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Neutralität im Cyberspace: Neue Herausforderungen für die Schweiz

Martin Dahinden

Wie soll die Schweiz auf die Gefahr von Cyberkriegsführung reagieren? Alt-Botschafter Martin Dahinden wirft die relevanten Fragen auf und zeigt, wo Diskussionsbedarf besteht.

Der Cyberspace, die global vernetzten digitale Informations- und Kommunikations-Infrastruktur, ist eine neue Sphäre, die auch Kriegsschauplatz sein kann. Viele Gewissheiten über bewaffnete Konflikte werden damit auf den Kopf gestellt. Räumliche und zeitliche Distanzen verschmelzen, staatliche Territorien verlieren ihre einstige Bedeutung, völkerrechtliche Normen werden interpretationsbedürftig.

Inzwischen hat im Cyberspace ein eigentlicher Rüstungswettlauf begonnen. Auch die Schweizer Armee baut ihre Cyberkapazität aus. Was bedeuten diese Entwicklungen für die Neutralität der Schweiz? Wird sie bald vom technologischen Fortschritt überholt? Oder hat sie Antworten auf die neuartigen Herausforderungen?

Martin Dahinden war Schweizer Botschafter in den USA. Er ist Stiftungsrat-Mitglied des Think-Tanks ICT4PeaceExterner Link und lehrt Sicherheitspolitik an der Universität Zürich.

Dieser Text basiert auf den Policy Brief «Schweizer Neutralität im Zeitalter der Cyberkriegsführung»Externer Link, den er für ICT4Peace verfasst hat.

Herausforderung Cyberangriffe

Cyberangriffe sind typischerweise Teile einer hybriden Kriegsführung. Sie treten zusammen auf mit regulären und irregulären, militärischen und nichtmilitärischen, symmetrischen und asymmetrischen, offenen und verdeckten Kampfformen. Oft ist es schwierig, die Urheber der Angriffe festzustellen. Es ist auch umstritten, bei welchen Aktivitäten und ab welcher Intensität es sich überhaupt um einen Angriff handelt.

International besteht ein solider Konsens, wonach das bestehende Völkerrecht auch im Cyberraum gilt. Was das für die einzelnen völkerrechtlichen Normen genau bedeutet ist aber oft nicht klar. Das ist die Schlussfolgerung aus den Beratungen im Rahmen der UNO.

Neutralitätsrecht im Cyberraum

Auch das Neutralitätsrecht ist im Cyberspace gültig. Staaten werden sich von Konflikten fernhalten und die Rechte und Pflichten eines Neutralen beanspruchen. Dieses Neutralitätsrecht gilt für alle Staaten. Für einen dauerhaft neutralen Staat wie die Schweiz haben das Neutralitätsrecht und die die vielen ungeklärten Fragen eine besonders grosse Bedeutung.

Was beispielsweise bedeutet das Recht des Neutralen auf die Unverletzlichkeit seines Territoriums in einem Cyberkrieg? Geht es um physische Wirkungen, um Schäden an Menschen und Objekten? Geht es auch um die Funktionsfähigkeit internetbasierter Instrumente oder sogar umfassend um den digitalen Raum unter seiner Kontrolle und rechtlicher Zuständigkeit?

Die UNO empfiehlt, Staaten zu unterstützen, falls ihre Infrastruktur Cyberangriffen ausgesetzt ist. Wann ist eine solche Unterstützung unbedenklich wie die humanitäre Hilfe und wann wird die Schwelle zur aktiven Unterstützung einer Konfliktpartei überschritten? Welche Massnahmen muss ein neutraler Staat ergreifen, damit seine Infrastruktur von den Kriegsführenden nicht benutzt werden kann, wie es das Neutralitätsrecht will? Zu diesen und vielen ähnlichen Fragen fehlen zuverlässige Antworten.

Neutralitätspolitik im Cyberspace

Weil die Schweiz dauerhaft neutral ist, macht sie mit ihrer Neutralitätspolitik schon zu Friedenszeiten glaubhaft, dass sie im Falle bewaffneter Konflikte neutral bleiben wird. Das ist nicht eine Frage der Auslegung des Völkerrechts, sondern der geeigneten aussen- und sicherheitspolitischen Konzepte.

