Diese Frauen verändern die Wissenschaft in der Schweiz
Sie sind zielstrebig, sie sind ehrgeizig, sie gehören zu den Besten ihres Fachs: Anlässlich des Internationalen Tages der Frauen und Mädchen in der Wissenschaft porträtiert SWI swissinfo.ch vier Frauen, die die Wissenschaftslandschaft der Schweiz verändern.
Auf allen Ebenen der MINT-Disziplinen (Mathematik, Informatik, Naturwissenschaft, Technik) sind Frauen nach wie vor in einer deutlichen Minderheit. Weltweit ist in Spitzenbereichen wie der Künstlichen Intelligenz nur eine von fünf Fachpersonen eine Frau, und nur 12% der Forscherinnen sind Mitglieder nationaler Wissenschaftsakademien, so die Vereinten NationenExterner Link. In der Schweiz ist das Ungleichgewicht ähnlich gross.
SWI swissinfo.ch porträtiert vier Wissenschaftlerinnen, die in der Schweiz in ihren Gebieten herausragen – von der Robotik bis zur Physik.
Margarita Chli: Meisterin der sehenden Roboter, ETH Zürich
Robotern das Augenlicht schenken: Das ist die Mission von Margarita ChliExterner Link. Ihr Traum führte sie weit weg von der sonnigen Insel ihrer Geburt, Zypern, nach Grossbritannien und schliesslich in die Schweiz. Ihre Beschäftigung mit Robotern kam nicht von heute auf morgen, sondern während ihrer Promotion am Imperial College London. Damals war Chli von der Idee fasziniert, Robotik mit Computer Vision zu kombinieren, um intelligente Maschinen zu schaffen, die den Raum um sie herum «sehen», wahrnehmen und mit ihm interagieren können.
Chli’s Hauptinspirationsquelle ist die Natur. Sie beobachtet den Flug von Adlern, die über das Wasser gleiten, um ihre Beute mit Präzision zu ergreifen. Oder den von Vogelschwärmen, die ihre Bewegungen so perfekt koordinieren. Und sie versucht zu reproduzieren, was die Natur sie lehrt. Mit Erfolg: Ihre Arbeit trug zum ersten autonomen Flug eines kleinen Hubschraubers bei.
Heute leitet Chli das Vision for Robotics LabExterner Link an der ETH Zürich und ist eine der wenigen Frauen, die es in dem von Männern dominierten Bereich der Robotik geschafft haben.
Dennoch fühlt sie sich nicht «angekommen». In Bereichen wie der Störungsüberwachung in Fabriken oder der Rettung von Menschen bei Lawinenabgängen oder Erdbeben in den Alpen gebe es noch viel zu tun, sagt sie.
Die Professorin ist froh, in der Schweiz zu leben: Der Zürichsee füllt sich im Sommer mit Badegästen und erinnert sie an Zypern. Als im Jahr 2021 ganze Landstriche Griechenlands von verheerenden Bränden heimgesucht werden, erhält Chli einen Anruf von einem Freund, der sie fragt, ob es möglich sei, diese Gebiete mit Hilfe von Drohnen zu überwachen. «Leider sind wir in der Forschung noch weit davon entfernt, dies tun zu können. Aber das zeigt, wie sehr die Robotik unser Leben verbessern kann.»
Emma Hodcroft: Die Virenjägerin, Universität Bern
Emma HodcroftExterner Link erlangte während der Covid-19-Pandemie Berühmtheit. Ihr Twitter-AccountExterner Link explodierte Anfang 2020 und wuchs in nur wenigen Monaten von 800 auf 18’000 Follower.
Die in Norwegen geborene und zwischen Schottland und Texas aufgewachsene Hodcroft ist seit ihrer Jugend von der genetischen Evolution fasziniert. Sie beschloss, Biologie zu studieren und konzentrierte sich zunächst auf die genetischen Variationen von fleischfressenden Pflanzen. Später verlagerte sich ihr Schwerpunkt auf die allesfressenden Menschen und von der Biologie zur Virologie: In ihrer Doktorarbeit untersuchte sie die genetischen Faktoren, die die Übertragbarkeit des HIV-Virus beeinflussen.
Jetzt arbeitet die in Basel lebende Molekularepidemiologin Tag und Nacht daran, die Entwicklung der Covid-19-Pandemie zu verfolgen. Ihr Interesse an Viren in Kombination mit dem Interesse ihrer Mutter an Informationstechnologie zahlt sich aus: NextstrainExterner Link, die schweizerisch-amerikanische Open-Source-Plattform, die Hodcroft 2017 mitentwickelt hat, erweist sich als entscheidend, um die Entwicklung von SARS-CoV-2 durch die Beobachtung neuer Varianten weltweit in Echtzeit zu verfolgen.
Heute folgen beinahe 80’000 Menschen Hodcrofts Twitter-Profil, auf dem sie als Comic-Heldin mit Pfeil und Bogen auf ein SARS-CoV-2-Virus zielt. Ihr direkter Kommunikationsstil macht sie zu einer der renommiertesten Wissenschaftlerinnen der Schweiz.
