«Die talentiertesten statt die reichsten Studierenden anziehen»
Nicht zuletzt dank der Hotel-Fachschule EHL in Lausanne ist die Schweiz weltweit für ihre Expertise und Standards im Hotelmanagement bekannt. Carole Ackermann ist die Frau, welche die Geschicke dieser Gruppe leitet.
Frauen sind in den oberen Etagen der Wirtschaft immer noch stark untervertreten. So sind beispielsweise nur 13% der Führungspositionen der 20 Unternehmen im Leitindex SMI der Schweizer Börse mit Frauen besetzt. In dieser Hinsicht schneidet die Schweiz im internationalen Vergleich schlecht ab.
SWI swissinfo.ch lässt im Rahmen einer Serie in diesem Jahr Geschäftsführerinnen von weltweit tätigen Schweizer Unternehmen zu Wort kommen.
Als Vertreterinnen der Schweizer Wirtschaft sprechen sie über die dringlichsten Herausforderungen, von der Coronavirus-Krise bis zum Platz der Schweiz und ihrer Unternehmen in der Weltwirtschaft.
swissinfo.ch: Was waren die wichtigsten Entwicklungen der EHL-Gruppe in den letzten zehn Jahren? Und was sind die zukünftigen grossen Reformen?
Carole Ackermann: In den letzten zehn Jahren hat die EHL eine unglaubliche Entwicklung durchgemacht, besonders in den Bereichen Digitalisierung und Internationalisierung. Ein gutes Beispiel dafür ist die Eröffnung unseres neuen Campus in Singapur.
In der Zukunft wird unsere grosse Herausforderung darin bestehen, den Status quo in Frage zu stellen. Um dies zu erreichen, werden wir uns auf vier Schwerpunkte konzentrieren: die Entwicklung unseres Angebots an lebenslangem Lernen, die Intensivierung unserer Zusammenarbeit mit den Akteurinnen und Akteuren des Krankenhaussektors, die Fortsetzung unserer Arbeit im Bereich der gesellschaftlichen Verantwortung von Unternehmen und in unserer digitalen Transformation. Letztere befindet sich noch in einem frühen Stadium.
Weltweit gibt es eine Vielzahl von Schulen für Hotelmanagement. Was unterscheidet die EHL-Gruppe von ihren Konkurrentinnen?
Die EHL wurde 1893 gegründet und war die erste Schule dieser Art weltweit. Darüber hinaus belegen wir in internationalen Rankings immer sehr gute Plätze. So werden wir beispielsweise seit 2019 in den renommierten QS World University RankingsExterner Link als die weltweit beste Hochschule im Bereich Hospitality Management geführt. In der Schweiz gehören wir zu den fünf besten Universitäten im Bereich Business Management.
«In den letzten fünf Jahren haben wir im Durchschnitt nur etwa 30% der Bewerbungen angenommen.»
Darüber hinaus bekleiden ein Viertel unserer ehemaligen Studentinnen und Studenten Positionen in der obersten Führungsebene oder besitzen ein eigenes Unternehmen. Und die Hälfte von ihnen ist ausserhalb des Hotelsektors tätig, was den generalistischen Aspekt unserer Ausbildung und die vielfältigen Facetten unseres Verständnisses von Gastfreundschaft unterstreicht.
Etwa die Hälfte Ihrer Dozierenden hat keinen Doktortitel. Dies steht im Gegensatz zu renommierten klassischen Universitäten, die nur reine Akademikerinnen und Akademiker einstellen.
An der EHL setzt sich der Lehrkörper aus Akademikerinnen und Forschungsprofessoren sowie aus Fachleuten aus der Industrie zusammen. Unsere duale Ausbildung, die typisch schweizerisch und sehr praxisorientiert ist, ist einer unserer grössten Trümpfe.