Welche Formen der militärischen Zusammenarbeit mit anderen Staaten im Cyberbereich sind nun vertretbar, ohne abhängig zu werden oder falsche Wahrnehmungen auszulösen? Wie steht es um den Aufbau von offensiven Kapazitäten der Cyberkriegsführung? Schaden sie der Glaubwürdigkeit der Neutralität oder sind sie notwendig, weil auch neutrale Staaten das legitime Recht auf Selbstverteidigung haben? Es ist erstaunlich, dass solche und ähnliche Themen in der gegenwärtigen sicherheitspolitischen Diskussion keinen grösseren Raum einnehmen.

Engagement für Frieden und Sicherheit

Die Neutralität ist Grundlage für die besondere Rolle der Schweiz in der Staatengemeinschaft.  Dazu gehören das humanitäre Engagement und die Guten Dienste. Wie steht es mit dieser Rolle im Cyberzeitalter?

Die Schweiz hat gute Voraussetzungen, auch in diesem Rahmen eine nützliche und profilierte Rolle zu spielen und damit zu Frieden und Sicherheit beizutragen. Das Spektrum der Möglichkeiten ist gross, aber noch nicht ausgelotet.

Massnahmen zur Eindämmung von Konfliktrisiken aus dem Cyberspace sind vordringlich und werden international diskutiert. Es geht vor allem um mehr Transparenz, um Vertrauensbildung und um Mechanismen zur Deseskalation. Solche Massnahmen werden üblicherweise multilateral umgesetzt. Ein neutraler Staat wie die Schweiz ist aber in einer bevorzugten Ausgangslage, um Vorschläge einzubringen.

Cyberkriegsführung kann Opfer an Menschenleben und physische Zerstörungen verursachen. Das erfordert humanitäre Hilfe, wie in klassischen Konflikten. Prüfenswert sind neuartige Hilfeleistungen, etwa Cyber Rescue Kapazitäten. Die Corona-Pandemie hat gezeigt, wie wichtig die Informations- und Technologie-Infrastruktur auch für Entwicklungsländer ist. Technische Unterstützung, Hilfe bei der Gesetzgebung, Unterstützung bei der Regulierung usw. werden wichtige Bereiche der zukünftigen internationalen Zusammenarbeit.

Ein vernachlässigtes Risiko sind private Cybersicherheitsfirmen, die Dienstleistungen anbieten, welche sich auch für offensive Cyber-Operationen eignen. Es ist ähnlich wie bei privaten Sicherheitsfirmen, mit denen die Schweiz viel Erfahrung hat und sich international stark engagierte.

Zukunftsaussichten

Der Bundesrat will Genf zu einer Drehscheibe für die Zusammenarbeit im digitalen Bereich machen. Dazu werden Synergien mit internationalen Organisationen genutzt. Der unkomplizierte Umgang der schweizerischen Bundesbehörden mit dem Privatsektor und zivilgesellschaftlichen Organisationen ist dazu ein wichtiger Vorteil.

Die Digitalisierung aller Lebensbereiche wird in den nächsten Jahren rasch fortschreiten. Mit den bevorstehenden technologischen Umbrüchen und der Rückkehr der Grossmachtrivalitäten spielen Risiken aus dem Cyberspace in Zukunft eine noch grössere Rolle. Für die Schweiz ist das eine Herausforderung mit vielen Chancen. Sie wird auch zu einer spannenden Weiterentwicklung der Neutralität führen.

Die in diesem Artikel geäusserten Ansichten sind ausschliesslich jene des Autors und müssen sich nicht mit der Position von swissinfo.ch decken.

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Debatte
Gastgeber/Gastgeberin Giannis Mavris

Welche Zukunft hat das Schweizer Neutralitätsmodell?

Kann es in Zeiten der Blockbildung und des geopolitischen Antagonismus überhaupt einen neutralen Weg geben?

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