Die Verbindungen von Schweizer Händlern in die trübe Welt des russischen Öls
Während westliche Staaten versuchen, Moskau die finanziellen Ressourcen für seinen Krieg gegen die Ukraine zu entziehen, steht das Engagement am Ölmarkt von in der Schweiz ansässigen Händlern auf dem Prüfstand.
Die westlichen Sanktionen gegen Russland haben den weltweiten Ölhandel durchgeschüttelt. Die Schweiz war bereits vor Beginn des russischen Angriffskriegs in der Ukraine im Februar 2022 ein zentraler Schlüsselpunkt für Ölhandel. Doch mittlerweile haben sich viele traditionelle Akteure aus dem Mark zurückgezogen.
Seither sind sie durch undurchsichtige «Pop-up»-Trader ersetzt worden. Deren Kauf- und Verkaufsaktivitäten sind jenen von manchen Firmen in der Alpennation unheimlich ähnlich. Es ist fast unmöglich herauszufinden, wer diese neuen Trader sind und ob Schweizer Bürger:innen oder Unternehmen beteiligt sind.
«Es hat eine enorme Verlagerung von Geschäften weg von westlichen Unternehmen hin zu neuen, neu gegründeten Handelsunternehmen oder spezialisierten russischen Händlern stattgefunden», sagt Russel Hardy, der CEO von Vitol, dem weltweit grössten unabhängigen Ölhändler mit Hauptniederlassungen in Genf und Amsterdam.
Beschränkungen von Ölhandel und Schifffahrt sind Teil der gegen Russland verhängten Sanktionen. Auch die Schweiz schloss sich im Juni 2022 den von der Europäischen Union beschlossenen Sanktionen an, die den Seetransport von Rohöl aus Russland schrittweise verbieten. Im Februar dieses Jahres hat die Schweiz die von den EU- und G7-Mitgliedstaaten verhängten Preisobergrenzen für Treibstoff und raffinierte Erdölprodukte übernommen. Seit Dezember gilt für Rohöl, das direkt aus Russland bezogen wird, ein Höchstpreis von 60 Dollar pro Barrel.
Der Ölverkauf machte bis Februar 2022 30% bis 35% der Haushaltseinnahmen Russland aus – was den Ölhandel zu einem offensichtlichen Thema für Sanktionen macht. Europa war der grösste Abnehmer von russischem Rohöl, und 50% bis 60% davon wurden, gemäss der NGO Public Eye, von der Schweiz aus gehandelt – von Rohstoffhandelsunternehmen wie Trafigura, Vitol, Glencore und Gunvor.
Trafigura und Vitol erklärten im März, dass sie nur noch in begrenztem Umfang russische Raffinerieprodukte exportieren und dabei die internationalen Vorschriften einhalten – die Aufgabe ist so komplex, dass sie die internen Compliance-Teams rund um die Uhr beschäftigt hielt.
Trafigura handelt mit Russland nur mit «einer begrenzten Auswahl von Produkten… aber natürlich innerhalb der Preisobergrenze», sagte Trafigura-CEO Jeremy Weir im Rahmen einer FT-Rohstoffkonferenz in Lausanne im März. Weiter prüfe man die Situation täglich.
Hardy von Vitol sprach an der Konferenz und wurde dabei etwas spezifischer: Er sagte, dass weniger als 100’000 der 7,5 Millionen Barrel pro Tag, die das Unternehmen 2022 umgeschlagen hat, auf das Russlandgeschäft entfielen.
«Wir handeln nicht mit Rohöl und wir handeln zu einem kleinen Teil Produkte in spezifische Märkte, wo russische Barrels gut zu unserem System passen», sagte er.
Exodus der grossen Ölfirmen
Das Tätigwerden im russischen Ölgeschäft ist mit ethischen und rechtlichen Problemen verbunden. Für Banken, die Ölhändlern Kredite gewähren, ist es zu einem Minenfeld geworden und mit schlechtem Ruf behaftet. Aber parallel ist es auch zu einer lukrativen Gelegenheit für wendige Newcomer geworden, die im Verborgenen operieren und nur wenig Angst davor haben, mit Sanktionsverstössen verbunden zu werden.
Der Einmarsch Russlands in der Ukraine führte zu einer Reihe von Sanktionen der Europäischen Union, der Vereinigten Staaten und der G7-Staaten gegen russische Personen und Unternehmen. Die Schweiz hat sich an der EU orientiert und im März ihr zehntes Sanktionspaket umgesetzt.
