Digital Nomads: Was beim Kurzzeit-Auswandern zu beachten ist
Vor der Pandemie galten sie als Exot:innen, heute liegen digitale Nomadinnen und Nomaden im Trend. Zahlreiche Länder locken sie mit speziellen Visa an. Wo liegen die Stolpersteine bei diesem Lebensstil?
Es ist acht Uhr abends auf Bali, das Thermometer zeigt an diesem Januarabend immer noch über 20 Grad an. Chantal Wyss (27) und Marvin Meyer (30) sitzen vor ihren Laptops in einem Zoom-Meeting – wie sie es täglich mehrere Stunden tun. In der Schweiz ist der Arbeitstag noch in vollem Gange.
Die beiden Berner:innen überwintern seit sechs Jahren im indonesischen Bali, seit zwei Jahren mieten sie in Canggu – dem Hotspot für digitale Nomadinnen und NomadenExterner Link – ein Haus, das sie nach ihren Wünschen umbauen. «Wir wollten im Land, in dem wir die Hälfte der Zeit wohnen, unbedingt ein eigenes Daheim», sagt Wyss. Deshalb haben sie einen Langzeit-Mietvertrag für ihre Villa abgeschlossen.
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Sie ist Unternehmerin, hat ihr eigenes Mode-Label, produziert in Bali, verkauft in der Schweiz. Er betreibt als gelernter Polygraf Network-Marketing und hat in der Schweiz seine eigene Filmagentur. Auf Instagram haben sie zusammen 12’500 Follower, sie berichten auf YouTube regelmässig aus ihrem Leben, er betreibt zudem einen Podcast mit einem Freund.
Kurz: Wyss und Meyer entsprechen dem gängigen Klischee der digitalen Nomadinnen und Nomaden. Sie sind jung, gutaussehend, selbstständig und für ihre Arbeit in einem Surf-Mekka stationiert.
Mehrere Millionen sind unterwegs
Die Pandemie hat dem Trend zum digitalen Nomadentum einen Schub gegeben. «Offizielle Zahlen für die Schweiz fehlen», sagt Lorenz Ramseyer, Präsident Digitale Nomaden Schweiz. Er verweist jedoch auf die Studie der Wyse Travel ConfederationExterner Link, die von einem weltweiten Wachstum von 7,5 Millionen digitalen Nomadinnen und Nomaden im Jahr 2017 auf 35 Millionen im Jahr 2022 ausgeht.
Mobil-flexibles Arbeiten wird in der Schweiz laut der «FlexWork Studie 2022Externer Link«, die im Auftrag der Work Smart Inititative durchgeführt wurde, für Erwerbstätige immer wichtiger. Für 15% von ihnen ist es sogar ein «Muss-Kriterium» bei einer hypothetischen neuen Stellensuche – das ist dreimal mehr als noch 2016.
«Unser Verein erhält zunehmend Anfragen von Personalverantwortlichen», sagt Ramseyer. Früher seien es eher Freelancer gewesen, die sich für diese Lebensform entschieden. Heute würden auch vermehrt Angestellte von sogenannten Workations – eine Mischung aus Arbeit und Ferien – profitieren wollen.
Nicht ganz dem gängigen Bild einer typischen digitalen Nomadin entspricht Sarah AlthausExterner Link. Sie ist 38 Jahre alt und geht dem digitalen Nomadentum mit ihrem Partner und zwei kleinen Kindern nach. Althaus referiert zum ThemaExterner Link unter anderem für den Verein Digitale Nomaden Schweiz.
«Finanzen und Schulpflicht sind die Themen, welche jene Leute am meisten beschäftigen, die es uns gleichtun wollen», sagt die Reise- und Finanzbloggerin. Sie betont, dass es auch mit Kindern möglich ist unterwegs zu sein. «Es braucht dafür einfach die nötige Organisation und Geduld.» Im Dezember ist ihre Familie von ihrer einjährigen Reise zurückgekehrt.
Egal wie lange die temporären Auslandschweizer:innen unterwegs sind, es gilt einiges zu beachten bei der Auswanderung auf Zeit.
