«Die Rückerstattungspolitik dient unseren Werten und Interessen»
Die Schweiz hat in den letzten 20 Jahren der Bevölkerung in Entwicklungsländern fast 1,8 Milliarden Dollar Raubgelder von Diktatoren rückerstatten können. In den meisten Fällen seien die Rückerstattungen von Erfolg gekrönt gewesen, sagt Pascale Baeriswyl, die mit dieser für das Image der Schweiz und ihres Finanzplatzes wichtigen Aufgabe betraut ist.
Vertreter ausländischer Regierungen, Experten der Weltbank, schweizerische Nicht-Regierungsorganisationen: Alle begrüssen die Praxis, welche die Eidgenossenschaft in den letzten Jahren bei der Blockierung und Rückerstattung von Potentaten-Geldern verfolgt hat. Diese Politik wird demnächst in einem Gesetz verankert, das von den beiden Parlamentskammern im Grundsatz gutgeheissen worden ist.
Obwohl noch nicht alle Probleme geregelt sind, insbesondere was die Annahme oder Verwaltung solcher Guthaben auf Schweizer Banken betrifft, haben sich die Massnahmen bewährt. Sie hätten eine abschreckende Wirkung auf all jene Personen, welche die Schweiz bis vor kurzem als sicheres Versteck für unrechtmässig erworbenes Geld betrachtet hätten, sagt Pascale Baeriswyl, Vizedirektorin in der Direktion für Völkerrecht im Eidgenössischen Departement für auswärtige Angelegenheiten (EDA).
Bedeutende, bereits zurückerstattete Potentatengelder
– 2002 Montesinos / Peru: 92 Mio. $
– 2003 Marcos/Philippinen: 684 Mio. $
– 2005 Abacha / Nigeria: 700 Mio. $
– 2007 Kasachstan I: 115 Mio. $
– 2012 Kasachstan II: 48 Mio. $
– 2012 Angola: 43 Mio. $
– 2015 Duvalier / Haiti (laufendes Verfahren): 5,7 Mio. $
Quelle: EDA
swissinfo.ch: Die Schweiz gilt als Pionierland in Bezug auf die Blockierung und Rückerstattung von Potentaten-Geldern. Wie ist es dazu gekommen?
Pascale Baeriswyl: Unsere Rückerstattungspolitik basiert nicht auf Altruismus. In den 1980er-Jahren wurde die Schweiz beschuldigt, Diktatoren-Gelder anzunehmen. 1986, nach dem Sturz des philippinischen Präsidenten Ferdinand Marcos, war die Schweiz zum ersten Mal mit einem bedeutenden Fall von «Potentaten-Geldern» konfrontiert.
Seither haben wir begriffen, wie wichtig ein Verfahren ist, das sowohl unseren Werten als auch den Interessen unseres Finanzplatzes entspricht. Heute haben wir ein Massnahmen-System, das weltweit als das fortschrittlichste gilt in Bezug auf die Blockierung und Rückerstattung von Vermögen.
swissinfo.ch: Fühlt sich die Schweiz berufen, sich in diesem Bereich zum Vorbild zu erheben?
P.B.: Unser Ziel ist es nicht, den Primus zu spielen, wie dies oft behauptet wird. Aber wir sind überzeugt, dass wir ein hervorragendes Massnahmen-System brauchen, um den Finanzplatz sauber und wettbewerbsfähig zu halten. Auch andere Finanzplätze müssen sich in diesem Bereich engagieren. Seit dem «arabischen Frühling» sind andere Länder sehr aktiv geworden.
Chronologie: Gelder von Diktatoren auf Schweizer Banken
Die USA haben in den letzten Jahren sogar mehr Geld zurückerstattet als die Schweiz. Die Denkweisen ändern sich. Nehmen Sie das Beispiel FIFA oder die Anti-Korruptionskampagne in China: Korruption wird immer weniger akzeptiert. Die Anstrengungen der Schweiz werden sich auszahlen, auch wenn es Zeit braucht, bis alle Finanzplätze die Anforderungen erfüllen werden.
swissinfo.ch: Die Schweiz brüstet sich damit, in den letzten 20 Jahren den betroffenen Ländern Potentaten-Gelder in der Höhe von 1,8 Mrd. Dollar zurückerstattet zu haben. Kann man sicher sein, dass dieses Geld der Bevölkerung zu Gut kommt, der es die Diktatoren gestohlen hatten?
