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Ein Gesetz, das Baulobby und Umweltschützer schlucken können

Gemäss dem nun vom Parlament verabschiedeten Gesetz dürfen die Gemeinden keine neuen Bauzonen für Zweitwohnungen ausscheiden. Keystone

Während zwei Jahren rangen die Lobbyisten der Berggebiete und der Rest des Schweizer Parlaments um eine Umsetzung der vom Volk angenommen Zweitwohnungsinitiative. Nun hat das Parlament einen Kompromiss gutgeheissen, der den Volkswillen zu grossen Teilen umsetzt und den Tourismusgemeinden einen gewissen Spielraum zum Bau von Zweitwohnungen lässt.

«Mit diesem Kompromiss konnten wir einen grossen Schritt in Richtung der Respektierung des Volkswillens und in Richtung einer Limitierung des Zweitwohnungsbaus gehen, sagt Vera Weber, die Präsidentin der Stiftung Franz WeberExterner Link, gegenüber swissinfo.ch.

«Spät, aber gerade noch rechtzeitig hat der Nationalrat die Kurve für eine einigermassen verträgliche Umsetzung der Zweitwohnungsinitiative geschafft», sagt der grüne Nationalrat Louis Schelbert.

Weber und Schelbert gehörten am Abend des 11. März 2012 zu den Siegern der Volksabstimmung über die Zweitwohnungsinitiative. Seither gilt für die 440 Schweizer Gemeinden, deren Zweitwohnungsanteil aktuell über 20 Prozent liegt, ein grundsätzliches Bauverbot für weitere Zweitwohnungen. Der Grossteil dieser Gemeinden liegt in den Tourismusgebieten der Kantone Wallis, Graubünden, Tessin, Bern und Waadt.

Missachtung der Volksrechte

Das Verbot war bisher in einer Verordnung des Bundesrates geregelt. Das hat auch damit zu tun, dass sich das Parlament mit der Ausarbeitung eines Gesetzes schwer tat. Mehr noch: Die beiden Ratskammern verwässerten den Grundsatz des Bauverbots zusehends. Statt zu einem Gesetz gegen den Zweitwohnungsbau drohe das Gesetz zu einem «Fördergesetz für den Zweitwohnungsbau» zu werden, kritisierten die Grünen.

Noch vor zwei Wochen stand das Parlament kurz vor einem Gesetz voller Hintertüren. Staatsrechtler und auch der Bundesrat warnten vor einer Missachtung der Verfassung und des Volkswillens. Die Stiftung Franz Weber drohte mit dem Referendum.

Quasi in letzter Minute, einen Tag vor den entscheidenden Beratungen im Parlament, einigten sich ausgerechnet Hardliner aus den Tourismuskantonen, die sich bisher mit ausgeprägter Phantasie für Schlupflöcher und Hintertüren zugunsten des Zweitwohnungsbaus eingesetzt hatten, mit der Stiftung Franz Weber auf einen Kompromiss.

Rechtssicherheit für Berggebiete

Federführend für die Kehrtwende auf Seiten der Baulobby war der Berner Nationalrat und Fraktionschef der rechtskonservativen Schweizerischen Volkspartei (SVP), Adrian AmstutzExterner Link auf der einen, und Vera Weber, die Tochter des bekannten Umweltschützers Franz Weber, auf der andern Seite. Im Parlament monierten Kritiker aus verschiedenen Parteien, Amstutz verfolge als Inhaber einer Architektur- und Baubüros vor allem eigene Interessen.

«Der Vorwurf des Eigennutzes ist völlig absurd. Matchentscheidend für die Bergregionen und das Gewerbe dort ist nun die Rechtssicherheit. Der Volksauftrag gilt und dem haben wir nachzuleben, ob es uns passt oder nicht», sagte Amstutz in seiner Replik vor dem Parlament.

Dass Amstutz für die Verhandlungen mit Weber die Freisinnigen als einzige Partei mit einbezogen hatte, sorgte für Kritik der anderen Parteien. «Ich kann den Deal nicht nachvollziehen», sagte der Präsident der Christdemokraten, Christophe Darbellay. «Es geht nur darum, ein Referendum zu verhindern», so die Sozialdemokratin Jacqueline Badran. «Die ‹Pflästerli› des Kompromisses reichen nicht aus. Die Bevölkerung wird an der Nase herum geführt», kritisierte die Grüne Regula Rytz.

Mehrere Fliegen auf einen Schlag

Nach dem ersten Erstaunen beruhigten sich die Gemüter und das Parlament stellte sich schlussendlich und ohne nennenswerte Änderungen hinter den Kompromiss. Sachlich hat Amstutz damit mehrere Fliegen auf einen Schlag getroffen.

Der Reihe nach: Die SVP, die bei der Umsetzung ihrer Masseneinwanderungs-Initiative auf eine strikte Umsetzung pocht, riskiert kaum einen Glaubwürdigkeitsverlust, den sie hinnehmen müsste, wenn sie die Zweitwohnungsinitiative zu stark verwässern und damit den Volkswillen missachten würde.

Das nun beschlossene Gesetz gibt den betroffenen Gemeinden zudem etwas mehr Spielraum für den Bau von Zweitwohnungen, als die bisher geltende Verordnung. So können künftig unter bestimmten Voraussetzungen auch bestehende und als schützenswert klassierte Gebäude im Ortskern für Zweitwohnungen genutzt werden. Hotels, die nicht mehr rentieren, dürfen künftig zu 50% in Zweitwohnungen umgebaut werden.

Das sind zwar wenigerals in der Verordnung vorgesehen. Diese sieht vor, dass Hotels zu 100% umgebaut werden können. Aber essentiell ist, dass die Stiftung Franz Weber auf ein Referendum gegen das Gesetz verzichtet. Denn dieses hätte zu einer weiteren Volksabstimmung geführt, bei der sich möglicherweise eine Mehrheit für eine strenge Begrenzung des Zweitwohnungsbaus ausgesprochen hätte. «Wenn das Schweizervolk etwas entschieden hat, hat es nichts so sehr auf dem Kicker, als wenn Parlament und Bundesrat den Entscheid schlaumeierisch aushebeln wollen», sagte Amstutz

Keine «Internet-Wohnungen»

Die Frage stellt sich, was der Kompromiss der Stiftung Franz Weber gebracht hat. «Wir haben ganz klar die Plattformwohnungen aus dem Gesetz kippen können. Damit hätten auf der grünen Wiese neue Zweitwohnungen entstehen können. Und das ist genau etwas, das die Initiative verhindern will», sagt Vera Weber.

In der Tat wollten findige Berggebiet-Lobbyisten im Gesetz die Möglichkeit neuer Bauzonen für Zweitwohnungen verankern, sofern diese Wohnungen auf einer der einschlägigen Ferienwohnungs-Plattformen im Internet zur Vermietung ausgeschrieben worden wären. «Damit wäre der Nachweis längst nicht erbracht worden, ob die Wohnungen effektiv auch vermietet worden wären und wer hätte das kontrollieren sollen?», so Weber.

Arbeit fängt erst an

«Es bleiben aber viele Schlupflöcher und zahlreiche Ausnahmen», sagt die Präsidentin der Stiftung Franz Weber zu dem nun vom Parlament beschlossen Gesetz. «Es ist für uns nicht das beste Gesetz, es ist ein Kompromiss, den man zähneknirschend annimmt. Aber im Sinn des allgemeinen Interesses ist das besser, als noch jahrelange Diskussionen zu führen. Unsere Arbeit fängt jetzt richtig an. Wir werden beobachten, wie das Gesetz umgesetzt werden wird.»

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