Das hat die internationale Gemeinschaft – darunter Nichtregierungsorganisationen und seit kurzem auch die G7 – nicht davon abgehalten, die Schweiz dafür zu kritisieren, dass sie nicht genug tut. Sie bemängeln vor allem den geringen Umfang der in der Schweiz eingefrorenen russischen Vermögenswerte und argumentieren, dass sie die Sanktionen besser durchsetzen könnte.
In dieser Serie untersuchen wir, welche Schritte die Schweiz unternommen hat, um den internationalen Standards zu entsprechen, und wo sie hinterherhinkt. Wir hinterfragen die Gründe für Sanktionen und deren Folgen für in der Schweiz ansässige Rohstoffhändler. Ausserdem analysieren wir russische Vermögenswerte in der Schweiz und erfahren, wie einige Oligarchen die Sanktionen umgehen.
Die grossen Energiekonzerne BP, Shell und Equinor haben ihr Russlandgeschäft im März 2022 aufgegeben und auch die Schweizer Unternehmen handelten. Bis zum russischen Angriffskrieg handelten Vitol, Trafigura, Glencore und Gunvor zusammen weit über eine Million Barrel Öl aus Russland pro Tag, ein Achtel des russischen Rohölabsatzes, gemäss manchen SchätzungenExterner Link. Aber seit Sommer 2022 haben diese grossen Handelsunternehmen offiziell Verbindungen mit dem russischen Markt gekappt.
Im Juli verkaufte Trafigura seinen 10%-Anteil an Vostok Oil, einem vom russischen Staatskonzern Rosneft angeführten Projekt zur Gewinnung von Öl und Gas aus den Reserven der Arktis. Vitol verkaufte seine Beteiligung im Dezember. Beide Anteile wurden von einer kleinen Firma namens Nord Axis Limited geschluckt, die eine Woche vor Beginn des russischen Angriffskriegs in Hongkong registriert worden ist, wie die Financial TimesExterner Link (FT) berichtet hat.
Die Lücke, die der Rückzug der grossen Handelsgiganten hinterlassen hat, wurde vor allem von Unternehmen in russischem und chinesischem Staatsbesitz und einigen kleinen Firmen mit Sitz in Gebieten mit niedrigen Transparenzregeln, in denen die westlichen Sanktionen gegen Russland nicht übernommen worden sind. Das Resultat ist, dass der Erdöl-Markt noch fragmentierter und undurchsichtiger ist als zuvor.
«Im Allgemeinen überwiegt der Schluss, dass dies alles in allem keine gute Sache ist – dass die Tiefe des Verständnis und die Transparenz bei diesen Unternehmen nicht da sein wird. Im Verhältnis dazu, wenn das Öl von westlichen Unternehmen gehandelt würde», sagt Hardy.
Der Aufstieg dieser so genannten «Pop-up»-Händler und ihre Verbindungen zur Schweiz waren Gegenstand von Untersuchungen der FT, Public Eye und der NGO Global Witness. Vor allem zwei Unternehmen – mit Gegenstücken ausserhalb der Schweiz – waren von besonderem Interesse: Paramount und Sunrise.
Sie sind geheimnisumhüllt, sodass es fast unmöglich ist, ihre Eigentumsverhältnisse zu ermitteln und festzustellen, ob sie gegen Sanktionen oder die Höchstpreisgrenze für russisches Öl verstossen haben.
«Das Problem ist, dass wir nicht wissen, wer hinter diesen Unternehmen steht, weil viele von ihnen nicht mal Websites haben und es keine Möglichkeit gibt, mit ihnen in Kontakt zu treten», sagt Mai Rosner, eine Campaignerin bei Global Witness. «Sie sind sehr undurchsichtig, und wir wissen nicht, wer sie letztlich kontrolliert.»
Die Regeln zur Offenlegung sind wenig ausgebaut, dort wo diese neuen Trader registriert sind. In Dubai, zum Beispiel, muss ein Privatunternehmen, die Namen seiner Direktor:innen oder Anteilhaber:innen offenzulegen.
Die Firma Paramount Energy and Commodities DMCC geriet in den Fokus des Interesses. Es handelt sich um ein Handelsunternehmen, das in den Vereinigten Arabischen Emiraten aufgetaucht ist und die Öltransaktions-Ströme von Paramount Energy & Commodities SA wiederholt. Die Ähnlichkeit von ihren Namen und Handelsmuster hat die Aufmerksamkeit auf beide Unternehmen gezogen – und steigerte das Interesse, internationale Sanktionen durchzusetzen.
