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Die Unaufgeregten kämpfen ums Überleben

BDP
Die BDP muss noch einmal alles in die Waagschale werfen. © Keystone / Christian Beutler

Die Bürgerlich-Demokratische Partei, das war die Gruppe jener "Anständigen", die Christoph Blochers polternder SVP 2008 den Rücken kehrten. Nun ist sie nicht mehr überlebensfähig und sucht Obdach bei den Christdemokraten. Was bedeutet das für die Schweizer Parteienlandschaft?

Eine Schweizer Mittepartei steht kurz vor dem Ende – und niemand scheint traurig oder entsetzt. Bewegung ist bei der Partei schon länger nicht mehr festzustellen. Zuletzt ging sie mit dem Leitspruch «Langweilig, aber gut» auf Wählerfang. Das wollte nicht klappen.

Denkt man sich die Geschichte vom Ende her, erscheint darum logisch: Die Bürgerlich-Demokratische Partei BDP und die Christlichdemokratische Partei CVP fusionieren Ende 2020 und gründen eine neue Mittepartei. Damit zapfen sie ein neues Reservoir an potenziellen Wähler an, etablieren eine neue politische Kraft – und retten beide Parteien: Die BDP vor dem Hinscheiden, die CVP vor dem Niedergang. Jedenfalls wenn es nach dem Plan der zwei Parteipräsidenten geht.

Von Anfang an ein Splitter

Historische Zwangsläufigkeit existiert jedoch nicht. Und ob eine Entwicklung logisch ist, lässt sich oft erst im Nachhinein feststellen. Die Fusion mit einer grösseren Partei ist für die BDP jedenfalls die einzige Möglichkeit, wenigstens noch ihr politisches Erbe in die Zukunft zu tragen. Und dieses ist – obwohl die Partei jung ist – einzigartig in der politischen Landschaft der Schweiz.

Das hat vor allem mit ihrer Entstehungsgeschichte zu tun. Die BDP war von Anfang an ein Splitter, ein Oppositionssplitter: Die Abspaltung eines SVP-Flügels, der nicht mehr zusehen wollte, wie ihre Partei unter der Herrschaft von Christoph Blocher immer populistischer wurde – und immer weiter nach rechts driftete.

Der Verlust der Werte

Das Resultat einer Leidensgeschichte sei seine Partei gewesen, sagt Hans Grunder, einer der Gründerväter und erster Parteipräsident der BDP.

2007 legte die Abwahl von SVP-Doyen Christoph Blocher aus dem Bundesrat einen parteiinternen Konflikt offen, der schon länger schwelte. An dessen Ende wurde die kantonale Sektion Graubünden ausgeschlossen. Und die zwei SVP-Bundesräte Eveline Widmer-Schlumpf und Samuel Schmid waren nicht mehr Teil der SVP.

Die Abwahl von Christoph Blocher aus dem Bundesrat war das Ende eines Politkrimis, dessen Ende die wenigsten vorhersahen. Reuters

Gekocht habe es innerhalb der Partei schon zuvor, sagt Grunder. Aus Berner Sicht habe die SVP einen Weg eingeschlagen, der nicht mehr akzeptabel war. «Die anständigen Werte gingen verloren.» Namentlich der Zürcher Flügel der Partei hätte den Bogen immer wieder überspannt. Und wer die Parteilinie von Partei-Vater Christoph Blocher nicht stramm verfolgte, musste mit Ächtung und Massregelung rechnen.

«Das wollte ich nicht akzeptieren», sagt Hans Grunder. Eine neue Partei habe sich aufgedrängt, der Unmut sei in Bern und Graubünden mit Händen zu greifen gewesen. Als es dann wirklich so weit war, sei man in der SVP erschrocken, glaubt Hans Grunder. «Damit hatten sie nicht gerechnet.»

Die Reaktionen waren harsch: Grunder erhielt Beschimpfungen und Beleidigungen, es ging sogar bis hin zu Morddrohungen. Ein halbes Jahr lebte er mit Personenschutz. «Man hat Opfer gebracht, vor allem auch das Umfeld.»

Trübe Aussichten

Die neue Partei legte trotz aller Widrigkeiten einen steilen Start hin: Man war dank Übertritten auf Anhieb ganz ohne Wahlen im Bundesrat und im Parlament vertreten. Kantonalsektionen wurden gegründet. Bei den ersten eidgenössischen Wahlen nach der Gründung erreichte die Partei über 5 Prozent der Wählerstimmen – die Feuertaufe war bestanden.

Dennoch: «Mir war von Anfang an klar, dass wir auf langer Sicht nicht bestehen könnten», sagt Hans Grunder. Das, was Grunder die konstruktive Mitte nennt, war zersplittert. Die Positionierung der Partei: schwierig. Fusionsgespräche gab es mit mehreren Parteien, jedoch konnten interne Widerstände nicht überwunden werden. Hans Grunder gab das Präsidium 2012 ab.