Medien in aller Welt berichten über ihre Arbeit. Aber mit grosser Macht folgt grosse Verantwortung. Ihre eigentliche «Jagd» richtet sich gegen Fehlinformationen: «Bitte macht unsere Arbeit nicht schwieriger!», twittert sie in einem Appell an die Medien. «Schreibt verantwortungsvoll!»
Sonia Seneviratne: Prophetin des Klimawandels, ETH Zürich
Sonia SeneviratneExterner Link ist eine der einflussreichsten Klimawissenschaftlerinnen der Welt. Sie schrieb am BerichtExterner Link des Zwischenstaatlichen Ausschusses für Klimaänderungen (IPCC) mit. Die Veröffentlichung sorgte im vergangenen Jahr für Schlagzeilen, weil der Bericht feststellte, dass schwere Regenfälle und Hitzewellen in Zukunft aufgrund des Klimawandels zunehmen werden.
Obwohl sie in ihrem Feld führend ist, findet man im Internet nur wenige Informationen über Seneviratne. Ein Kollege nannte sie «eine der besten Forscherinnen der Schweiz» und «eine absolut brillante Person». Seneviratne ist sich dessen wohl nicht bewusst: Ihre Bescheidenheit und ihr Arbeitsethos erlauben es ihr nicht, die Hauptrolle zu spielen.
Die Forscherin hätte jedoch allen Grund dazu: Sie war diejenige, die den direkten Zusammenhang zwischen extremen Wetterereignissen und den globalen Temperaturen im Jahr 2018 entdeckt hat. Mit einem Abschluss in Biologie und einem Nebenfach in Umweltphysik ist Seneviratne bestens gerüstet: Der Klimawandel erhöht die Wahrscheinlichkeit von Hitzewellen um das 150-fache, so eine Studie aus dem letzten Jahr, an der sie beteiligt war.
Als Kind sind es die Wörter, die sie faszinieren: Sie schreibt Geschichten und verbringt Stunden damit, das Wörterbuch zu lesen. Später zog sie, fasziniert von Planeten und dem Universum, kurzzeitig ein Astronomiestudium in Betracht. «Aber dann habe ich mir gesagt, dass es hier auf der Erde wichtigere Probleme gibt», sagt sie.
Ihr Auftrag geht über die Forschung hinaus. In ihrem Privatleben unterstützt sie Formen des «gewaltlosen zivilen Ungehorsams» und fordert eine umweltfreundlichere Politik, weniger Öl- und Fleischkonsum, um die globale Erwärmung zu bekämpfen.
Im Alter von nur 32 Jahren erhielt sie eine Professur am Institut für Atmosphäre und Klima der ETH Zürich. Ihren Entschluss, eine akademische Laufbahn einzuschlagen, verdankt sie einem Austausch am Massachusetts Institute of Technology (MIT), wo sie viele Kolleginnen traf, die Professorinnen werden wollten. «Die grösste Schwierigkeit in der Schweiz war der Mangel an weiblichen Vorbildern, wie sie mir in den USA begegneten. Sie haben mir neue Perspektiven eröffnet.»
Lavinia Heisenberg: Die Herrscherin der Schwerkraft, ETH Zürich
Lavinia HeisenbergExterner Link will die Gesetze der Natur verstehen. «Woher kommen wir? Wie ist das Universum entstanden?», fragt sie sich. Der Kosmos übt eine besondere Anziehungskraft auf sie aus. Als Mädchen liebt Heisenberg Star Wars, als Erwachsene wendet sie sich der Physik und der Kosmologie zu.
Doch es ist die Schwerkraft, in der Heisenberg ihre Antworten sucht: Wenn wir die Natur oder die Physik des Universums beschreiben wollen, müssen wir verstehen, was das grundlegende Gesetz der Gravitation sei, sagt sie.
Ihre Studien und Forschungen haben Sie rund um den Globus geführt: Stockholm, Tokio, Waterloo… Heisenberg spricht acht Sprachen und kennt sich auf der ganzen Welt aus. Ihre Neugierde ist ungebremst, ebenso wie ihr Wunsch, die vielen Fragen zu beantworten, die mit jeder neuen Entdeckung dazu kommen. Die Liste ihrer Veröffentlichungen ist beeindruckend, und für ihre bahnbrechenden Arbeiten zur Gravitationstheorie wurde sie mehrfach ausgezeichnet.
Ihr Traum ist es jedoch, Astronautin zu werden. «Meine Chancen sind gering», sagt sie bescheiden. Doch das Zeug dazu hätte sie: Heisenberg ist nicht nur Professorin am Institut für Theoretische Physik der ETH Zürich und eine international renommierte Forscherin, sondern auch Sportlerin. Sie hält sich durch Laufen, Sport und Klettern fit. Aber sie trainiert auch ihren Geist, indem sie klassische Musik hört und Bogenschiessen übt. Das sei perfekt, «um sich zu konzentrieren und im Zen zu bleiben.»
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