Warum Schweizer KMU im Osten Deutschlands investieren
Schweizer Unternehmen gehören im Osten Deutschlands zu den wichtigsten Investoren. In Thüringen führen sie die Liste ausländischer Unternehmen an.
Derzeit baut Swissplast, eine kleine mittelständische Unternehmung aus Sargans im Kanton St. Gallen, eine neue Fertigungsstätte im thüringischen Gotha. Fördermittel und die niedrigen Grundstückspreise gaben den Ausschlag für seine Entscheidung, erzählt Inhaber Barac Bieri.
Swissplast produziert hochwertige Kunststoffteile, von kleinen Komponenten für Heizungskörper bis hin zu grossen Verschalungen und kompletten Nasszellen für Wohnmobile. Die Firma wächst rasant und musste expandieren. Doch in der Schweiz sind Gewerbeflächen rar und zehn bis zwanzig Mal so teuer wie in Thüringen, sagt der Unternehmer Bieri.
Zugleich rückt Swissplast durch die neue Fabrik näher an seine Kunden: Über 90% von ihnen haben ihren Sitz in Deutschland. Neue Kunden im Norden sind von Gotha aus schneller und kostengünstiger zu erreichen als aus der Schweiz.
Schweizer Direktinvestitionen in Deutschland
Schweizer Unternehmen investierten 2018 rund 10 Milliarden Euro in Deutschland. Das waren 150% mehr als im Jahr zuvor. Damit ist das Land nach den Niederlanden, Luxemburg und Grossbritannien der vierwichtigste Investor in Deutschland. Insgesamt beschäftigen Schweizer Unternehmen in Deutschland rund 426’000 Angestellte
74 eidgenössische Unternehmen zählt Susann Martens von der Landesentwicklungsgesellschaft (LEG) Thüringen mittlerweile in ihrem Bundesland, fast dreimal so viel wie noch vor 15 Jahren. Sie ist bei der LEG unter anderem für die Anwerbung von Schweizer Unternehmen zuständig. Allein in den vergangenen vier Jahren sei deren Zahl in Thüringen um fast 30% gestiegen, bestätigt eine Aufstellung der Handelskammer Deutschland-Schweiz mit Sitz in Zürich.
Darunter befinden sich auch grosse Namen wie Novartis sowie Endress und Hauser. Die deutsche Tochter des Schweizer Spezialisten für Mess- und Automatisierungstechnik übernahm 2016 die renommierte deutsche Analytik Jena AG. Der Lysser Konzern Feintool fertigt in Jena wiederum mit mittlerweile rund 250 Angestellten im Feinschneideverfahren Komponenten für die Automobilindustrie.
Fachkräfte werden auch hier rar
Dabei, so Susann Martens, liege das ostdeutsche Bundesland für viele erst einmal nicht in ihrem Blickfeld. “Traditionell schauen die Schweizer eher nach Baden-Württemberg“, sagt sie. Gegen die starke Konkurrenz aus dem Südwesten Deutschlands wirbt sie für die Vorzüge Thüringens als Wirtschaftsstandort und ebnet interessierten Firmen den Weg.
Viele Schweizer Investoren überzeuge auch die zentrale Lage und die gute Forschungs- und Verkehrsinfrastruktur Thüringens, hat LEG-Sprecher Holger Wiemers beobachtet. Strassen, ICE-Bahnverbindungen und Flughäfen des Bundeslandes wurden nach der Wende auf den modernsten Stand gebracht.
Von hier aus lassen sich sowohl west- als auch osteuropäische Märkte erschliessen. Zudem verfügt Thüringen über ein enges Netz an Forschungseinrichtungen und Hochschulen und über eine ähnliche Industriestruktur wie die Schweiz: Kleine und mittelständische Unternehmen prägen die Wirtschaft.
