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«Ein Börsengang in den USA hat sich aufgedrängt»

Andrea Pfeifer
acimmune.com

Die Schweiz hat sich am Rennen um einen Coronavirus-Impfstoff nicht beteiligt. Aber der erste Impfstoff gegen Alzheimer könnte möglicherweise von einer Schweizer Firma auf den Markt gebracht werden – von AC Immune in Lausanne. Mitgründerin und Firmenchefin Andrea Pfeifer erklärt, warum sie bei der Suche nach Investoren an die US-Börse gelangt ist.

Gegründet wurde die Biotechfirma AC ImmuneExterner Link im Jahr 2003, damals mit sechs Mitarbeitenden. Inzwischen sind bei diesem Unternehmen 152 Personen tätig. Die Firma hat ihren Sitz auf dem Campus der Eidgenössischen Technischen Hochschule in Lausanne (EPFL)

Sie gehört zum kleinen Kreis der Schweizer Jung-Unternehmen, die an der US-Börse Nasdaq in New York kotiert sind. AC Immune ist führend bei der Forschung für Medikamente und Impfstoffe zur Behandlung von Alzheimer.

Frauen sind in den oberen Etagen der Wirtschaft immer noch stark untervertreten. So sind beispielsweise nur 13% der 20 Unternehmen im Leitindex SMI der Schweizer Börse mit Frauen in Führungspositionen besetzt. In dieser Hinsicht schneidet die Schweiz im internationalen Vergleich schlecht ab.

swissinfo.ch lässt im Rahmen einer Serie in diesem Jahr Geschäftsführerinnen von weltweit tätigen Schweizer Unternehmen zu Wort kommen. Als Vertreterinnen der Schweizer Wirtschaft sprechen sie über die dringlichsten Herausforderungen, von der Coronavirus-Krise bis zum Platz der Schweiz und ihrer Unternehmen in der Weltwirtschaft.

Trotz einem Absturz des Aktienkurses von AC Immune um rund 60 Prozent seit dem Börsengang im Jahr 2016 bleibt Geschäftsführerin Andrea Pfeifer in Bezug auf das Potenzial ihres Unternehmens sehr zuversichtlich.

Dieser Wertverlust ist teils auf die Ankündigung vom Januar 2019 zurückzuführen, zwei Studien mit dem Wirkstoff Crenezumab zu stoppen. Klinische Studien der Phase 3 (der letzten Phase vor der Marktzulassung) mit diesem Alzheimer-Medikament wurden eingestellt.

swissinfo.ch: Ist Lausanne ein guter Standort, um ein biopharmazeutisches Unternehmen zu gründen und aufzubauen?

Andrea Pfeifer: Auf alle Fälle. Seit der Firmengründung befinden wir uns auf dem Campus der Eidgenössischen Technischen Hochschule in Lausanne (EPFL). Ich bin in dieser Region hervorragend vernetzt.

Ausserdem erleichterte uns Patrick Aebischer hier den Start. Er war damals neuer EPFL-Präsident und förderte Startups im Bereich der Neurowissenschaften. Seiner Meinung nach gab es einen Mangel an solchen Unternehmen.

Die Nähe zur EPFL ermöglichte uns den Zugang zu sehr teuren Laboreinrichtungen. Als die EPFL dann begann, sich mehr und mehr in Richtung Bio- und Neurowissenschaften zu entwickeln, konnten wir viele talentierte Jungforschende von dort anwerben.

Schliesslich schätzen wir in der Schweiz das politische System, das hohe Bildungsniveau, die Multikulturalität, die Mehrsprachigkeit sowie die grosse Anzahl von Dienstleistern und Meinungsbildnern in unserem Fachbereich.

Oft konzentrieren sich Biotech-Unternehmen nur auf bestimmte Teile der Entwicklung eines neuen Produkts. Ist das bei AC Immune auch der Fall?

Es kommt darauf an, über welches Produkt in unserer Pipeline wir sprechen. Wir forschen ja an verschiedenen Medikamenten und Impfstoffen.

Bei der Entwicklung von Produkten mit sehr grossen «Indikationen» (d.h. Märkten) wie Alzheimer oder Parkinson werden wir von Partnern unterstützt, in diesem Fall Genentech (Roche-Gruppe), Janssen Pharmaceuticals, Eli Lilly und Life Molecular Imaging. Sobald wir die Marktzulassung erhalten haben, werden diese Partner für die Vermarktung und Produktion verantwortlich sein.

Bei den kleineren «Indikationen» wollen wir jedoch für den gesamten Prozess verantwortlich sein, das heisst die präklinischen Laborphasen, die drei Phasen der klinischen Prüfung, die Marktzulassungen und die Vermarktung und Produktion. Diese vollständige Integration sollte uns ein besseres Risikomanagement ermöglichen.

Ihre Produktpalette umfasst zwölf Produkte, aber keines davon befindet sich in der kommerziellen oder klinischen Phase Drei. Stellt dies nicht eine sehr riskante Situation für Ihre Firma dar?

Die Entwicklung neuer therapeutischer Produkte ist an sich schon ein riskantes Geschäft. Aus mehreren Gründen ist unsere Situation jedoch viel weniger riskant, als es auf den ersten Blick erscheinen mag.