Danach hat sich die Partei mehr Richtung Mitte bewegt. An der Urne hat ihr das nicht geholfen: An die früheren Erfolge konnte sie nicht mehr anknüpfen. Sie sackte ab: An den letzten Wahlen 2019 erzielte sie gerade einmal 2,5 Prozent. Sie stellt noch drei Nationalräte und kann keine eigene Fraktion mehr stellen.

Kaum Themen gesetzt

Für Hans Grunder ist daran auch die Partei selbst schuld. Er sagt, dass die Basisarbeit stark vernachlässigt wurde. «Wir hätten ein breiteres Fundament aufbauen müssen.» So konnte die Partei keine kritische Masse erreichen und blieb stets nur das Zünglein an der Waage. Auch schaffte es die Partei nicht, thematisch wahrgenommen zu werden.

Spötter sagten, die Partei zehrte bloss noch vom Ansehen ihrer Bundesrätin Evelyne Widmer-Schlumpf.

Evelyne Widmer-Schlumpf
Nach der Wahl in den Bundesrat schlug Evelyne Widmer-Schlumpf aus ihrer früheren Partei ein rauher Wind entgegen.

Aber es gab durchaus Errungenschaften. Die Partei war bei der Energiewende massgeblich beteiligt. Die Aufgabe des Bankgeheimnisses verwaltete die BDP-Magistratin. Zudem glaubt Hans Grunder, dass die Abspaltung auch Auswirkungen auf die SVP hatte: Seither habe sich die Partei etwas gemässigt.

Wenn der Name zum Problem wird

Jetzt aber zeichnet sich das Ende der Partei ab. Was kann die BDP noch tun, um nicht komplett von der politischen Landkarte der Schweiz zu verschwinden? In einer Basisumfrage sprachen sich 60 Prozent der Parteimitglieder dafür ausExterner Link, Gespräche mit der CVP über die gemeinsame Gründung einer neuen Partei aufzunehmen.

Es klingt nach einem perfekten Match: Auch die CVP hat mit schwindenden Wähleranteilen zu kämpfen. Mit der zunehmenden Säkularisierung verlor die katholisch-konservative Partei kontinuierlich an Einfluss, obwohl sie in ihren katholischen Stammlanden noch immer auf eine solide Basis zählen kann. 

Zu vergleichen ist die Situation der beiden Parteien aber nicht. «Die CVP ist noch immer an den Schaltstellen der Macht», sagt Lukas Golder vom Forschungsinstitut gfs.bern. Sie stellt mit Verteidigungsministerin Viola Amherd eine beliebte Bundesrätin sowie den Bundeskanzler und führt im Parlament die Mitte-Fraktion an, immerhin die drittgrösste Fraktion. Der Abwärtstrend ist aber auch hier eindeutig.

Eine Fusion der zwei Parteien liegt nun also auf der Hand: Man politisiert bereits gemeinsam in der Mitte-Fraktion, inhaltlich gibt es zahlreiche Überschneidungen. Dazu kommt das geografische Element: «Die Hochburgen der Parteien ergänzen sich ziemlich gut», sagt Lukas Golder. Die CVP ist vor allem in der Innerschweiz und im Wallis stark, die BDP ihrerseits ist noch in Bern, Glarus und Graubünden gut aufgestellt.

Etwas Neues soll entstehen

Insbesondere der Fall Bern sei interessant, glaubt Lukas Golder: In einer StudieExterner Link für eine Umbenennung der CVP habe man im Kanton, wo die Partei praktisch inexistent ist, Potential entdeckt. Beide Parteien sprechen eine ähnliche Klientel an. Die Voraussetzung dafür sei jedoch, dass das «C» aus dem Namen gestrichen werde. Das sieht auch Hans Grunder so: Die neue Partei dürfe nicht als Nachfolgerin der CVP gesehen werden, sondern als etwas Neues.

«Ist das C weg, ist die Hürde weg», fasst Lukas Golder die Stimmung unter potenziellen Wählern zusammen. Trotz aller Risiken seien die Aussichten nicht schlecht: «Eine lösungsorientierte, moderate Mittepartei mit Volksparteicharakter kann durchaus funktionieren.»

Bei der BDP sieht man das ähnlich: Die Gründung einer neuen Mittepartei sei die Grundstimmung, die man bei der Basis gespürt habe, sagt der heutige Präsident Martin Landolt. Sollte die CVP das gleich sehen, dann gebe es keinen Grund länger zuzuwarten: «Man muss die Suppe essen, solange sie warm ist.»

In einer aufgeregten Zeit, in der alles laut zu den Polen drängt, baut sich die Schweiz eine langweilige neue Mitte.

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