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«Die Welt entdeckt den Pazifik»

Strand
Tarawa Atoll, Kiribati. Keystone / Richard Vogel

Unter der Diplomatin Yasmine Chatila Zwahlen hat die Schweiz in den letzten drei Jahren ihre Präsenz im Pazifik deutlich ausgebaut. Was führt sie damit im Schilde? Das haben wir sie gefragt.

Die Schweizer Diplomatin Yasmine Chatila Zwahlen (*1963Externer Link) beobachtet von der australischen Hauptstadt Canberra aus das Geschehen im Pazifik – nicht nur als Sondergesandte für diese Region, sondern auch als Botschafterin in KiribatiExterner LinkNauruExterner LinkPapua-NeuguineaExterner LinkSalomon-InselnExterner Link und VanuatuExterner Link. Die Leitung der Botschaft in Canberra teilt sie sich im Jobsharing mit ihrem Mann – dem Schweizer Botschafter für Australien, Pedro Zwahlen.

Yasmine Chatila verbrachte als Tochter einer schweizerisch-libanesischen Familie die ersten Lebensjahre im LibanonExterner Link. Bei Ausbruch des libanesischen BürgerkriegesExterner Link 1975 zog die Familie in die Schweiz, wo die Grosseltern lebten. Nach ihrem Lizenziat der Philosophisch-Historischen Fakultät der Universität Bern trat sie 1994 in den diplomatischen Dienst des Eidgenössischen Departements für auswärtige Angelegenheiten (EDA)ein. Es folgten Einsätze in der Direktion für Entwicklung und ZusammenarbeitExterner Link in Bern,  in der Schweizer Botschaft in Kairo, im Aussenpolitischen Planungsstab, als EDA-Pressesprecherin, als Leiterin des EDA-Informationsdienstes in Genf, als Stellvertretende Missionschefin auf der Schweizer Botschaft in DamaskusExterner Link, Syrien, und in gleicher Funktion in LissabonExterner Link, Portugal. Die Posten in Damaskus und Lissabon teilte sie mit ihrem Mann im JobsharingExterner Link. Nach ihrem Einsatz an der Berner EDA-Zentrale im Bereich Wissenschaftsdiplomatie wurde sie 2012 Schweizer Botschafterin in Costa Rica. 2017 wurde sie Missionschefin im Jobsharing mit ihrem Mann Pedro Zwahlen in CanberraExterner Link. Das Diplomatenpaar hat eine Tochter und einen Sohn.

swissinfo.ch: Die Schweiz – auf der anderen Seite der Erdkugel – engagiert sich ausgerechnet im Pazifik. Weshalb?

Yasmine Chatila Zwahlen: Die Schweizer Aussenpolitik ist universell. Unsere Werte vertreten wir auf der ganzen Welt. Wir versuchen mit jedem Staat gute Beziehungen zu haben. Bilateral und multilateral, aber auch regional.

Weltregionen wie der Pazifik spielen eine zunehmend wichtigere Rolle bei der Lösung globaler Probleme. Für die Schweiz ist das verstärkte Engagement in erster Linie eine Anerkennung einer riesigen Region, in der die Schweiz aus historischen Gründen keine intensiven Kontakte hatte.

Der Pazifik deckt zwar ein Drittel der Erdoberfläche ab, die Region ist aber vielen Schweizerinnen und Schweizern kaum bekannt. Ist sie politisch überhaupt von Bedeutung?

Es gibt im Pazifik insgesamt 22 Staaten und Territorien. 12 dieser pazifischen Staaten sind Uno-Mitglieder. Das sind 6,22 Prozent der UNO-Stimmen. Diese Länder können wir also nicht einfach vernachlässigen, sondern wir wollen mit ihnen zusammen die globalen Herausforderungen angehen.

Die wichtigste regionale Organisation, das Pacific Island Forum (PIF), besteht schon seit 1971. Das PIF hat 18 Vollmitglieder, inklusive Australien und Neuseeland. Dann gibt es noch Mitglieder, die keine Stimme haben in der UNO – etwa die Cook-Inseln, Französisch-Polynesien und Neukaledonien, aber das kann sich ändern.

Die meisten der Staaten im Pazifik waren irgendwann mal Kolonien. Spürt man heute noch diesen Teil der Geschichte?

Die Entkolonialisierung ist nicht nur Geschichte, sie ist eigentlich noch immer im Gange. Ein Beispiel: Es gab auf der Insel Bougainville ein Referendum zur Unabhängigkeit von Papua-Neuguinea. Die Bevölkerung sprach sich klar für die Unabhängigkeit aus. Dabei entdeckte ich, dass die Unabhängigkeitsbewegung dort noch viel älter war als die von Papua-Neuguinea selbst – derart lange dauert die Fremdbestimmung durch verschiedene Mächte schon an.