Unser Gourmet-Restaurant «Le Berceau des Sens» ist ein gutes Beispiel dafür: Das Restaurant auf unserem Campus in Lausanne wurde nicht nur mit einem Michelin-Stern ausgezeichnet, sondern ist vor allem ein Schulrestaurant für die Ausbildung unserer Studierenden.
Viele Managementschulen betrachten ihre niedrige Aufnahmequote als ein Zeichen ihres Erfolgs. Wie hoch ist die Aufnahmequote an der EHL?
In den letzten fünf Jahren haben wir im Durchschnitt nur etwa 30% der Bewerbungen angenommen, da wir immer mehr qualitativ hochwertige Bewerbungen aus der ganzen Welt erhalten.
Dennoch nehmen wir jedes Jahr mehr Studenten und Studentinnen auf, wobei wir darauf achten, die Vielfalt unserer Stidierendenschaft zu erhalten, da wir unter ihnen keine vorherrschende Nationalität haben wollen.
Die Gesamtkosten für ein vierjähriges Bachelorstudium an der EHL belaufen sich für jemand aus dem Ausland auf 160’000 Franken. Zielen Sie vor allem auf Sprösslinge aus wohlhabenden Familien ab?
Unser Ziel ist es, die talentiertesten Studierenden aus der ganzen Welt anzuziehen und auszuwählen und nicht die Kinder aus den wohlhabendsten Familien. Die Gesamtkosten für Ausländerinnen und Ausländer sind zwar hoch, aber sie entsprechen unseren Qualitätsstandards und den tatsächlichen Kosten unserer Ausbildung und unserer verschiedenen Einrichtungen.
Der Betrag von 160’000 Schweizer Franken ist auch vergleichbar mit dem, was für eine gute Ausbildung an einer Privatuniversität in den USA aufgewendet werden muss. Um einigen Studentinnen und Studenten finanziell zu helfen, haben wir ein System von Stipendien und Darlehen eingerichtet.
Bei unseren Studierenden mit Schweizer Staatsbürgerschaft (oder die für die Kriterien der Fachhochschule Westschweiz, HES-SO, in Frage kommen) belaufen sich die Gesamtkosten auf rund 80’000 Franken, da wir Zuschüsse vom Bund erhalten. Dieser Betrag wird hauptsächlich für die Ausgaben für Unterkunft und Verpflegung verwendet.
Wenn sich die Tochter oder der Sohn eines Hotelmagnaten für ein Bachelorstudium an der EHL bewirbt, stehen die Chancen auf eine Zulassung dann praktisch bei 100%?
Unser Zulassungssystem umfasst mehrere Kriterien, darunter die Abiturnote, Englischkenntnisse, unsere eigenen Tests und mehrere Auswahlgespräche. Wir haben akademische Anforderungen, die zum Teil von der HES-SO festgelegt werden und von denen wir nicht abweichen können.
Dennoch ist es wahrscheinlich, dass Bewerberinnen und Bewerber, die aus einer Hotelierfamilie stammen, durch ihr familiäres Umfeld bestimmte Kompetenzen erworben haben können.
Sie haben gerade einen ersten Campus im Ausland eröffnet, in Singapur. Besteht die Gefahr, dass der schweizerische Charakter der EHL verwässert wird? Planen Sie weitere Campus ausserhalb der Schweiz?
Für eine internationale Schule wie die EHL war es eine Selbstverständlichkeit, einen Campus in Asien zu haben. Wir bleiben unserer Nähe zu den Akteurinnen und Akteuren unserer Branche treu und gehen dorthin, wo der Markt uns sagt, dass wir hingehen sollen. Ausserdem arbeitet ein Grossteil unserer ehemaligen Studierenden in Asien, allein in Singapur sind es 150.
«Für eine internationale Schule wie die EHL war es eine Selbstverständlichkeit, einen Campus in Asien zu haben.»