P.B.: Eine totale Sicherheit gibt es nie. Aber es gibt einen klaren und starken politischen Willen unsererseits, dass dieses Geld der betroffenen Bevölkerung zurückgegeben wird. Die Rahmenbedingungen waren oft heikel. Für jede Rückerstattung braucht es ein spezielles Verfahren und eine intensive Zusammenarbeit mit dem Partnerstaat. In den meisten Fällen haben unabhängige Bewertungen ergeben, dass die Rückerstattungen erfolgreich waren.
«Makelloses Beispiel Kasachstan»
Zwischen 2008 und 2014 hat die Schweiz den Gegenwert von 115 Mio. Dollar an Kasachstan zurückerstattet. Das Geld stammte aus Korruptionsdelikten, in die hohe Regierungsverantwortliche involviert waren. Die Herausforderung bestand darin sicherzustellen, dass dieses Geld in den Genuss der Bevölkerung gelangte, obwohl die fehlbare Regierung immer noch an der Macht war. Die Gelder wurden von der eigens dafür geschaffenen, privaten Stiftung Bota verwaltet, die von den offiziellen kasachischen Institutionen total unabhängig ist.
«Das ist ein Beispiel für eine makellose Rückerstattung», sagt der Tessiner Pietro Veglio, ehemaliger CEO für die Schweiz bei der Weltbank und Mitglied der Bota-Stiftung. Die sozialen Programme wurden von zwei renommierten, internationalen NGO verwaltet und von lokalen NGO durchgeführt. Von den Programmen haben laut unabhängigen Beurteilungen mehr als 200’000 Personen profitieren können.»
Auch Mark Herkenrath, Direktor von Alliance Sud, der Dachorganisation der schweizerischen Hilfsorganisationen, zieht eine positive Bilanz aus den Erfahrungen in Kasachstan. «Es ist sehr wichtig, die lokalen Organisationen der Zivilgesellschaft in den Rückerstattungsprozess miteinzubeziehen. Diese gehen gegenüber ihrer Regierung gestärkt daraus hervor, weil es oft die erste Gelegenheit für sie ist, sich an den gleichen Tisch zu setzen und an der Entscheidung teilzunehmen.»
swissinfo.ch: Ausländische Regierungen werfen der Schweiz manchmal vor, dass sich die Schweiz das moralische Recht nehme, die Rückerstattung der Guthaben an Entwicklungsprogramme zu binden, obwohl sie selber während Jahrzehnten von der Verwaltung der unlauter erworbenen Gelder profitierte. Was sagen Sie dazu?
P.B.: Es steht ausser Frage, demokratisch gewählte Regierungen zu umgehen oder ihnen Bedingungen aufzuerlegen. Das Rückerstattungsverfahren ist lang und aufwändig. Es ist nur erfolgreich, wenn die beiden Regierungen partnerschaftlich zusammenarbeiten.
Im Verlauf der Jahre entsteht ein Dialog über die Modalitäten der Rückerstattung, die im Interesse beider Staaten liegt. Diese Gelder waren der Bevölkerung in den betroffenen Ländern gestohlen worden. Deshalb versuchen wir, auch die Zivilgesellschaft miteinzubeziehen. Diese muss dazu Stellung nehmen können, vor allem, wenn sie zum Sturz der Regierung beigetragen haben, wie dies während des «arabischen Frühlings» der Fall war.
swissinfo.ch: Weiss man inzwischen, für welches Programm die rund 6 Millionen Franken des ehemaligen haitianischen Diktators Jean-Claude Duvalier, welche die Schweiz konfisziert hatte, verwendet wurden?
P.B.: Die Rückerstattung wird von der Direktion für Entwicklung und Zusammenarbeit (DEZA) vermittelt. Wir haben zum Beispiel Projekte im Bereich der Menschenrechte und Infrastruktur evaluiert. Weil die politische Lage in Haiti unsicher ist, konnten wir bisher nicht mit den haitianischen Behörden darüber diskutieren.
swissinfo.ch: Inzwischen wartet die Bevölkerung Haitis aber schon mehr als ein Vierteljahrhundert auf dieses Geld. Ist das nicht Grund genug, die Geduld zu verlieren?
