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Die WHO will sich gegen Pandemien wappnen

Covid-Impfdosen in einer Schale
Dem in Rekordzeit aufgegleisten Pandemie-Abommen der WHO droht der Stillstand: Die Schwellen- und Industrieländer weren sich über den Patentschutz für Impfungen nicht einig. © Keystone / Salvatore Di Nolfi

Die Welt war nicht auf ein Ereignis wie die Covid-Pandemie vorbereitet. Das soll sich ändern. Die WHO-Mitgliedsstaaten verhandeln über ein Abkommen. Doch während die Entwicklungsländer auf mehr Unterstützung hoffen, beharren Länder wie die Schweiz auf dem Patentrecht.

Erst im Frühjahr 2023 wurde die Covid-Pandemie für beendet erklärt. Kaum ein Land war auf die Pandemie genügend vorbereitet. Zwar konnten mehrere Pharmaunternehmen mit teils massiven öffentlichen Investitionen relativ rasch Impfstoffe gegen das Virus entwickeln. Doch die Produktionskapazitäten reichten nicht sofort für die Versorgung aller Länder aus.

Die 194 Mitgliedstaaten der Weltgesundheitsorganisation WHO wollen sich nun gegen künftige Pandemien besser wappnen. Sie beschlossen daher Ende 2021, ein entsprechendes Abkommen zu erarbeiten. Wie innerhalb der WHO üblich, soll das Abkommen im Konsens vereinbart werden. Doch bis dahin ist es noch ein weiter Weg.

Chance zur Zusammenarbeit

Zentral ist, dass alle Länder einen gleichberechtigten Zugang zu den Instrumenten haben, die für die Prävention und Bekämpfung von Pandemien erforderlich sind: Neben den Möglichkeiten zur Überwachung von Krankheitserregern zählen dazu auch Schutzausrüstungen sowie Know-how und Technologien wie die Impfstoffherstellung. Ebenfalls soll die nötige medizinische Versorgung für alle Menschen gesichert sein.

Aus Sicht von Médecins sans frontière (MSF, Ärzte ohne Grenzen) bietet die Erarbeitung dieses Abkommens eine Gelegenheit, dass die Staaten zusammenarbeiten, wie Yuan Hu Expertin für Gesundheitspolitik, gegenüber SWI Swissinfo.ch sagt.

Der von den Regierungen ausgehandelte Vertrag soll gemäss der NGO entsprechende Arzneimittel als öffentliches Gut behandeln und das Recht auf Gesundheit gemäss der WHO-Verfassung schützen.

Anfang November 2023 haben die Staaten in Genf damit begonnen, über einen konkreten Verhandlungstext zu debattieren. Bereits einig sind sich die WHO-Staaten darin, dass das Prinzip «einer Gesundheit» (One-Health) gelten soll, das gleichzeitig die Gesundheit von Menschen, Tieren und Umwelt berücksichtigt.

Es geht darum zu vermeiden, dass Krankheitserreger von Tieren auf Menschen übertragen werden. Die Länder sollen interdisziplinär auf nationaler und internationaler Ebene zusammenarbeiten, um die Entwicklung von Krankheitserregern zu überwachen.

Es bestehen jedoch noch erhebliche Differenzen, etwa mit Blick auf den Vorteilsausgleich, das «Benefit Sharing»: Die Länder sollen relevante Stämme von Krankheitserregern an WHO-Labors schicken, damit Pharmaunternehmen Impfstoffe herstellen können. Im Gegenzug sollen die Länder diese Produkte verbilligt oder teilweise gratis erhalten.

Vorwurf: Die Industriestaaten schauen zuerst für sich

Auch bei anderen Entscheidungen sind die Positionen weit voneinander entfernt. So legen die Industrieländer den Fokus auf die Prävention, während die Entwicklungsländer betonen, dass ein gerechter Zugang zu Impfungen, Medikamenten und Diagnose-Tests für alle gewährleistet werden muss.

Sie kritisieren, dass die wohlhabenden Staaten während der Covid-Pandemie die knappen Impfstoffe und Therapeutika für ihren eigenen Gebrauch gehortet haben.

Nach Meinung der Entwicklungsländer wird von ihnen im bisher ausgehandelten Vertrag bei der Prävention sehr viel verlangt, während die Massnahmen für einen gerechten Zugang zu Diagnostika und Impfungen vage formuliert seien.

So forderte Südafrika bei den Verhandlungen im Namen von 29 Ländern der «Group of Equity» (Gruppe für Gleichberechtigung), dass der aus dem Text gestrichene Grundsatz der gemeinsamen, aber unterschiedlichen Verantwortlichkeiten beibehalten werde. Dies sei wesentlich für ein gerechteres Ergebnis.

Brasilien, das ebenfalls zur «Group of Equity» zählt, wies darauf hin, dass vor allem die Industrieländer die vielen im Abkommen vorgesehenen Verpflichtungen bereits erfüllen.

