Ein blinder Fleck bei der Durchsetzung der Russland-Sanktionen
Lange hat sich die Schweizer Regierung den Forderungen nach Gesetzesänderungen widersetzt, welche die Transparenz verbessern und die Besitzenden geheimer Unternehmen offen legen. Die Russland-Sanktionen könnten ein Wendepunkt sein.
Bei der Recherche nach Informationen über die Solway Investment Group, ein internationaler Metall- und Bergbaukonzern mit Sitz im Schweizer Kanton Zug, kommt man nicht um Russland herum.
Laut einer Reuters-Schlagzeile aus dem Jahr 2011Externer Link baute «Russlands Solway» eine Nickelschmelze in Indonesien. Eine grosse Medienrecherche im März 2022Externer Link kam zum Schluss, dass der weltgrösste Nickelproduzent in Privatbesitz Verbindungen zu russischen Unternehmen hat.
Im November letzten Jahres stufte das US-Finanzministerium Solway als «russisches Unternehmen» ein und verhängte auf der Grundlage des Magnitsky-Gesetzes Sanktionen gegen zwei Mitarbeitende und gegen TochtergesellschaftenExterner Link.
Das Gesetz richtet sich gegen ausländische Staatsangehörige, die sich Menschenrechtsverletzungen und Korruption zu Schulden kommen lassen. Einem der Mitarbeitenden – einem weissrussischen Staatsangehörigen – wird vorgeworfen, er habe im guatemaltekischen Bergbau «korrupte Handlungen zur Förderung des russischen Einflusses» vorgenommen.
In einem seltenen Medieninterview bestritt Denis Gerasev, eines der beiden Vorstandsmitglieder von Solway, dass das Unternehmen in irgendeiner Weise mit der russischen Regierung oder Oligarchen verbunden sei:
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Wenn Russland-Nähe auch in der Schweiz zu Problemen führt
Um Garasevs Behauptungen zu prüfen, hat SWI swissinfo.ch eigene Nachforschungen angestellt. Wir haben uns durch ein Labyrinth von Firmenregistern in Zypern, der Schweiz, Malta und St. Vincent und den Grenadinen gekämpft und dabei ein Netz von ausgeklügelten Firmenstrukturen und Personen mit mehreren Nationalitäten aufgedeckt.
Der Versuch, herauszufinden, wer ein in der Schweiz ansässiges Unternehmen letztlich besitzt und kontrolliert, gleicht dem schichtweisen Schälen einer Zwiebel.
Während die Identität der tatsächlichen Eigentümerinnen und Eigentümer von Unternehmen für Banken und Finanzaufsichtsbehörden schon lange von Bedeutung ist, um Geldwäsche zu bekämpfen, hat sich aus dem schwierigen Zugang zu diesen Informationen ein grosser blinder Fleck bei der Durchsetzung der Sanktionen der Schweiz gegen Russland gebildet.
Nur wenn die wirtschaftlichen Berechtigten (beneficial owner) identifiziert werden können, sei es möglich, den Geldfluss an den russischen Staat, der den Krieg gegen die Ukraine finanziert, zu unterbinden. Das sagt Tom Keatinge, Sanktionsexperte und Direktor des Zentrums für Finanzkriminalität und Sicherheitsstudien bei RUSI, einem britischen Thinktank.
«Wie kann ein Land geltend machen, dass es keine Verbindung zwischen einer sanktionierten Person und einem in seinem Hoheitsgebiet tätigen Unternehmen gibt, wenn ihm nicht alle Informationen zur Verfügung stehen? Das ist ein grundlegender Bestandteil der Durchsetzung von Sanktionen.»
Wird ein russischer Oligarch oder Beamter im Zusammenhang mit dem Krieg in der Ukraine auf die Schweizer Sanktionsliste gesetzt, hat dies eine Sanktionierung aller Unternehmen zur Folge, die er kontrolliert oder besitzt.
Doch die Verwendung komplexer, undurchsichtiger Unternehmensstrukturen macht es schwierig – wenn nicht unmöglich –, die Personen am Ende der Kette zu identifizieren.
Der Einmarsch Russlands in der Ukraine führte zu einer Reihe von Sanktionen der Europäischen Union, der Vereinigten Staaten und der G7-Staaten gegen russische Personen und Unternehmen. Die Schweiz hat sich an der EU orientiert und im März ihr zehntes Sanktionspaket umgesetzt.
Das hat die internationale Gemeinschaft – darunter Nichtregierungsorganisationen und seit kurzem auch die G7 – nicht davon abgehalten, die Schweiz dafür zu kritisieren, dass sie nicht genug tut. Sie bemängeln vor allem den geringen Umfang der in der Schweiz eingefrorenen russischen Vermögenswerte und argumentieren, dass sie die Sanktionen besser durchsetzen könnte.
In dieser Serie untersuchen wir, welche Schritte die Schweiz unternommen hat, um den internationalen Standards zu entsprechen, und wo sie hinterherhinkt. Wir hinterfragen die Gründe für Sanktionen und deren Folgen für in der Schweiz ansässige Rohstoffhändler. Ausserdem analysieren wir russische Vermögenswerte in der Schweiz und erfahren, wie einige Oligarchen die Sanktionen umgehen.