Rosner traf auf Paramount Energy, als sie recherchierte, ob die Händler die RohölpreisgrenzeExterner Link einhalten. «Öl ist wirklich entscheidend für die Kriegskasse des Kremls.»
Undurchsichtige Verbindungen
Rosners Recherche fokussierte auf Rohöl, das über die Ostsibirien-Pazifik-Pipeline über den russischen Hafen Kosmino gehandelt worden ist – zu höheren Preisen als die Obergrenze von 60 Dollar pro Barrel.
Die Rohstoffdatenbank Kpler hat gezeigt, dass Paramount SA im Januar und Februar 2023 zu den grössten Händlern aus dieser Pipeline gehörte, was offensichtlich zu einer Überschreitung der Obergrenze führte.
Public Eye veröffentlichte im April 2022 ein Porträt dieses mysteriösen HändlersExterner Link. Recherchen von Global Witness und der FT, die unabhängig voneinander stattfanden und im März dieses Jahres veröffentlicht wurden, haben ergeben, dass der Händler offenbar sein russisches Ölgeschäft im Juni 2022 an Paramount DMCC mit Sitz in Dubai verlagert hatte.
«Es ist kaum plausibel, dass diese beiden Einheiten keinerlei Beziehung zueinander haben», sagt Rosner. «Die beiden Unternehmen geben an, dass sie unabhängig voneinander agieren und dass der Gründer von Paramount SA keine direkte Beteiligung an Paramount DMCC hält, trotz Berichten, dass er jetzt in Dubai lebt und der Tatsache, dass Paramount DMCC den gesamten Handel zwischen Kosmino und China übernommen hat, den Paramount SA früher ausgeübt hat.»
Rosner behauptet nicht, dass diese Unternehmen gegen internationale Sanktionen oder die Preisobergrenze verstossen hätten. Der Bericht von Global Witness weist darauf hin, dass es für Paramount möglich ist, über den Geltungsbereich der Preisobergrenze hinaus zu operieren, sofern das in Dubai ansässige Unternehmen keine europäischen Mitarbeiter hat, keine Geschäfte in Europa tätigt und nicht von einem europäischen Unternehmen kontrolliert wird. Umso drängender ist die Klärung der Frage nach Eigentum und Kontrolle der beiden Unternehmen.
Auslandschweizer:innen sind von Sanktionen ausgenommen
Es ist ein Schweizer Bürger, der laut Handelsregister Paramount SA verwaltet und ein zweiter Schweizer, der gemäss FTExterner Link als Direktor der Paramount DMCC aufgeführt ist.
Anders als in der EU und in den USA gelten die Schweizer Sanktionen nicht für im Ausland lebende Staatsangehörige.
Dieses Schlupfloch kommt nach Ansicht der NGO Public Eye «einer Einladung an die global agierenden Händler gleich, die Sanktionen durch geringfügige Änderungen ihrer Organisationsstrukturen zu umgehen.» Public Eye hat in einem Report zu russischem ÖlExterner Link in der Schweiz Paramount ebenfalls unter die Lupe genommen.
Paramount SA stellt sich auf den Standpunkt, nichts Illegales getan zu haben. In einer Erklärung gegenüber SWI swissinfo.ch hat das Unternehmen ausgeführt, dass Paramount DMCC zwar eine Tochtergesellschaft sei, aber als solche eine eigenständige juristische Person, die nicht dem Schweizer Recht unterliege – sondern jenem der Vereinigten Arabischen Emirate.
«Paramount SA weist alle Anschuldigungen entschieden zurück, dass es gegen die Preisobergrenze für russisches Öl oder andere Sanktionen verstossen habe», schreibt das Unternehmen. «Paramount SA hat alle Transaktionen mit Rohöl und Erdölprodukten russischer Herkunft bis September 2022 eingestellt, lange bevor die Preisobergrenze in Kraft trat. Die Aktivitäten des Unternehmens erfolgten stets in strikter Übereinstimmung mit den Sanktionen und ganz allgemein in Übereinstimmung mit allen Gesetzen, die für seine Aktivitäten gelten.»
Ein zweites Unternehmen, das im Bericht von Public Eye hervorgehoben wird, ist Sunrise, das im September 2022 das Äquivalent von vier Lieferungen – fast 400’000 Tonnen Rohöl – von Kosmino abholte. Im Schweizer Handelsregister ist 2020 eine Firma namens Sunrise Trade SA in Genf bei einem Treuhänder eingetragen worden. Auf ihrer knapp gehaltenen Website heisst es, das Unternehmen handle weltweit und in ganz Russland mit Rohöl, raffinierten Erdölprodukten und Petrochemikalien.