P.B.: Es liegt in unserer Verantwortung, dafür zu sorgen, dass diese Gelder sinnvoll verwendet werden, was in dieser instabilen Situation eine grosse Herausforderung ist. Es hat 25 Jahre gedauert, bis ein spezielles Gesetz für die Beschlagnahmung dieser Fonds angenommen wurde. Wäre es da wirklich zu rechtfertigen, das Geld übereilt zurückzuerstatten und zu riskieren, dass es in falsche Hände gelangt?
Zur Erinnerung: Die Schweiz ist das einzige Land, welches das gestohlene Geld von Jean-Claude Duvalier zurückerstatten wird. Auch wenn die Beträge nicht sehr hoch sind, so haben sie doch einen hohen symbolischen Wert für die haitianische Bevölkerung.
swissinfo.ch: Wäre es nicht einfacher, den Banken zu verbieten, solche Gelder anzunehmen, anstatt kostspielige Verfahren zur Blockierung und Rückerstattung durchzuführen?
P.B.: Der Finanzplatz Schweiz wiegt immerhin zwischen 7 und 10% des nationalen Bruttoinlandprodukts, und es ist wichtig, seine Attraktivität zu erhalten. Die ausgezeichneten Dienstleistungen unserer Banken und die Stabilität unseres politischen Systems erklären, weshalb unser Land in den Augen politisch exponierter Personen (PPE) attraktiv ist. Ich gehe davon aus, dass die überwiegende Mehrheit der Vermögen der PPE rechtmässiger Herkunft ist.
Hinzu kommt die präventive Komponente im Kampf gegen Geldwäscherei. Die Massnahmen betreffend Vermögens-Blockierung und -Rückerstattung haben auch eine abschreckende Wirkung. Ein Beleg dafür ist der Fall des gestürzten ukrainischen Präsidenten Wiktor Janukowytsch, dessen Vermögen der Bundesrat 2014 blockiert hat. Gewisse Beobachter hatten erwartet, auf den Schweizer Banken viel bedeutendere Summen vorzufinden, als die 70 Millionen Franken, die zum Vorschein kamen.
Petrobras-Skandal
Die schweizerische Bundesanwaltschaft (BA) hat Bankkonten des brasilianischen Parlamentschefs Eduardo Cunha blockiert, der in den Korruptionsskandal um Brasiliens Erdölkonzern Petrobras verwickelt sein soll. «Die Schweizer Staatsanwaltschaft hat ihre Untersuchungsprotokolle zum Fall des Parlamentschefs im Zusammenhang mit Verdacht auf Geldwäscherei und passive Korruption nach Brasilien geschickt», liess die brasilianische Generalstaatsanwaltschaft am Mittwochabend mitteilen.
Die Mitteilung erfolgt einen Monat nach dem Einreichen einer Klage durch die brasilianische Staatsanwaltschaft gegen Eduardo Cunha. Cunha, einer der erbittertsten Gegner von Präsidentin Dilma Rousseff, wird von der brasilianischen Justiz verdächtigt, zwischen 2006 und 2012 von Petrobras im Rahmen eines Vertrags für die Konstruktion von Bohrschiffen 5 Mio. Dollar erhalten zu haben.
In die Korruptionsaffäre um Petrobras sind mehrere Mitglieder der brasilianischen Regierungspartei verwickelt. «In der Schweiz haben die Untersuchungen im April 2014 begonnen. Verschiedene Konten sind blockiert worden», heisst es im Communiqué, ohne den Betrag zu beziffern.
Letzten März hatte die BA mitgeteilt, dass in der Schweiz 400 Mio. Dollar blockiert worden seien.
(Übertragen aus dem Französischen: Peter Siegenthaler)
In Übereinstimmung mit den JTI-Standards
Einen Überblick über die laufenden Debatten mit unseren Journalisten finden Sie hier. Machen Sie mit!
Wenn Sie eine Debatte über ein in diesem Artikel angesprochenes Thema beginnen oder sachliche Fehler melden möchten, senden Sie uns bitte eine E-Mail an german@swissinfo.ch