Was unseren neuen asiatischen Campus betrifft, so sind die ersten Rückmeldungen trotz der Herausforderungen durch die Pandemie ausgezeichnet. Die Eröffnung weiterer Campus im Ausland steht nicht auf der Tagesordnung.
Schliesslich befürchten wir auch nicht, dass der schweizerische Charakter unserer Institution abnehmen wird, da unser asiatischer Campus eine Ergänzung und keinesfalls ein Ersatz für jene in der Schweiz ist.
Die Schweiz ist weltweit für ihre Schulen für Hotelmanagement bekannt. Dennoch scheint es, dass der Sinn für Gastfreundschaft in einigen asiatischen Ländern stärker ausgeprägt ist als in der Schweiz.
In einigen asiatischen Nationen ist der Grad der Höflichkeit in der Tat aussergewöhnlich hoch. Ich glaube jedoch, dass viele Länder von der bemerkenswerten Erfahrung der Schweiz in Bezug auf die Effizienz des Managements und die Genauigkeit der Prozesse lernen können. So ist es für Studierende aus Asien von Vorteil, wenn sie von einer Ausbildung an der EHL profitieren.
Der Verwaltungsrat Ihres Konzerns ist sehr schweizerisch, ja sogar waadtländisch geprägt. Ist das für einen so internationalen Konzern nicht etwas überraschend?
Da wir eine schweizerische Stiftung mit Sitz im Kanton Waadt und eine nationale Hochschule sind, ist es normal, dass wir eine starke Vertretung aus dem Waadtland und der Schweiz haben. Dies ermöglicht es uns auch, unsere nationalen Werte im Bereich der Gastfreundschaft zu unterstreichen.
Darüber hinaus sind die Mitglieder unseres Verwaltungsrats zwar in erster Linie Schweizerinnen und Schweizer, die Mehrheit dieser Mitglieder verfügt jedoch über bedeutende internationale Erfahrungen. Schliesslich zählen wir auch auf einen internationalen Beirat, der Persönlichkeiten und Führungspersönlichkeiten aus der ganzen Welt umfasst.
Sie selber kommen nicht aus der Welt des Hotelmanagements. Was sind Ihre wichtigsten Beiträge zur EHL-Gruppe?
Ich komme in der Tat nicht aus der Branche. Meiner Meinung nach ist das ein Vorteil, denn so kann ich einen Blick von aussen auf unsere Gruppe werfen. Meine wichtigsten Stärken sind Zuhören und die Fähigkeit, unsere Teams mit Energie zu versorgen.
Ich arbeite auch aktiv an der Optimierung unseres Arbeitsumfelds und unserer Prozesse, damit die vielfältigen Kompetenzen und Fachkenntnisse aller Mitarbeitenden der EHL ideal kombiniert werden können.
Ich bringe auch Kompetenzen mit in den Bereichen internationales Management, gesellschaftliche Verantwortung von Unternehmen und Innovation. Als Unternehmerin bin ich stolz darauf, die Entwicklung des Innovationsdorfs der EHL zu begleiten, das über 30 vielversprechende Startups im Bereich der Gastronomie vereint.
Welches sind Ihre Lieblingshotels auf der Welt?
Da gibt es so viele! Generell mag ich Hotels, die ihre Gäste in den Mittelpunkt stellen und viele Sportmöglichkeiten anbieten. Und das unabhängig von der Anzahl der Sterne!
Die 1893 gegründete und in Lausanne ansässige EHL-Gruppe bietet Bildungsprogramme an, die von der Lehre über Berufs- und Führungsausbildungen bis hin zu Masterstudiengängen reichen.
Unter den 4025 immatrikulierten Studentinnen und Studenten sind 123 Nationalitäten vertreten. Darüber hinaus sind die 30’000 Alumni der EHL in 150 Ländern auf fünf Kontinenten vertreten.
(Übertragung aus dem Französischen: Christian Raaflaub)
(Übertragung aus dem Französischen: Christian Raaflaub)
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