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«Cassis hat wichtige Fragen aufgeworfen»

Bundesrat Ignazio Cassis
Bundesrat Cassis in Amman, Jordanien am 14. Mai 2018. Der neue Aussenminster weicht in der Kommunikation von seinem Vorgänger ab. © Ti-Press

Bundesrat Cassis fällt mit einem unkonventionellen Kommunikationsstil auf. Die schnellen und überraschenden Wendungen sorgen sowohl im In- und Ausland für Reaktionen. swissinfo.ch hat mit alt Botschafter Paul Widmer über die Bedeutung der Kommunikation in der Diplomatie gesprochen.

Alt Botschafter Paul Widmer
Paul Widmer (*1949). Der ehemalige Botschafter ist Lehrbeauftragter für Internationale Beziehungen an der Universität St. Gallen. Als Diplomat war er bei der UNO in New York, in Washington, D.C. und in Jordanien stationiert. Zuletzt leitete er die Schweizer Botschaft beim Heiligen Stuhl in Rom. zvg

swissinfo.ch: Handelt der Aussenminister intuitiv oder steckt dahinter eine Taktik?

Paul Widmer: Ob diese Kommunikation taktisch begründet ist oder rein intuitiv, kann ich nicht beurteilen. Bundesrat Cassis hat aber wichtige Fragen aufgeworfen und das Echo war dementsprechend gross, sowohl beim Thema UNRWA als auch beim Rahmenabkommen. Die Probleme, die er angesprochen hat, sollten schon lange diskutiert werden.

swissinfo.ch: Hat eine solche Herangehensweise Erfolgschancen?

P.W: Bundesrat Didier Burkhalter wurde immer wieder vorgeworfen, dass seine Aussenpolitik nicht genügend in der Innenpolitik verankert gewesen sei. Cassis versucht, dieses Manko zu beheben, in dem er den Kontakt mit dem Volk für die Positionierung seiner Aussenpolitik sucht. 

Hier sehe ich gewisse Anfangserfolge. Besonders bei den flankierenden Massnahmen ist es wichtig, die starren roten Linien aufzuweichen, um in den Verhandlungen voranzukommen. Auch die Fragen an die UNRWA sind berechtigt. Wenn ein Flüchtlingshilfswerk schon seit 70 Jahren besteht, ist es angebracht, über dessen Daseinszweck zu diskutieren. 

Auf einen zweiten Blick ist aber seine Aussage nicht sehr durchdacht, da wir in Europa genau die Errichtung von solchen Flüchtlingslagern in Drittländern fordern, um die Flüchtlingskrise zu bewältigen. Und zudem muss man solche Fragen zuerst im Gesamtbundesrat diskutieren, bevor man an die Öffentlichkeit tritt.

swissinfo.ch: Gab es solche Episoden in der Schweizer Aussenpolitik auch schon früher, oder ist dies ein relativ neues Phänomen?

P.W: Die Schweiz hat eine Exekutive, die nach dem Kollegialitätsprinzip funktioniert. Dennoch kamen solche Episoden immer wieder vor. Beispielsweise wurde schon Bundesrätin Calmy-Rey wegen gewissen Aussagen zum Nahost-Konflikt vom Gesamtbundesrat zurückgepfiffen. Der wohl bekannteste Fall aber war der von Bundesrat Arthur Hoffmann während des Ersten Weltkriegs. Hinter dem Rücken des Bundesrates versuchte er zwischen einigen Kriegsparteien zu vermitteln. Er gefährdete eine strikte Neutralitätspolitik. Deshalb desavouierte ihn der Gesamtbundesrat und er musste zurücktreten.

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swissinfo.ch: Wie geht man als ausführender Beamter oder als Diplomat mit einem solchen Kommunikationsstil um?

P.W: Im Alltag eines Diplomaten nimmt man solche Aussagen mit einer gewissen Gelassenheit hin, denn wie die Vergangenheit zeigt, kommen solche Wendungen und Schnellschüsse immer wieder vor. Handelt es sich um wirklich folgenreiche, schwierig zu kommunizierende Positionen, stellt der Botschafter in der Auslandsvertretung Rückfragen an die Zentrale in Bern. Wesentlich sind dabei die Instruktionen für den Umgang mit Journalisten und Regierungsbeamten anderer Länder. Je nach Wichtigkeit reichen diese Regelungen von lockeren Empfehlungen bis hin zu streng einzuhaltenden Sprachregelungen.

swissinfo.ch: Sind diese überraschenden Statements ein Zeichen der Zeit?

P.W: Gewiss. Schnelle, spontane Äusserungen von Entscheidungsträgern nehmen zu. Dieser Trend ist zweifelsohne der Dominanz der sozialen Medien geschuldet. Wenn Sie Twitter als Kommunikationsinstrument anschauen, dann sehen sie das pure Gegenteil von klassischer Diplomatie. Ich pflege zu sagen, dass ein guter Diplomat zweimal nachdenkt, bevor er nichts sagt. Auf Twitter, so kommt es mir vor, schickt man zuerst zwei Posts raus, bevor man überhaupt anfängt, nachzudenken. 

Nur wird die Twitter-Diplomatie nicht Bestand haben, da sie das wichtigste Instrument der Diplomaten, die Sprache, immer mehr aushöhlt. Es wird schwieriger werden, Übereinkünfte jeglicher Art zu schliessen, wenn Worte zunehmend ihre Verbindlichkeit verlieren.

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