«Für uns liegt die Ziellinie weiter entfernt, was das betrifft, was wir noch aufbauen müssen», führte Brasiliens Delegation aus. Das gelte etwa für die Überwachung von Krankheitserregern und die One-Health-Verpflichtungen.

Unausgewogen seien auch die finanziellen und technologischen Mittel. Während die Industrieländer über mehr Geld und Know-how verfügten, hätten die Entwicklungsländer oft keinen Zugang dazu, da die Technologie – etwa für die Impfstoffherstellung – durch Patentrechte geschützt und dadurch unzugänglich oder teuer sei.

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Aufgrund dieses Ungleichgewichts «müssen wir unterschiedliche Kapazitäten, aber auch unterschiedliche Verpflichtungen anerkennen», so Brasilien. Die Delegation fordert, dass die Industrieländer mehr Verpflichtungen eingehen beim Technologietransfer und beim geistigen Eigentum, insbesondere beim Patentrechte für Impfstoffe und Arzneimittel.

Auch aus Sicht von Nichtregierungsorganisationen muss nebst der Prävention der Zugang zu Tests, Impfstoffen, Behandlungen und medizinischen Geräten wie Sauerstoffapparaten diskutiert werden.

«Es ist heuchlerisch, bei der Prävention viel von den Entwicklungsländern zu verlangen und beim Zugang zu medizinischen Produkten weniger Verpflichtungen für die Industrieländer vorzusehen», sagt Gabriela Hertig von der Schweizer Organisation Public Eye.

Denn solche Zugeständnisse bedrohten die eigenen Interessen und die Profite der dort ansässigen Industrie. Auch für Hu von MSF sind Verpflichtungen zu Technologietransfers  wichtig. Damit könnten auch Entwicklungsländer Diagnosetests, Impfstoffe und Medikamente herstellen, sagt sie.

Kampf gegen eine Aufweichung der Patentrechte

Die USA, die EU-Staaten und auch die Schweiz sehen eine Flexibilisierung von Patentenrechten kritisch. Sie haben auch Vorbehalte gegenüber Forderungen nach einem Technologietransfer.

«Die Vereinigten Staaten glauben fest an den Schutz des geistigen Eigentums, der Investitionen und Innovationen fördert», erklärte die US-Delegation.

Aspekte wie die Entwicklung von Impfstoffen, die bei der Bekämpfung der Covid-Pandemie funktioniert hätten, sollten nicht untergaben werden (etwa durch eine zeitlich begrenzte Einschränkung von Patentrechten, um günstigere Generika herzustellen).

Die Aufhebung des Schutzes von geistigem Eigentum werde den gerechten Zugang in Pandemienotfällen nicht verbessern, sondern schädigen, machte die US-Delegation weiter geltend.

Auch der Internationale Verband der Pharmaindustrie (IFPMA) sprach sich dafür aus, Patentrechte beizubehalten. Andernfalls sei «kein Pandemievertrag besser als ein schlechter».

Die EU erklärte, sie und ihre Mitgliedstaaten setzten sich unter anderem über den Pandemiefonds der Weltbank dafür ein, Kapazitätslücken der Entwicklungsländer auszugleichen.

Für die Schweiz ist ein Frühwarnsystem, das Melden und der Austausch von pandemie-relevanten Informationen wichtig. Die Schweiz unterstütze daher den Teil über die Prävention im Text, er müsse allerdings noch verstärkt werden, sagte eine Schweizer Delegierte zu Beginn der Verhandlungen.

Die Bestimmungen über eine Flexibilisierung der Patentrechte würden dagegen in die Kompetenz anderer Organisationen fallen, nämlich der Welthandelsorganisation WTO und der Weltorganisation für den Schutz des geistigen Eigentums WIPO.

Big Pharma soll transparenter werden

Die Kosten für die Forschung und Entwicklung von Arzneimitteln und anderen medizinischen Gütern müssen gemäss MSF und Public Eye transparent sein. Das betreffe insbesondere Investitionen von öffentlichen Geldern, die in der Covid-Pandemie für die Entwicklung von Impfstoffen bedeutend waren.

Diese Investitionen müssten mit Bedingungen über Zugang und Preis verbunden sein. MSF fordert zudem Normen für eine weltweite Lagerhaltung und Zuteilung medizinischer Güter an die Länder.

Noch nicht behandelt wurde die Finanzierung der Massnahmen. Während etwa Brasilien diesbezüglich verbindliche Zusagen verlangt, wollen die Industrieländer, darunter die Schweiz, keine neuen Gremien schaffen, sondern sich auf den seit Covid bestehenden Pandemiefonds der Weltbank stützen.

Die Verhandlungen dauerten bis am 6. Dezember. Weitere Beratungen sind Mitte Februar geplant. Das Abkommen soll im Mai von der Weltgesundheitsversammlung verabschiedet werden. Manche Beobachter:innen gehen jedoch davon aus, dass es länger dauern wird.

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