Holt die Schweiz nun auf?
Die Schweiz blickt auf eine lange Tradition des Bankgeheimnisses zurück. Die Regierung gibt selbst zu, dass es an Transparenz mangelt. In einem Interview mit der Aargauer Zeitung vom MaiExterner Link räumte Helen Budlinger Artieda, die Leiterin des Staatssekretariats für Wirtschaft (Seco), ein, dass «eine grosse Herausforderung für unsere Sanktionsteams darin besteht, den wirtschaftlich Berechtigten einer Unternehmensstruktur herauszufinden».
Während dies überall ein mühsames Unterfangen ist, haben viele andere Länder bereits vor dem Ausbruch des Ukrainekriegs im Februar 2022 intensiv daran gearbeitet, die Blackbox des wirtschaftlichen Eigentums zu entschlüsseln.
Als wirtschaftlich Berechtigte (manchmal auch als Person mit massgeblicher Kontrolle bezeichnet) werden natürliche PersonenExterner Link bezeichnet, die letztendlich Rechte an einem Teil des Einkommens oder des Vermögens einer juristischen Person haben oder die Fähigkeit, deren Geschäftstätigkeiten zu kontrollieren.
Die Art und Weise, wie Kontrolle und Eigentum definiert werden, ist je nach Rechtsordnung, Rechtsinstrumenten und Identifizierungszweck unterschiedlich.
«Was die Verfügbarkeit und Nutzung von Informationen über wirtschaftliche Berechtigungen an Unternehmen durch die Behörden angeht, hinkt die Schweiz den EU-Mitgliedstaaten hinterher», sagt Louise Russell-Prywata, zuständig für Politik und Interessenvertretung bei Open Ownership, einer in Grossbritannien ansässigen Organisation, die sich für Transparenz einsetzt.
In der Schweiz gibt es keine generelle Verpflichtung, Informationen über wirtschaftlichen Berechtigungen mit den Behörden zu teilen. Die Schweiz hat die Empfehlungen der Financial Action Task Force (FATF) übernommen, einer weltweiten Organisation zur Überwachung von Geldwäsche und Terrorismusfinanzierung.
Diese verlangen von den Banken, die letztendlichen Eigentümerinnen und Eigentümer von Konten zu identifizieren und zu überprüfen, und verpflichten Aktionäre und Aktionärinnen, den Verwaltungsräten der Unternehmen Bericht zu erstatten, wenn sie einen bestimmten Prozentsatz der Aktien oder Stimmrechte erwerben.
Die Vorschriften dienen jedoch mehr der internen Sorgfaltspflicht und dem Risikomanagement als der Kontrolle durch die Behörden, so Dario Galli, ein auf die Einhaltung von Geldwäschevorschriften spezialisierter Anwalt der Anwaltskanzlei Walder Wyss in Zürich.
Die vierte Geldwäsche-Richtlinie der EUExterner Link, die 2015 verabschiedet wurde, forderte die Regierungen auf, zentrale Register der wirtschaftlichen Berechtigten einzurichten. Die FATF gab eine ähnliche Empfehlung ab, was Offshore-Finanzzentren wie Panama dazu veranlasste, zentrale Register einzurichten.
Diese Änderungen haben die Schweiz unter Druck gesetzt. «Die Schweiz muss einen Weg finden, die Vorschriften zur Bekämpfung der Geldwäsche im Interesse ihrer eigenen Stabilität und Glaubwürdigkeit anzuwenden», sagt Alex Nikitine, Capital Markets Partner bei Walder Wyss.
Im vergangenen Oktober kündigte die Regierung an, dass das Finanzministerium Pläne für ein zentrales Register der wirtschaftlichen Berechtigten ausarbeite, das bisher jedoch noch nicht eingeführt wurde. Ein Sprecher des Ministeriums teilte SWI in einer E-Mail mit, dass ein Gesetzesentwurf im August vorgelegt werden soll.
Während die Einhaltung der Vorschriften zur Bekämpfung der Geldwäsche der Hauptgrund für die Einführung des Registers ist, sorgen die russischen Sanktionen für zusätzlichen Auftrieb beim Versuch der Schweiz, die Kritik der G7-Länder abzuwehren, sie tue nicht genug, um Steuerhinterziehende zu erwischen.
«Die Schweiz gehört zu den Ländern, die alles daransetzen müssen, ihre Unschuld zu beweisen. Wenn man kein anständiges Unternehmensregister hat, wird man die Leute nicht davon überzeugen können», sagt Keatinge.
Schlupflöcher und Zugang
Aber auch wenn man sich im Prinzip auf ein zentrales Register geeinigt hat, wird heftig darüber diskutiert, welche Informationen darin enthalten sein sollen, wie sie überprüft werden und wer Zugang dazu haben soll.
Die fünfte EU-Geldwäscherichtlinie, die 2018 veröffentlicht wurde, sah vor, dass die Register öffentlich zugänglich sein sollten. Im November 2022 erklärte der EU-GerichtshofExterner Link den geforderten Zugang der Öffentlichkeit jedoch für ungültig, da dies einen Eingriff in die Rechte auf Privatsphäre und den Schutz personenbezogener Daten darstelle.
