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Die Schweizerin, die in Jerusalem die Religionen eint

Irène Pollak-Rein erhält von Jerusalems Bürgermeister Mosche Lion die Ehrenbürger-Urkunde. zvg

Jerusalem macht eine Schweizerin zur Ehrenbürgerin. Irène Pollak-Rein engagiert sich für die einzige Schule in der Stadt, in der jüdische und arabische Kinder gemeinsam unterrichtet werden.

Es war 1967, sie war 17 Jahre alt, als sie nach Basel fuhr. Jitzchak Rabin, der General der israelischen Armee, hatte gerade den Sechstagekrieg gewonnen. In Basel angekommen, starrte die junge Irène voller Bewunderung auf den Befehlshaber, der über dieses militärische Wunder referierte. «Ich verstand kein Hebräisch und kein Wort von dem, was Rabin sagte. Aber ich hing an seinen Lippen.» Zwei Jahre später zog sie als Studentin nach Jerusalem. «Die Goldene Stadt», wie man sie nennt, wurde ihr Zuhause. Rabin wurde später Israels Premier und 1995 als solcher ermordet.

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Ehrenbürgerin Jerusalems

Irène Pollak-Rein ist heute 70. Soeben hat sie den «Yakir Jerusalem»-Preis erhalten, das macht sie zur Ehrenbürgerin der Stadt. Die hohe Auszeichnung gilt ihrem unermüdlichen Einsatz für die Stadt und ihre Bürger. Seit über zwanzig Jahren sammelt sie im deutschsprachigen Raum Geld für die «Jerusalem Foundation». Vor allem für Bildungsprojekte, denn die Stiftung macht sich im sozialen, erzieherischen und kulturellen Bereich stark.

Die «Jerusalem Foundation» gehört zu den wichtigsten NGOs der Stadt. Prominentestes Projekt der Stiftung ist die «Hand in Hand-Schule». Sie ist die einzige weltweit, wo sowohl arabische als auch jüdische Kinder vom Kindergarten bis hin zur Matura zusammen unterrichtet werden.

Kantonswappen an den Schulzimmertüren

Die Schweizer Aussenministerin Micheline Calmy-Rey hatte diesem Projekt 2003 mit einer Schweizer Spende von 3 Millionen Franken den Start ermöglicht. Seither hängt vor jedem Schulzimmer ein Schweizer Kantonswappen. Dazu eine Tafel über die jeweilige Kantonsgeschichte in Hebräisch, Arabisch und in der Sprache des Kantons. Die Wappen sollen den Schülern veranschaulichen, dass auch ein friedlicher Ort wie die Schweiz nicht über Nacht entstanden ist.

Die mit Schweizer Geldern finanzierte Schule in Jerusalem. zvg


Trotz grosser Aufmerksamkeit sei dieses Projekt nicht repräsentativ für Jerusalem, sagt Irène Pollak-Rein. Schliesslich sei es die einzige Schule ihrer Art und entspreche «leider» überhaupt nicht der Regel.

Im Innersten aber ist sie überzeugt: «Jerusalem ist die toleranteste Stadt der Welt», sie habe nur einen fürchterlich schlechten Ruf. «Wer an Jerusalem denkt, denkt an Konflikte. Dabei wird hier Vielfalt und Demokratie gelebt, wie an keinem anderen Ort.» Hier sehe man Menschen jeder Religion, die meisten gar streng religiös, doch alle liessen einander leben.

Dabei wisse sie sehr wohl, dass diese Aussage für viele paradox klingt. Aber das Stadtbild Jerusalems gebe ihr recht. «Wir in Jerusalem sehen es als Selbstverständlichkeit, dass hier alle so nah aufeinander- und zusammenleben. Für uns ist es normal. Dabei grenzt es an ein Wunder.»

Im Kampf gegen Jerusalems Armutsproblem

Doch diese gelebte Toleranz reicht der Historikerin nicht. Sie möchte die Stadt vorantreiben und vor allem das Bildungssystem verbessern. Jerusalem gehört zu den ärmsten Städten des Landes. Grund dafür ist die hohe Arbeitslosigkeit bei den arabischen und ultra-orthodoxen Bürgern.

Diese ist bei den ultraorthodoxen Juden religiös bedingt, da diese unterstützt werden, wenn sie ihren Alltag mit religiösen Studien verbringen. Bei der arabischen Bevölkerung führt der Umstand, dass Frauen oft nicht arbeiten zu erhöhter Arbeitslosigkeit. Beides zusammen stürzt die Stadt in grosse finanzielle Nöte.

«Wir möchten den Berufseinstieg für alle erleichtern, ohne die Menschen zu verändern. Wir müssen die richtigen Rahmenbedingungen schaffen, die dazu führen, dass Araber und Ultra-Orthodoxe unsere Hilfe annehmen und Teil der Arbeitswelt werden», sagt die Schweizerin. Für die Zukunft der Stadt sei dieser Schritt unumgänglich.

Die Ernennung zur Ehrenbürgerin ist für sie eine Bestätigung. Und doch: «Es gibt zu viel zu tun», sagt die 70-Jährige.

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