Erstens stellen wir sicher, dass wir immer genügend Liquidität haben, um die nächsten 18 Monate unserer Geschäftstätigkeit abdecken zu können.

Zweitens glauben viele Investoren angesichts des gewaltigen Markts für unsere «Indikationen» weiterhin fest an das Potenzial unseres Unternehmens, zumal wir eine führende Position in diesem Forschungsbereich aufweisen.

Drittens werden die Kosten und Risiken, die wir eingehen, mit den oben erwähnten Partnern geteilt; speziell sind wir mit diesen Partnern Kooperationen eingegangen, die potenziell stufenweise Zahlungen von mehr als drei Milliarden US-Dollar vorsehen.

Viertens: Unsere Palette umfasst zwölf Produkte. Wir sind also breit aufgestellt.

Bei Ihren Forschungen zu Alzheimer haben Sie kürzlich zwei Studien abgebrochen, weil diese nicht zu den erhofften klinischen Ergebnissen geführt haben. Welche Lehren haben Sie daraus gezogen?

Diese Rückschläge haben dazu geführt, dass wir in unserem Team intensiv über das weitere Vorgehen nachgedacht haben. Dabei kamen wir zum Schluss, dass es wichtig ist, in einem früheren Stadium der Krankheit einzugreifen.

Da Alzheimer mehrere Ursachen hat, haben wir verstanden, dass es notwendig ist, homogenere Populationen ins Visier zu nehmen. Das Ziel ist es, sich mehr auf die Präzisionsmedizin zu konzentrieren, die darin besteht, die beim Patienten vorhandenen Pathologien genau zu diagnostizieren, um die Behandlungen gezielter einzusetzen.

Warum haben Sie sich 2016 für einen Börsengang an der Nasdaq in den USA entschieden?

Mindestens zwei Jahre haben wir verschiedene Optionen analysiert. Wir haben einen Börsengang in der Schweiz, neue Partnerschaften und andere Arten der Finanzierung in Betracht gezogen. Ein Börsengang an der Nasdaq hat sich am Ende aber aufgedrängt.

Warum haben Sie sich für einen Börsengang in den USA und nicht in der Schweiz entschieden?

Die Nasdaq zieht zehn bis hundert Mal mehr hochqualifizierte Investoren im Biotech-Sektor an als die Schweizer Börse.

Ich weiss, dass Roche, Novartis oder Nestlé mit der Schweizer Börse zufrieden sind. In der Tat brauchen diese globalen Unternehmen keine Nasdaq, um die Aufmerksamkeit der Investoren auf sich zu ziehen. Aber als Startup-Unternehmen waren wir nicht in der gleichen Situation.

Als Sie an die Börse gingen, waren Sie ein vorkommerzielles Unternehmen. Was waren die Herausforderungen, um neue Investoren zu überzeugen?

Zunächst einmal betrachten wir uns immer noch als ein vorkommerzielles Unternehmen.

Wir mussten neun bis zwölf Monate lang extrem hart arbeiten, um unsere Kotierung an der Nasdaq zu bekommen. Glücklicherweise hatten wir starke Argumente, die mehrere hochkarätige institutionelle Investoren überzeugten.

Wie gehen Sie als börsenkotiertes Unternehmen mit den Erwartungen Ihrer Investoren und der Öffentlichkeit um?

Ein börsenkotiertes Unternehmen zu leiten, ist insofern eine sehr spezielle Aufgabe, da ich mich fast jede Woche mit Investoren treffe. Bei diesen Treffen muss alles äusserst genau und präzise sein, da jedes Wort und jede Zahl zur öffentlichen Information wird.

Daher muss die rechtliche Konformität all dieser Elemente im Vorfeld mit unseren US-Anwälten geprüft werden. Dieses Hochmass an Präzision ist auch für unsere allgemeinen Präsentationen und Medienmitteilungen erforderlich.

Aber ich muss zugeben, dass ich den Umgang mit den Investoren oder Analysten geniesse, gerade weil sie sehr kompetent sind.

Um die US-Vorschriften zu erfüllen, erstellen Sie sehr detaillierte Berichte. Wer nimmt sich die Zeit, Ihre 250-seitigen Geschäftsberichte zu lesen?

Es mag Sie überraschen, aber unsere Investoren und Analysten lesen unsere Berichte sehr aufmerksam. Tatsächlich sind von den 250 Seiten aber nur 40 Seiten für die Fachleute von elementarer Bedeutung.

Diese sind der Analyse unseres Unternehmens gewidmet. Die anderen Seiten enthalten gesetzlich vorgeschriebene, aber sehr routinemässige Informationen.

(Übertragung aus dem Französischen: Gerhard Lob)

Nach ihrer Promotion in Toxikologie an der Universität Würzburg habilitierte sich Andrea Pfeifer an der Universität Lausanne. Sie ist auch Honorarprofessorin an der Eidgenössischen Technischen Hochschule von Lausanne (EPFL).

Bevor die deutsche Unternehmerin 2003 AC Immune mitgründete, war sie Leiterin des Nestlé-Forschungszentrums (Nestlé Research Centre) in Lausanne. Dort engagierte sie sich sehr für engere Beziehungen zwischen Wissenschaft und Unternehmertum.

(Übertragung aus dem Französischen: Gerhard Lob)

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