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Die ehrliche Maklerin im Netz

Bundeshaus beleuchtet
Keystone / Marcel Bieri

Die Schweiz hat eine "digitale Aussenpolitik" formuliert. Sie zeigt das Selbstverständnis des Landes im digitalen Zeitalter.

Das Internet sollte ein offener, weltumspannender Ort werden, der allen Menschen zusteht. Das war einst die Hoffnung. Längst aber ist es zu einem Austragungsort neuer Machtkämpfe geworden – im Netz erfolgt mittlerweile die Weiterführung der klassischen Geopolitik mit digitalen Mitteln.

Die Internetfreiheit findet sich auf dem Rückzug, wie das Center for Security Studies der ETH Zürich kürzlich in einer Studie festhieltExterner Link. Durch digitalisierte Landesgrenzen – China ist das bekannteste, aber keineswegs einzige Beispiel – fragmentiert sich die globale Netzöffentlichkeit, staatliche Regulierungen gewinnen immer mehr Einfluss. Galten soziale Medien etwa während des arabischen Frühlings noch als Treiber der Revolution, ist es heute zur Norm geworden, dass autoritäre Regime während Unruhen den Zugang zum Internet kappen. Digitale Kontrollinstrumente gehören heute zum Arsenal autoritärer Regime – und nicht nur.

Die neuen Grenzen und Machtverhältnisse im Netz haben auch Auswirkungen auf zwischenstaatliche Beziehungen. Diplomatie und Multilateralismus sind zunehmend geprägt von Entwicklungen im Cyberspace. Zudem verwischt im Netz die Grenze zwischen staatlichen und parastaatlichen Akteuren.

Viele Regierungen haben die Bedeutung dieser Entwicklung erkannt und formulieren nun entsprechende Strategien, die sich je nach Ressourcen und Ambitionen stark unterscheiden können. Die Schweiz hat kürzlich ihre Strategie Digitalaussenpolitik 2021-2024Externer Link veröffentlicht, mit der sie darlegt, wie sie ihre Aussenpolitik in den digitalen Raum ausdehnen will. Darin definiert das Aussendepartement EDA die Aktionsfelder, welche es für die Schweiz in den nächsten Jahren als relevant erachtet. Welche Bedeutung die Schweiz diesem Feld zumisst, zeigt sich in dessen strategischer Einbettung: Die Digitalisierung, die in der Aussenpolitischen Strategie 2020-2023Externer Link einer der vier thematischen Schwerpunkte ist, wird nicht einzig als Instrument definiert, sondern als eigenständiges aussenpolitisches Themenfeld näher präzisiert.

Neutral ins Internet?

Zwei Dinge stehen im Zentrum: Einerseits geht es darum die internationale Gouvernanz – also die Regierungsführung – im Netz zu festigen. Das Stichwort hier lautet digitaler Multilateralismus. Andererseits will sich die Schweiz zum zentralen Ort für Digitalisierungs- und Technologiedebatten positionieren – mit Genf als global führendem Hub.

  1. Mithilfe der Digitalen Gouvernanz will die Schweiz dazu beitragen, dass allgemein verbindliche völkerrechtliche Regeln auch in Netz gelten. Gerade für ein kleines Land mit beschränkten machtpolitischen Möglichkeiten wie die Schweiz ist das elementar.
  2.  Globaler Wohlstand und nachhaltige Entwicklung sind Voraussetzungen, damit die stark international vernetzte Schweizer Wirtschaft weiterhin bestehen kann – und auch in neuen digitalen Geschäftsfeldern anknüpfen kann.
  3. Die Cybersicherheit rückt vermehrt in den Fokus. Die Corona-Pandemie, in deren Zuge auch kritische Infrastruktur etwa im Gesundheitswesen angegriffen wurde, hat klargemacht, dass Sicherheitsfragen im Netz künftig noch wichtiger werden.
  4. Mit der Digitalen Selbstbestimmung will die Schweiz auch die Menschenrechte in die Debatte einbringen: Diese sollen ohne geografische Grenzen sowohl online wie offline gelten.

Als neutrales Land mit einer langen Tradition von Guten Diensten sieht sich die Schweiz laut Strategie in einer guten Ausgangslage, um als vermittelnde Stimme in Konflikten aufzutreten, die das Netz betreffen. Und als Gaststaat zahlreicher Organisationen will man auf bewährte Beziehungen setzen. Damit präsentiert sich die Schweiz als «ehrliche Maklerin im Netz», die sich für gleiche Regeln für alle im Internet einsetzt und eine Bühne für künftige Verhandlungen in Fragen rund um die Digitalisierung bieten will.

Natürlich geht es in der Strategie aber auch um die Verfolgung klassischer aussenpolitischer Ziele: Der Wirtschaftsstandort Schweiz soll weiterhin attraktiv und kompetitiv bleiben, die Hochschulen und Forschungsstätten von der internationalen Vernetzung profitieren. Und mit der Stärkung der Marke «Genève internationale» kumuliert sich politisches und ökonomisches Kapital weiterhin in der Schweiz an.

