Es kann sein, dass sie aus dem zweiten Stock des Wohnblocks entkommen muss. Es ist ein sorgfältig durchdachtes Dispositiv. «Wir haben auch erwogen, uns im Keller zu verstecken», aber dort sei es zu kalt, zum Schlafen ungeeignet.
«Meine eigene Verantwortung»
«Momentan schätze ich die Gefahr ausserhalb von Kiew als grösser ein als im Zentrum», sagt sie. Ihre Wohnung direkt am Fluss Dneper hält sie für relativ sicher. Seit zwei Wochen hat sie diese nicht mehr verlassen. Vorräte haben sie genug, noch von der Pandemie her.
Die Schweizer Botschaft weiss, dass sie noch in der Stadt ist, sie habe in den vergangenen Tagen Kontakt zu ihr gehabt. Es ging um ihren Schweizer Pass, der bald abläuft. Eine allfällige Abreise sei aber kein Thema gewesen. «Dass ich hierbleibe, das ist meine eigene Verantwortung», sagt Inna Lysenko.
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