Traditionell stark sind der Maschinenbau, die Metallbearbeitung sowie die Feinwerktechnik und die optische Industrie. Entsprechend lassen sich hier gut ausgebildete Fachkräfte finden. “Diese werden allerdings auch bei uns langsam rar“, räumt Holger Wiemers ein. Thüringens Arbeitslosenquote ist mittlerweile die niedrigste im Osten Deutschlands und liegt mit 5,1% sogar unter jener westlicher Bundesländer wie Nordrhein-Westfalen (6,6%), Bremen (10,0%) und Berlin (7,8%).
Deutsche Bürokratie erschreckt
Dass Barac Bieris Wahl auf Gotha fiel, ist auch dem Zufall geschuldet. 2017 ergab sich die Gelegenheit, dort zwei für seine Produktion passende Maschinen zu übernehmen. Darauf aufbauend expandiert er nun: Derzeit errichtet Swissplast auf einem 25’000 Quadratmeter grossen Grundstück in Gotha eine neue Halle, eine zweite ist bereits in Planung. In naher Zukunft sollen dort bis zu 30 Angestellte arbeiten. Insgesamt beschäftigt das Unternehmen an vier Standorten 180 Mitarbeitende.
Auf die Frage, ob die Fertigung in Deutschland betriebswirtschaftliche Vorteile gegenüber der Schweiz biete, winkt Baric Bieri ab. Was er in Gotha an Lohnkosten spare, fliesse nebst anderen Gebühren am Jahresende durch den höheren Steuersatz an das deutsche Finanzamt und fehle somit für zukünftige Investitionen. Dennoch bedauert er seine Entscheidung nicht. Es mache Sinn für ihn, mitten im wichtigen deutschen Markt präsent zu sein.
Auch wenn die regionalen Wirtschaftsförderer und Kommunen bemüht sind, den Investoren Steine aus dem Weg zu räumen – an der deutschen Bürokratie kommen auch sie nicht vorbei. Der Swissplast-Chef lobt die Unterstützung durch die Stadt Gotha im Ansiedlungsprozess und ist doch zugleich hörbar entsetzt über seine Erfahrungen mit den umständlichen Abläufen in der deutschen Verwaltung.
«Gut, dass ich das vorher nicht gewusst habe», sagt er halb lachend und nennt ein Beispiel. Auf seine Anfrage an die deutsche Steuerbehörde zum Wechsel des Steuerjahrs erhielt er nach drei Wochen einen negativen Bescheid. «In der Schweiz hatte ich in der gleichen Angelegenheit nach neun Minuten eine positive Antwort im Email-Eingang», erinnert er sich. Das sei repräsentativ für alles, was er erlebt habe.
Bereits die dritte Investitionswelle
Abschrecken lassen sich die meisten davon jedoch nicht. Susann Martens von der LEG Thüringen erzählt, dass derzeit bereits die dritte Welle Schweizer Investoren nach Thüringen komme. Die erste begann nach der Wende 1989 und war durch Übernahmen der ehemals volkseigenen DDR-Betriebe geprägt.
In den neunziger Jahren folgten dann, auch motiviert durch hohe Fördergelder, zahlreiche neue Ansiedlungen von Schweizer Unternehmen. Zum Beispiel eröffnete die BASWA Acoustic AG aus Baldegg einen Standort im thüringischen Gotha. Das Unternehmen konstruiert Akustiksysteme wie schallschluckende Decken, seine Produkte sind im Bundeshaus in Bern und im Weissen Haus in Washington zu finden.
In den vergangenen fünf Jahren wiederum lieferte der erstarkte Franken ein gutes Argument für ein Standbein beim deutschen Nachbarn und löste eine dritte Welle aus. Von Deutschland aus entfallen im Euroraum Währungsschwankungen und Zollbeschränkungen.
Mitten drin in einem der wichtigsten Märkte Europas zu sein, das ist für viele Unternehmen ein schlagkräftiges Argument. “Von hier aus lassen sich leichter neue Kontakte zu deutschen Firmen knüpfen als aus der Schweiz“, bestätigt Barac Bieri.
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