Genf ist bereits heute Sitz von zahlreichen Organisationen, die im technologischen Bereich tätig sind. Die meisten sind der breiten Öffentlichkeit nicht bekannt, sind jedoch in ihrer Sparte umso bedeutender. Dieser digitale Cluster erhöht die Chancen der Rhonestadt, Kontinuitäten zu nutzen und auch künftig im Bereich Digitalisierung eine führende Rolle zu spielen.

Wie «Genève internationale» von der Digitalisierung betroffen ist und wie die Schweiz entsprechend ihrer neuen Strategie reagieren kann, wurde kürzlich sichtbar: Die Eidgenossenschaft hat im November mit einem ProtokollExterner Link das Sitzabkommen mit dem Internationalen Komitee des Roten Kreuz IKRK aktualisiert. Darin geht es explizit auch um Fragen rund um die Digitalisierung: Um sein Mandat wahrnehmen zu können, muss das IKRK auf grosse Mengen von Daten und sensiblen Informationen zurückgreifen können. Diese sollen künftig besser geschützt werden.

Was aber taugt eine solche Strategien? Wo greift sie in der Realität? Daniel StauffacherExterner Link beurteilt die neue Strategie der Schweiz positiv: «Es ist ein sehr umfassender Ansatz, der das Wesentliche unter einen Hut bringt.» Die Schweizer Anliegen seien durchaus legitim. Der ehemalige Diplomat ist Gründer und Präsident der Stiftung ICT4PeaceExterner Link, die sich vor allem mit Cybersicherheit beschäftigt. Stauffacher fungierte als Berater für zahlreiche Regierungen und internationale Organisationen und weiss: Souveränität im Netz ist nur bedingt möglich. Umso wichtiger sei die grösstmögliche Selbstbestimmung.

«Die Schweiz steht in dieser Hinsicht gut da. Im Netzzeitalter spielt die Grösse des Staates keine Rolle mehr – umso wichtiger ist es deshalb, Spielregeln zu haben, an denen sich alle halten», so Stauffacher. Der multilaterale Ansatz sei für Staaten wie die Schweiz elementar. «Wir gehen jetzt ins Netzzeitalter, die Rahmenbedingungen in der digitalen Welt sind noch nicht festgelegt – diesen Zeitpunkt muss man nutzen, um proaktiv zu sein.»

Dabei muss das Rad nicht komplett neu erfunden werden. Die Schweiz ist in Sachen Politik und Digitalisierung schon lange aktiv ist und kann als eigentliche Pionierin gelten: Im Jahr 2003 fand in Genf das World Summit on the Information SocietyExterner Link statt, an dem auch Stauffacher massgeblich involviert war. Beim Weltgipfel nahmen 13’000 Besucher teil, darunter 200 Minister und 80 Staats- und Regierungschefs. «Der Zeitpunkt für diese Strategie ist also nicht etwa zu früh gewählt», so Stauffacher.

Ob die Strategie zu ambitioniert sei? Nein, ist der frühere Botschafter überzeugt: «In erster Linie müssen die Leitlinien definiert werden. Im Alltagsgeschäft wird es dann darum gehen Allianzen zu schmieden und diejenigen Themen aufzugreifen, für die man die nötigen Kompetenzen hat.» Die Schweiz hat strategische Partnerschaften mit gleichgesinnten Ländern, daraus ergeben sich zahlreiche Synergien.

Etwa mit der EU. Diese sei bisher in ihrem Vorgehen verzettelt gewesen, glaubt Stauffacher – was jedoch zum Teil Zeugnis des Kompetenzgerangels zwischen Union und Mitgliedstaaten sei, insbesondere bei der Aussenpolitik, ein Politikbereich, dem hohe Bedeutung zugemessen wird und wo niemand gerne Kompetenzen abtritt. Es ist jedoch abzusehen, dass in Brüssel relevante strategische Entscheidungen gefällt werden, die das gesamteuropäische Vorgehen im Netz konkretisieren werden.

Die Schweiz als Vorbild?

Frei von Widersprüchen ist die Strategie jedoch nicht. Nicolas ZahnExterner Link vom aussenpolitischen Think-Tank forausExterner Link weist auf die Diskrepanz zwischen den aussenpolitischen Ansprüchen und den innenpolitischen Realitäten. «So soll die Schweiz gemäss der Strategie – und unserer Meinung nach zu Recht – gegen aussen Netzneutralität vertreten, während sich das Parlament mit diesem Thema sehr lange sehr schwergetan hat.» Zudem, so Zahn, frage sich ganz allgemein inwieweit die Schweiz global wirklich als Digitalisierungsvorbild taugt.

Dennoch beurteilt auch er die Strategie positiv ein. Was ihm besonders auffällt: Während solche Strategien meist die Ebene des Staates oder allenfalls der Wirtschaft behandeln, rücke die Schweiz das Individuum in den Vordergrund. Auch fänden sich interessante Ideen wie ein Schweizer Datenraum darin.

Wie die Ziele letztlich auch umgesetzt werden – das digitale Selbstbewusstsein der Schweiz wird in der Strategie eindeutig formuliert: «Der Geltungsanspruch der schweizerischen Aussenpolitik kann nicht im physischen Raum enden.»

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