Und jetzt erleben wir vielleicht schon bald das Entstehen einer neuen Nation. Westpapua ist ein anderes Beispiel, wo Kolonialgeschichte noch lange nachwirkt. Für Indonesien und die internationale Gemeinschaft ist Westpapua schlicht eine indonesische Provinz. Die indigenen Menschen dort aber träumen von Unabhängigkeit.

1961, nachdem sich die Kolonialmacht Niederlande zurückgezogen hatte, hatte Westpapua sogar eine eigene Regierung. Dieser kontinuierliche Trend zur Unabhängigkeit im Pazifik ist wichtig für uns als politische Partner. Und zwar von heutigen Staaten, aber eben vielleicht auch von Staaten der Zukunft.

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Die pazifischen Kleinstaaten sind – zumindest wirtschaftlich – gar nicht so klein, wenn man sie zusammenzählt. Welche Bedeutung hat die Tatsache, dass wir hier über ein Gebiet von zwar nur 500’000 Quadratkilometern Landfläche sprechen, aber von einer exklusiven Wirtschaftszone von 40 Millionen Quadratkilometern?

Es gibt seit ein paar Jahren im Pazifik eine Veränderung der Selbstwahrnehmung. Die Länder sehen sich zunehmend nicht mehr als Kleine Inselstaaten, sondern als «Big Ocean States». Sie wissen, dass ihnen der grosse Anteil an den Weltmeeren eine Bedeutung gibt, und eine gewisse Macht.

Sie sind zwar stark betroffen von vielen globalen Problemen – etwa den Folgen des Klimawandels – aber sie haben auch massive wirtschaftliche Ressourcen. Und sie haben Jahrtausende alte Kulturen, traditionelles Wissen und Ideen, wie globale Probleme angegangen werden können.

In den letzten Jahren hat China seine Position im Pazifik deutlich ausgebaut. Wie wichtig ist die geopolitische und strategische Bedeutung dieser Region?

Der Pazifische Ozean deckt ein Drittel der Erdoberfläche, die Kontrolle über dieses Gebiet ist für den Welthandel, die Nahrungsmittelsicherheit, und den militärischen Wettlauf zwischen Grossmächten von grosser Bedeutung. China und Taiwan teilten sich bis vor Kurzem die politischen Beziehungen zu den Inselstaaten etwa je zur Hälfte auf. Doch Chinas Einfluss nimmt auch hier dank strategischen Investitionen rasch zu.

Die Bedeutung des Pazifiks nimmt aber auch sonst zu – man kann sogar sagen: die Welt entdeckt derzeit den Pazifik. Die Schweiz ist eines von vielen Ländern – auch europäischen -, die die Beziehungen mit den Staaten in dieser Region verstärkt pflegen. In absoluten Zahlen ist Australien noch immer der wichtigste Partner im Pazifik.

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Beim Besuch besonders abgelegener Dörfer im Westen von Santo, Vanuatu. / Pedro Zwahlen

Welche Folgen hat dieses verbreitete Interesse für die Arbeit der Schweiz im Pazifik?

Das Interesse ist so weitreichend, dass man von einem Wettbewerb sprechen kann – einerseits um politische Beziehungen, andererseits um Zusammenarbeit in diesen Ländern. Das hat manchmal negative Folgen. Etwa, wenn im Kampf um Anerkennung durch ein Land nicht die besten Projekte der Geberstaaten realisiert werden. Auch kann dadurch die Korruption gefördert werden, vor allem in Ländern, die schwache Verwaltungen haben.

Worauf fokussiert sich die Schweiz bei ihrem Engagement in dieser Region?

Der Pazifik gehört nicht zu den prioritären Schwerpunktregionen der Direktion für Entwicklung und Zusammenarbeit (DEZA). Für uns stehen die politischen Beziehungen im Vordergrund. In der Zusammenarbeit fokussieren wir auf gewisse Nischen, und auf Projekte, welche die Arbeit anderer Länder ergänzen.

Uns ist aufgefallen, dass der Pazifik in der Vergangenheit noch relativ wenig Gewicht hatte in internationalen Institutionen. Wir haben 16 Staaten eingeladen – von denen sind die Hälfte im Pazifik -, in Genf eine Ständige Mission zu eröffnen, einem Ort, der mit der UNO und 35 anderen internationalen Institutionen ein Standort von globaler Bedeutung ist.

Wir tun dies einerseits, weil wir als Schweiz möchten, dass die Universalität von Genf gefördert wird und dass alle Staaten der Welt dort vertreten sind. Gleichzeitig wollen wir, dass diese pazifischen Staaten ihre Interessen auf der Weltbühne mit eigener Stimme vertreten können.  Dafür brauchen sie politische Freunde, und zu denen zählen wir uns.