2022 wurde in Hongkong ein Unternehmen namens Sunrise X Trading registriert. Eine eindeutige Verbindung zwischen den beiden Unternehmen lässt sich nur schwer herstellen, weil die Behörden keine formelle Untersuchung eingeleitet haben. Alle Bemühungen von SWI swissinfo.ch das Schweizer Unternehmen zu kontaktieren, blieben erfolglos.
«Die Schweiz verfügt noch immer nicht über ein öffentliches Register der wirtschaftlich Berechtigten von Unternehmen und die Behörden können erst, wenn eine Untersuchung gestartet ist auf diese Daten zugreifen. Das ist ein echtes Problem», sagt Agathe Duparc, Rechercheurin bei Public Eye.
Öl fliesst weiterhin
Russisches Öl landet immer noch – und in voller Absicht – auf dem Weltmarkt. Durch eine Lücke in den westlichen Sanktionen kann das Rohöl nach der Raffinierung überall auf der Welt verschifft und nach der Raffinierung ohne Strafe wieder nach Europa importiert werden. Das ist ein grosses Geschäft für Raffinerien in Ländern, die keine Sanktionen ergriffen haben.
Laut Global Witness importierte Indien im Januar 2023 über 57 Millionen Barrel russisches Rohöl, fast 20-mal mehr als im Vorjahr. Die Analyse der Daten von Kpler zeigt, dass die Türkei im Jahr 2022 143 Millionen Barrel Rohöl aus Russland importierte, was gegenüber 2021 ein Anstieg von 50% ist.
«Durch die Lücke beim Raffinieren kann russisches Öl, das zu Raffinerien in Drittländern transportiert und dann in andere Produkte wie Diesel oder Benzin umgewandelt wird, nach Europa gelangen», erklärt Rosner. Global Witness nennt eine türkische Raffinerie, die fast ausschliesslich russisches Rohöl akzeptiert, das dann als Diesel in die EU exportiert wird – von grossen Ölhändlern, darunter auch das Schweizer Unternehmen Vitol.
Die Regeln zum Rohölverbot und -höchstpreis sind komplex zu befolgen und schwer durchsetzbar.
Die Schweiz beispielsweise verfügt über keine eigene Sanktionsbehörde und ist daher darauf angewiesen, dass ihre Kantone, Banken oder Bundesbehörden Verstösse melden.
Das Schweizer Staatssekretariat für Wirtschaft (SECO) hat öffentlich erklärt, dass es die Einhaltung nicht überwacht. Die Bundesanwaltschaft teilte mit, dass sie eine Untersuchung mutmasslicher Sanktionsverstösse nur auf Anfrage des SECO einleiten könne. Dazu, ob das Sekretariat einen solchen Antrag gestellt hatte, wollte es sich nicht äussern. Weiter wollte sich das SECO auch nicht dazu äussern, wo bei der Durchsetzung von Sanktionen in der Schweiz die Grenze zwischen Unternehmen gezogen wird, die Verbindungen zueinander aufweisen, aber in unterschiedlichen Gerichtsbarkeiten tätig sind.
«Wir müssen uns darauf verlassen, dass in der Schweiz tätige Unternehmen das Schweizer Recht respektieren», sagte Helene Budliger, Leiterin des SECO, im März im Interview mit dem Schweizer Fernsehen SRF. «Wir sind weder Polizei noch Staatsanwaltschaft.»
Die Schweiz ist seit Jahrzehnten stolz darauf, die Vertraulichkeit jener zu wahren, die im Land Geschäfte tätigen. Doch die Folgen der russischen Invasion in der Ukraine erhöhen den Druck auf diese Praxis: Ukrainische Behörden und US-Gesetzgeber sowie zahlreiche NGOs sind der Meinung, dass die Schweizer Behörden die Sanktionen proaktiver umsetzen sollten.
Duparc von Public Eye sagt: «Der Krieg in der Ukraine hat alle Defizite der Schweiz im Kampf gegen Korruption, Geldwäsche und bei der Umsetzung von Sanktionen deutlich gemacht.»
Editiert von Nerys Avery/vm. Übertragung aus dem Englischen: Benjamin von Wyl
In Übereinstimmung mit den JTI-Standards
Einen Überblick über die laufenden Debatten mit unseren Journalisten finden Sie hier. Machen Sie mit!
Wenn Sie eine Debatte über ein in diesem Artikel angesprochenes Thema beginnen oder sachliche Fehler melden möchten, senden Sie uns bitte eine E-Mail an german@swissinfo.ch