EU-Länder, die für ihr Bankgeheimnis und undurchsichtige Unternehmen bekannt sind, darunter Malta, Zypern und Luxemburg, schränkten den Zugang zu ihren Registern innerhalb weniger Tage ein.
Die Schweizer Regierung hat keine Pläne, ihr Register zu veröffentlichen. Eine Entscheidung, die Philip Zünd, Direktor für Steuern und Recht bei der Beratungsfirma KPMG in Zürich, nicht überrascht. «Es gibt eine lange Tradition finanzieller Privatsphäre in diesem Land. Das liegt in unserer DNA», sagt Zünd.
Doch Befürworterinnen und Befürworter der Transparenz wie Maíra Martini, die bei Transparency International die Arbeit zu illegalen Finanzströmen leitet, argumentieren, dass der öffentliche Zugang notwendig sei, um Sanktionsumgehende aufzuspüren.
«Es geht nicht nur um die Informationen über die Eigentumsverhältnisse; sie müssen auch überprüft werden, und die Behörden müssen sie richtig nutzen», sagt Martini. «Sehr oft haben die Behörden nicht die Kapazität oder das Mandat, die Daten zu analysieren und Nachforschungen anzustellen. Es waren Journalistinnen oder Aktivisten, die das Vermögen von Oligarchen identifiziert haben, nicht die Behörden.»
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Dies gelte ausdrücklich angesichts der Schlupflöcher und Grauzonen in den Sanktionsvorschriften, die es ermöglichen, dass «Red Flags» durch die Maschen der Sanktionsvollstreckenden schlüpfen würden, so Martini.
Ein Beispiel ist die Verwendung eines so genannten Strohmanns, um die endgültigen Eigentumsverhältnisse zu verschleiern. Ein solcher Fall war der russische Cellist Sergei Roldugin, der als wirtschaftlicher Berechtigter von Bankkonten in Zürich aufgeführt war, die im Verdacht standen, Millionen von Franken an den russischen Präsidenten Wladimir Putin zu schleusen.
Einige sanktionierte Personen haben auch ihren Aktienbesitz reduziert oder ihn an ein Familienmitglied übertragen, um nicht aufzufallen. Der russische Oligarch Andrej Melnichenko trat am 8. März, einen Tag bevor er von der EU sanktioniert wurde, als Begünstigter zurück und seine Frau wurde automatisch die neue Begünstigte. Ein paar Monate später wurde sie schliesslich von der EU und der Schweiz sanktioniert.
Trusts sind eine weitere Grauzone. Aus vertraulichen Dokumenten, die dem Tages-Anzeiger vorliegenExterner Link, geht hervor, dass Melnichenkos Eigentum über einen in Zypern ansässigen Trust übertragen wurde, der eine grosse Mehrheitsbeteiligung an Eurochem hält.
Es kann schwierig sein, herauszufinden, welche Partei von einem Trust profitiert oder die Kontrolle über ihn ausübt. Und in vielen Ländern werden nicht einmal alle Parteien eines Trusts registriert.
Körperschaften, die sich über verschiedene Rechtsordnungen erstrecken, stellen ebenfalls eine Herausforderung dar, da einige Rechtsordnungen keine Transparenz über die wirtschaftlichen Berechtigten bieten, betonen Fachleute.
Solway ist ein typisches Beispiel dafür. Das Unternehmen ist im Besitz einer Holdinggesellschaft in Malta. Das lokale Unternehmensregister listet vier Aktionär:innen auf, die alle dieselbe Adresse auf St. Vincent und den Grenadinen haben – ein Land, das keine Informationen über wirtschaftliche Berechtigte liefert.
Bis zum Urteil des EU-Gerichts, das zufälligerweise vier Tage nach der Ankündigung der Sanktionen durch das US-Finanzministerium gefällt wurde, waren Informationen über das wirtschaftliche Eigentum im Unternehmensregister von Malta verfügbar.
Anfang Juni stellte das Solway-Rechtsteam SWI einen Auszug aus dem maltesischen Register zur Verfügung. Daraus geht hervor, dass Dan und Christian Bronstein, deutsche Staatsbürger und Söhne des Solway-Gründers Aleksander Bronstein, die wirtschaftlichen Berechtigten des Unternehmens sind.
Aber auf den guten Willen und die Ehrlichkeit der Unternehmen zu setzen, ist keine Lösung. «Wir haben uns darauf verlassen, dass der Privatsektor und die Banken uns Informationen über die Eigentumsverhältnisse liefern», sagt Martini von Transparency International. «Aber so fängt man keine Kriminellen.»
Korrektur: Dieser Artikel wurde am 5. April 2024 aktualisiert, um klarzustellen, dass Andrey Melnichenko seine Anteile an EuroChem nicht an seine Frau abgetreten hat. Melnichenko trat als Begünstigter zurück, seine Frau wurde automatisch die neue Begünstigte.
Übertragung aus dem Englischen: Michael Heger
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