Wenn wir zur Hilfe vor Ort zurückgehen – wieviel Geld gibt die Schweiz dafür im Pazifik aus?

In den letzten vier Jahren waren es durchschnittlich 700’000 Franken pro Jahr für Projekte. Ein Teil des Geldes kommt aus der humanitären Hilfe der DEZA, ein Teil von der politischen Direktion.

Wie gesagt: die Region ist kein primärer Fokus für die Entwicklungshilfe der Schweiz, aber unsere globalen Programme und Werte finden auch hier ihre Anwendung. So unterstützen wir mit 300’000 Franken einen Hilfsfond, der Ländern bei der Bewältigung der Folgen von Covid-19 beisteht. Oder wir helfen beim Wiederaufbau in Vanuatu nach dem zerstörerischen Zyklon letztes Jahr mit 125’000 Franken zur Soforthilfe. Wir waren dort bereits auf einer Insel engagiert, als unsere Partner uns um Unterstützung baten. Sowas kann man aber nicht vorausplanen.

Dazu kommen die Schweizer Beiträge an Entwicklungsbanken und Fonds, wie etwa Weltbank und Green Climate Fund, welche in Zusammenarbeit mit den jeweiligen Regierungen die nachhaltige Entwicklung in diesen Ländern fördern.

Menschen feiern
Besuch mit dem Ehemann, Botschafter Pedro Zwahlen, einer von der Schweizer Botschaft finanzierten Kleinkinderbibliothek «Buk bilong Pikinini» auf Tatana Island. Madness Photography

Die neue Strategie der internationalen Zusammenarbeit des Bundesrates knüpft die Entwicklungshilfe an langfristige Interessen der Schweiz. Eines dieser Interessen ist Klimawandel. Ist der Kampf gegen die Folgen globaler Erwärmung ein Fokus Ihrer Arbeit im Pazifik?

Die Auswirkungen des Klimawandels tangieren praktisch alle Facetten unserer Zusammenarbeit. Wir arbeiten in diesem Bereich bilateral mit Ländern zusammen, aber auch mit regionalen und internationalen Organisationen.

In Vanuatu etwa rollten wir nach einer katastrophalen Dürre ein Projekt aus, das zum Ziel hat, der Bevölkerung mehr Widerstandskraft bei solch zerstörerischen Katastrophen zu geben. Dazu gehört auch die Anpassung an den Klimawandel – sogenannte «Climate Adaptation».

So sollen etwa die landwirtschaftlichen Methoden an die neuen klimatischen Bedingungen angepasst werden – eine Diversifizierung der Pflanzenarten, die angebaut werden können, oder die Erhöhung der Wassersicherheit.

Gleichzeitig helfen wir den Regierungen, die Kapazitäten in den Ministerien zu stärken, damit diese Verwaltungen den Anforderungen der Zukunft gewachsen sind. Dabei ist es immer so, dass wir nicht mit unseren Ideen und Anforderungen kommen. Stattdessen fragen wir die Länder, was sie benötigen.

Menschen posieren
Mit Frauen in Kiribati – sie tragen jeden Donnerstag Schwarz, um gegen häusliche Gewalt zu protestieren. Urs Wälterlin

Klimawandel trägt im Pazifik auch zur gezwungenen Migration bei. Die Menschen verlieren als Folge des steigenden Meeresspiegels ihre Heimat, ihre Lebensgrundlage. Sie müssen fliehen, um zu überleben. Ist das ein Thema für die Schweiz?

Auf jeden Fall. Das ist eine Nische, die wir besetzen. Wir sind seit Jahren daran, Staaten zu unterstützen, mit solchen Migrationsbewegungen umzugehen. Denn wenn sie nicht geplant sind und chaotisch verlaufen, können sie zu Konflikten führen, zu einem Kampf um Ressourcen.

Wir haben schon 2013 gemeinsam mit Norwegen die sogenannte Nansen-Initiative eingeführt. Mit ihr wurden Situationen identifiziert, in denen Menschen nicht vor einem Krieg fliehen und somit unter den Schutz der Flüchtlingskonvention fallen, sondern eben vor den Folgen von Klimaveränderung. Diese Lücke im Schutzsystem galt es zu identifizieren und dann zu schliessen.

Als wir damals die Diskussionen im Pazifik starteten, war das Thema praktisch ein Tabu. Denn die Zugehörigkeit der Menschen zu ihrem Gebiet, zu ihrer Insel gilt als heilig. Dank dieser Initiative wurde das Thema enttabuisiert. Seither ist die Schweiz bei der Bewältigung der Klimawandel-bedingten Migration, die ja auch eine Anpassung an den Klimawandel ist, weltweit an der Spitze.

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