«Viele bewegen sich in einer Grauzone»
Gerade die Krankenversicherung ist für die digitalen Nomadinnen und Nomaden ein grosses Thema – soll auf eine internationale Versicherung gesetzt werden? Oder ist es sinnvoller, zu versuchen, die Versicherung in der Schweiz zu behalten? «Grundsätzlich bleibt für Digital Nomads, die aus der Schweiz starten und wirklich immer unterwegs sind, die Krankenversicherungspflicht in der Schweiz erhalten», sagt Nicole Töpperwien, Geschäftsführerin von SoliswissExterner Link.
Auch die Aufenthaltsbewilligung im Aufenthaltsland kann zum Thema werden. Wyss und Meyer reisten mit einem Business-Visum in Indonesien ein, da die Produktion ihrer Sportmode in Bali stationiert ist. In der Regel aber wählen digitale Nomadinnen und Nomaden das Touristenvisum. Dies sorgt jedoch immer wieder für Kritik an diesem Lifestyle – sei es arbeits- oder steuerrechtlich.
Denn digitale Nomadinnen und Nomaden üben im Gastland eine Erwerbstätigkeit aus. Und die Aufenthaltsgenehmigung als Tourist:in ist keine Arbeitserlaubnis: Dafür bestehen je nach Land oft sehr hohe Hürden. «Viele digitale Nomaden bewegen sich in einer Grauzone», sagt Ramseyer.
Auch Soliswiss sagt, «es ist gar nicht einfach, alles richtig zu machen.» In der Beratung stellt die dafür spezialisierte Genossenschaft immer wieder fest, dass die Praxis vielfach anders aussehe als das, was der Gesetzgeber gerne haben würde.
Viele Länder haben in den letzten Jahren jedoch reagiert und stellen Visa speziell für digitale Nomadinnen und NomadenExterner Link aus. «Portugal ist da Pionier – es setzte schon vor der Pandemie auf die Karte Remote Work», sagt Ramseyer.
Wo bin ich steuerpflichtig?
Je nach Aufenthaltsvisum müssen im Gastland auch keine Steuern bezahlt werden. Ramseyer sieht es pragmatisch: «Die Schweiz scheint nicht gross etwas dagegen zu haben, da die Steuern immer noch hier bezahlt werden.» Gleichzeitig würden sich die Gastländer auch kaum beschweren, da die digitalen Nomadinnen und Nomaden länger bleiben und mehr Geld ausgeben würden als «normale» Tourist:innen.
«Steuerrechtlich muss immer jeder Einzelfall und jeder Gaststaat spezifisch angeschaut werden», sagt Töpperwien. Ist man immer unterwegs und begründet nirgendwo einen neuen Wohnsitz, bleibt man grundsätzlich in der Schweiz steuerpflichtig.
Arbeite man hingegen mehrere Monate an einem Ort, insbesondere für einen lokalen Arbeitgeber, dann könne es sein, dass man einen Wohnsitz und Steuerdomizil begründe und in diesem Land unbeschränkt steuerpflichtig werde. Aber auch da gäbe es Ausnahmen, und dies müsse individuell abgeklärt werden. «Wenn man nirgends Steuern zahlt, hat man meistens etwas falsch gemacht», so Töpperwien.
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Ein Leben mit Laptop und Rucksack
Fehlendes Netzwerk wird unterschätzt
Stolpersteine beim trendigen Lifestyle gibt es zuhauf. Doch Wyss und Meyer in Bali sehen in den Fehlern, die sie in der Vergangenheit gemacht haben, immer auch wieder die Möglichkeit, Neues zu lernen. Sie selbst hatten Glück, nur einmal seien sie an einen Einheimischen geraten, der es nicht gut mit ihnen meinte.
«Mit Recherche kann man Fehler schon im Voraus vermeiden», sagt Althaus. Wenn man mit Kindern unterwegs sei, gewinne gute Vorbereitung noch mehr an Bedeutung.
Ramseyer hat in den letzten Jahren festgestellt, dass die technische Ausstattung des digitalen Nomadentums oft zu wenig berücksichtigt werde. «Längerfristig würden die Kulturunterschiede, das Heimweh und das fehlende Businessnetzwerk unterschätzt werden.»
Nicht zu vergessen, das Bankkonto. «Es gibt fast nichts Unangenehmeres, als wenn das Bankkonto gekündigt wird, während man selbst am anderen Ende der Welt ist», sagt Töpperwien. Bevor es losgehe, sollte immer mit der Bank geschaut werden, unter welchen Bedingungen Konto, Kreditkarte und E-banking beibehalten werden könnten.
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