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«E-Voting reicht nicht aus»

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© Keystone / Jean-christophe Bott

Auf ihren Kongress in St. Gallen hin stellt die Swisscommunity die Beteiligung der Auslandschweizer:innen an Wahlen und Abstimmungen ins Zentrum – und präsentiert eine Forderung.

«Der Bundesrat hat uns ein kleines Geschenk gemacht», sagt Filippo Lombardi an der Pressekonferenz zum Auftakt des Auslandschweizer-Kongresses in St. Gallen. Die Regierung hatte tags zuvor den Versuch von drei Schweizer Kantonen mit E-Voting auch für die Nationalratswahlen im Oktober zugelassen.

Für die Auslandschweizer-Organisation ASO ist dies ein weiterer Schritt nach vorn auf einem Weg, der zuletzt von Rückschlägen geprägt war. E-Voting, das Dauer-Anliegen der Auslandschweizer:innen, kam erst 2023 durch Initiativen der Post und der Bundeskanzlei zurück, nachdem es aus Sicherheits- und Kostengründen in der Versenkung verschwunden war.

«Mehr Stimmkanäle, mehr Sicherheit»

Für Benedikt von Spyk, Staatssekretär des Kantons St. Gallen, ist diese Entwicklung «sehr erfreulich», wie er an der Medienkonferenz sagt. «Wir hatten über 70% weniger verspätete Stimmabgaben zu verzeichnen», schildert er den Effekt des E-Votings bei den Abstimmungen vom 18. Juni. Für seinen Kanton sei es eine Investition in die Zukunft, und auch eine in die Sicherheit, denn diese erhöhe sich durch verschiedene Stimmkanäle.

ASO-Präsident Filippo Lombardi an der Medienkonferenz in St. Gallen. / Rigendinger, Balz (swissinfo)

Man wolle den E-Voting-Versuch nun rasch ausdehnen und weitere Kantone dazugewinnen, etwa Graubünden, sagt von Spyk. ASO-Präsident Lombardi spricht von einer «zweiten Welle», die es in dieser Sache nun brauche.

Mehr Ausbreitung, mehr Widerstand

Dies aber weckt auch Widerstand. «Je breiter der Versuch, desto grösser auch das Risiko», sagt Jorgo Ananiadis, Präsident der Piratenpartei. Politisch eine kleine Gruppe, besitzt diese Partei als Sammelbecken von Hacker:innen und Cyber-Expert:innen eine gewisse Glaubwürdigkeit in Technologiefragen.

Nur Stunden vor der Medienkonferenz der ASO zeigte sich die Piratenpartei in einer Medienmitteilung «entsetzt» über die erweiterte Zulassung von E-Voting. «Es gibt keine fehlerfreie Codes», sagt Ananiadis, «und aktuelle Datenlecks beim Bund zeigen symptomatisch, dass man Risiken unterschätzt.»

Tags zuvor war bereits eine weitere Gruppierung, die «Freiheitliche Bewegung Schweiz», zur Tat geschritten. Sie reichte die Volksinitiative «Für eine sichere Abstimmung und Wahl» ein, die ein Verbot von elektronischen Wahlen und Abstimmungen fordert.

«E-Voting reicht nicht aus»

Für den St. Galler Staatssekretär Benedikt von Spyk gibt es für Bedenken aber kaum Anlass. Die Hacker-Community habe das neue System im Test nicht knacken können. Er spricht von einem neuen Ansatz: «Sicherheit durch Tranparenz».

Das System der Schweiz habe den ersten Praxistest gut bestanden: «Es ist sicher und benutzerfreundlich. Dafür wurde grosse Arbeit und sehr viel Energie investiert», sagt von Spyk. Ananiadis schätzt den Aufwand der Post für das E-Voting System auf weit über 100 Millionen Franken.

Ein Problem aber bleibt: Die Stimmbeteiligung der Auslandschweizer:innen ist chronisch tief. Im Schnitt ist sie etwa halb so hoch wie jene in der Schweiz. «Damit die Partizipation steigt, reicht E-Voting nicht aus», sagt ASO-Direktorin Ariane Rustichelli. Viele Ausgewanderte halten sich bewusst raus aus der Schweizer Politik, anderen sind die Hürden zu hoch.

Erkenntnisse aus der Community

Zwei Mitglieder des Auslandschweizer-Rats haben das Problem nun in die Hand genommen: Carmen Trochsler aus Australien und Antoine Belaieff aus Kanada. Sie weisen an der Medienkonferenz darauf hin, dass sich das Migrationsverhalten verändert hat: Die Auslandaufenthalte sind öfter temporär ausgelegt und immer öfter folge eine Rückkehr in die Schweiz. «Man stimmt ab, weil man weiterhin eine Verbundenheit und eine Betroffenheit mit der Schweiz empfindet», sagt Carmen Trochsler.

workshop
Carmen Trochsler und Antoine Belaieff im März 2023 bei der Moderation eines Workshops zur Partizipation der Fünften Schweiz. / Alexandra Jaeggi

Sie gewann diese Erkenntnis aus zwei Workshops, welche die ASO mit Auslandschweizer:innen dieses Jahr durchführte. Auch Eigentum in der alten Heimat oder geschäftliche Beziehungen mit der Schweiz sind Motivation (und Legitimation) zum Mitmachen in der Schweizer Politik.

Antoine Belaieff schildert aber auch die Haupthindernisse: teure Versandkosten, teilweise nicht funktionierende Postlogistik. Auch der Eintrag ins Stimmregister ist für viele eine Hürde, für einige eine Überforderung. Dieser müsse vereinfacht werden. Zudem könnte es der Bund sich zur Angewohnheit machen, mit jedem Auslandbürger-Kontakt eine Einladung zur Eintragung ins Stimmregister zu verbinden.

Ein Plan für mehr Partizipation

Zum andern hätten an den ASO-Workshops nicht wenige Teilnehmende auch erwähnt, dass es schwierig sei, sich gut über die Themen zu informieren. Es brauche also leicht verständliche, vor allem auch leicht zugängliche Information. Paywalls etwa wurden als Hindernis genannt.

Das sind einige Erkenntnisse, die bei Bund und Inlandbevölkerung noch kaum so angekommen sind. Deshalb präsentiert die Lobby-Organisation der Auslandschweizer:innen nun eine neue Forderung: Die Verbesserung und Förderung der politischen Partizipation müsse gesetzlich verankert werden.

Eindruck aus dem Workshop, der mit Vertreter:innen der Fünften Schweiz durchgeführt wurde. / Alexandra Jaeggi

Konkret brauche es einen jährlichen Bericht, eine detaillierte Analyse über die Teilhabe der Schweiz im Ausland. Die Lobby-Organisation der Fünften Schweiz wird dieses Anliegen über ihre Parlamentsmitglieder wohl demnächst ins Parlament senden: einen Plan für mehr Partizipation der Fünften Schweiz.

«Wir sagen immer wieder, dass die direkte Demokratie unsere Identität ausmacht», sagt Antoine Belaieff. Und findet es «verwunderlich, dass niemand dafür verantwortlich ist, die Gesundheit der Demokratie zu überwachen.»

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