Ein Friedensnobelpreisträger bei Gymnasiasten
Im Rahmen des Open Forums am WEF in Davos trat der Friedens-Nobelpreisträger Muhammad Yunus vor Gymnasiastinnen und Gymnasiasten auf und sprach über Social Business. Die Jugendlichen waren beeindruckt.
Kurz vor neun Uhr morgens ist der Saal der Alpinen Mittelschule in Davos gefüllt. Rund 200 Schülerinnen und Schüler sitzen da, einige Personen der Vereinigung «Young Global Leader», einer Vereinigung von jüngeren Unternehmerinnen und Unternehmern, und ungezählte Medienschaffende, Kameramänner, Fotografinnen und Fotografen. Der ganze Saal ist verkabelt, die Simultanübersetzungsgeräte mit Kopfhörern werden verteilt, eine grosse Leinwand ist aufgestellt.
Für die Schülerinnen und Schüler steht eine Lektion «learn money» auf dem Programm, mit hochkarätiger Besetzung. Learn money will jungen Menschen lernen, mit Geld umzugehen und ist eine Idee der «Young Global Leaders».
Der Friedensnobelpreisträger Muhammad Yunus, Erfinder des Social business, ist der gefeierte Hauptgast der Runde. Social Business bedeutet: Sozialverträgliches Wirtschaften.
Professor an der Uni
Nach einem Film über seine Arbeit erhält Yunus endlich selbst das Wort. Yunus spricht vor den jungen Leuten über Bangladesh, seine Heimat. Er sei Professor an der Uni gewesen, als ihm aufgefallen sei, wie wenig die Theorien, die er lehrte, den Armen nützten. In Bangladesh gab und gibt es Millionen von armen Menschen, die hungern, kein Trinkwasser haben oder an Krankheiten leiden.
Heute seien die Menschen nicht nur von der Armut, sondern auch von der Klimaveränderung bedroht. «150 Millionen Menschen wohnen in Bangladesh, und das Land liegt im Durchschnitt 1 Meter über Meer, sagt Yunus. «Das bedeutet: Wen wird es treffen, wenn der Meeresspiegel steigt? Er steigt bereits, um 4 Millimeter im Jahr.»
Laurence Kaeppeli und Nadia Jakob sind von den Umständen in Bangladesh beeindruckt, wie sie nachher sagen. Sie sind beide 16 Jahre alt und besuchen das Alpine Gymnasium Davos. «Es war für uns kein Müssen, hierherzukommen. Es ist eine aussergewöhnliche Gelegenheit, so jemandem zuzuhören», sagt Laurence.
Sklavenartige Abhängigkeit
Nachher kommt Yunus auf die Anfänge des Social Business zu sprechen. «Ich lernte eine Frau kennen, die Bambusmöbel herstellt. Schöne Bambusmöbel», präzisisiert er, «aber die Frau war bitterarm». Als sie sich getraute, mit ihm zu sprechen – in Bangladesh sei es damals nicht üblich gewesen, dass Frauen mit fremden Männern gesprochen hätten – habe er herausgefunden, dass sie dadurch, dass sie einen Kredit zum Kauf des Rohstoffs aufgenommen hatte, in eine Art sklavisches Abhänigkeitsverhältnis geraten war.
Der Kreditgeber hatte sich ausbedungen, dass sie ihre Ware nur an ihn verkaufen dürfe, und dass er den Preis dafür festlege. «Die Frau hatte sich 25 Cents geliehen», sagte er, «eine sehr kleine Summe.» Darauf habe er, Yunus, sich entschlossen, den Kredit von sich aus zurückzuzahlen, um die Frau aus ihrem Abhängigkeitsverhältnis zu befreien.
Die Schulden von 40 Personen
Etwas über 27 Dollars habe er bezahlt, um die 40 Leute, die im gleichen Dorf in eine ähnliche Situation geraten waren, aus der Abhängigkeit der Kreditgeber herauszulösen.
Ohne eine Ahnung vom Bankgeschäft zu haben, sei er schliesslich selbst Kreditgeber geworden, Banker für Mikrokredite. «Wenn irgendwo etwas falsch läuft, muss man die Regeln ändern. Ich habe mich nicht nach den Regeln der herkömmlichen Banken gerichtet. Ich habe Regeln aufgestellt, die den Leuten helfen, sich aus ihrer Armut zu befreien.»
Das ist dem Friedensnobelpreisträger wichtig: «Regeln sind von irgendwem gemacht worden. Das bedeutet, dass man sie ändern kann.»
Die Grundlage ist Vertrauen
Die Kreditvergabe beruht nicht auf unterschriebenen Papieren, sondern auf Vertrauen. Die Kreditnehmenden schliessen sich zu Gruppen zusammen, und wenn eine einzelne Person den Kredit nicht zurückzahlen kann, hilft zuerst die Gruppe. Klappt das auch nicht, wird der erste Kredit zu einem Langzeitkredit umgewandelt.
Yunus berichtet weiter, wie er seine Idee von Social Business konkretisierte. Die Granmen-Bank, die er für Mikrokredite gegründet hat, hat schon 8 Milliarden Dollar Kredite vergeben, zu 97 Prozent an Frauen. Auf Nachfrage erklärt er, warum das so ist: «Wenn man das Geld Frauen gibt, geht es den Familien besser. Frauen denken längerfristiger.»
Deswegen sei er zu Beginn auch kritisiert worden, das werde ihm manchmal immer noch vorgeworfen. Doch seine Erfahrung habe gezeigt, dass es so bestens funktioniert.
Joghurt und Schuhe für die Armen
Unter Social Business versteht Yunus nicht nur Kreditverleih, sondern jegliche Art von Unternehmen, die nicht dazu dienen, übermässige Profite zu generieren, sondern den Menschen das Leben zu verbessern. Joghurthersteller Danone zum Beispiel produziere für Bangladesh Yoghurts, die erstens für die Menschen erschwinglich sind und zweitens für alle für eine gesunde Entwicklung der Kinder nötigen Nährstoffe enthalten.
Und Addidas wolle nächstes Jahr in Bangladesh einen Schuh auf den Markt bringen, der günstig sei und gesund, weil Schuhe tragen die Menschen vor Krankheiten schütze.
Eindringlich ruft Yunus die Jugendlichen zum Schluss dazu auf, die Welt in Zukunft auch durch die Social Business-Brille zu sehen und sich in Sachen Social Business etwas einfallen zu lassen.
«Diese Lektion war sehr interessant», sagt Nadia Jakob. An der werde zwar Wirtschaft unterrichtet, «aber über Social Business haben wir da nichts gelernt.»
Eveline Kobler, Davos, swissinfo.ch
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